Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

‹ alle Artikel anzeigen
  • 10. Februar 2020
    Warteschlangen vor den Museen

    Viel Besucher für wenig Kunst

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum kann man Museen nicht wie Parkhäuser betreiben?

    Hätten wir nur auf unsere Freundin Sabine gehört! Sie kam nach Eröffnung der großen Leonardo-Ausstellung im Louvre im Oktober aus Paris zurück und empfahl uns, sofort Tickets zu kaufen. Jetzt ist es zu spät. Zwar geht die Schau noch bis zum 24. Februar. Aber das Online-Buchungssystem gab uns schon Mitte Januar unmissverständlich zu verstehen: Es gibt keinen einzigen freien Slot mehr. Auf gut Glück losfahren wird nichts nützen: In den Louvre kommt man nur mit vorab gekauften Eintrittskarten.

    Das Ganze hat Methode: Man wolle potenzielle Ausstellungsbesucher »aktiv entmutigen«, sagt der Direktor des Louvre. Super! Der Louvre ist mit seinen Besucherzahlen seit Jahren Marktführer im weltweiten Museums-Business. Im Jahr 2018 verzeichneten sie mit 10,2 Millionen einen Rekord. 2019 kamen dann über eine halbe Million weniger Kunstfreunde und statt zu jammern, feiert das Haus diesen Schwund als Erfolg seiner aktiven Entmutigungspolitik.

    Ökonomisch gesehen finden wir diese Strategie nicht so richtig überzeugend. Man stelle sich vor, Volkswagen würde stolz vermelden, man habe im vergangenen weniger als zehn Millionen Autos verkauft und die Chinesen erfolgreich davon überzeugt, lieber Rad zu fahren. Die große Nachfrage nach Kunst spricht doch offenbar für ein wachsendes Bedürfnis der Menschen, das erst geweckt zu haben und dann unbefriedigt zu lassen mir irgendwie fies vorkommt. Gottlob ist der Louvre bislang noch die Ausnahme. Im Frankfurter Städel, dessen gerühmte Van-Gogh-Ausstellung am 18. Februar zu Ende geht, sind jedenfalls noch Karten zu haben. Wer nicht online bucht, muss freilich lange Schlange stehen: Die ohnehin schon hohe Erwartung von 300 000 Besuchern wird am Ende wohl deutlich übertroffen werden.
    Wie erklärt sich der hohe Zuspruch zum Museum? Und wie lässt sich die Ticketfrage besser lösen als bisher, sofern wir »aktive Entmutigung«, also Kunden vertreiben, einmal ausschließen wollen? Richard Musgrave, ein deutsch-amerikanischer Ökonom des 20. Jahrhunderts, hatte die Museen noch unter die sogenannten »meritorischen Güter« subsumiert. Das sind Güter, bei denen die private Nachfrage hinter dem gesellschaftlich gewünschten Ausmaß zurückbleibt. Angesichts der Schlangen vor Louvre, Städel, vatikanischen Museen & Co. müsste man die Kunst-Nachfrage nicht mehr öffentlich subventionieren. »Allen lernbegierigen und neugierigen Menschen aus nah und fern« sei das Haus zugeeignet, so lautete der Gründungsauftrag des »British Museums« in London im Jahr 1759. Die Hoffnung ist aufgegangen: Die Statistiker stellen eine Korrelation zwischen Bildungsgrad und Häufigkeit des Museumsbesuch fest. Die Bildungsoffensive der vergangenen Jahrzehnte spiegelt sich in den vielen Menschen im Museum, die erfahren haben, dass man in der Begegnung mit Kunst auch sich selbst besser verstehen kann. Wachsender wirtschaftlicher Wohlstand, Bildung und museale Neugier gehen offenbar Hand in Hand: China baut seit geraumer Zeit wie wild Museen.

    Die Tickets sind zu billig

    Doch was tun, wenn das Angebot der Museen hinter der Nachfrage zurückbleibt? Mit solchen Knappheitsproblemen schlagen sich Ökonomen von Berufs wegen herum. Die schlechteste Lösung scheint mir die »Methode DDR« zu sein, den Zugang rationieren und die Menschen Schlange stehen lassen. Bei den meisten anderen Gütern des Marktes ist die Rationierung inzwischen außer Mode gekommen. Brötchen, Bücher oder Mobiltelefone gibt es sofort. Bei Autos müssen wir Wartezeiten in Kauf nehmen, weil sie nicht auf Halde, sondern »just in time« für uns gefertigt werden. Nun könnte man sagen, beim Museum gehört die Schlange einfach dazu, weil sie Nachfrage sichtbar macht und allen anderen signalisiert, dass das eine wichtige Ausstellung ist, die man gesehen haben muss. »Selbstvergewisserung der Elite« war immer schon eine Funktion des Museums. Warum diese Selbstvergewisserung allerdings ausgerechnet bei Null Grad und Schneeregen in der Schlange vor dem Frankfurter Städel-Museum passieren soll, will mir nicht recht einleuchten. Da müsste es komfortablere Möglichkeiten geben.

    Die Standardantwort von Ökonomen, wie man das Knappheitsproblem lösen soll, lautet: Über den Preis. Das halten viele für ungerecht, weil dann die Reichen bevorzugt würden. Dazu lässt sich sagen: Auch die Schlange ist ungerecht: sie privilegiert nämlich Leute, die viel Zeit haben (Rentner, Studenten) und benachteiligt jene, die keine Zeit haben, sich zwei Stunden anzustellen. In Amerika ist es in bestimmten Kreisen schick geworden, dass reiche Leute mit wenig Zeit sich ärmere Leute mit mehr Zeit »mieten«, die für sie Schlange stehen und dafür Geld bekommen. Ökonomisch ist das in Ordnung, aber ethisch wird man Zweifel anmelden dürfen.
    Inzwischen gibt es an vielen Museen Experimente mit positiver Preisdiskriminierung. Wer am Wochenende kommt, zahlt mehr als an Werktagen. Früh morgens ist es billiger als spät abends. Auch bei den Zeiten lässt sich einiges machen: es gibt Ausstellungen, die an bestimmten Tagen bis 23 Uhr öffnen (Van Eyck in Gent zum Beispiel). Und warum an Montagen die meisten Museen der Welt geschlossen haben, habe ich noch nie verstanden. Natürlich können die Wärter nicht an sieben Tagen auf ihren Bewachungsstühlen sitzen. Aber Öffnungszeiten für die Besucher und Arbeitszeiten für die Museumsbediensteten sind zwei Paar Stiefel. Und, ganz pauschal gesagt, ist das Museum wohl immer noch zu günstig. Der Direktor der Uffizien in Florenz hat seinen Eintrittspreis in der Spitze jetzt auf 20 Euro angehoben. Zu Recht kontert er den Einwand, das sei unsozial, mit der Tatsache, dass die Menschen für Pop-Konzerte oder Fußballspiele deutlich mehr Geld auszugeben bereit sind. Es ist jedenfalls auch nicht sehr sozial, wenn reiche Leute weit unter ihrer Zahlungsbereitschaft ins Museum kommen, subventioniert von Leuten, die nie ins Museum gehen.

    Beginnen Sie im letzten Raum des Museums!

    Der Schweizer Ökonom Bruno Frey, ein vor Ideen sprudelnder Tausendsassa, hat einmal den Vorschlag gemacht, den Eintritt ins Museum wie im Parkhaus zu berechnen. Der Preis richtet sich dann nach der Dauer des Aufenthalts und ist erst am Ende und nicht schon beim Betreten zu entrichten. Wer wirklich an der Kunst interessiert ist, bleibt länger, zahlt dafür mehr und hat freie Sicht auf die Exponate. Wer nur kommt, um gesehen zu werden, bekommt einen finanziellen Anreiz, bald ins Museums-Bistro zu entschwinden. Aber auch der wirklich Kunstinteressierte weiß vorher noch nicht, ob ihn Dora Maar (derzeit in Tate Modern in London) nun wirklich interessiert. Eine Bepreisung des Museumseintritts wie im Parkhaus würde es erlauben, bei enttäuschtem Nichtgefallen zügig den Weg zum Ausgang zu nehmen.

    Jetzt rasch noch ein Tipp meiner Künstlerfreundin Dorothée für überfüllte Ausstellungen, bei denen man die Kunst vor lauter Menschen nicht mehr sieht: Beginnen Sie im letzten Raum des Museums! Da ist es deutlich luftiger, weil viele erschöpft sind und nichts mehr sehen können. Dann arbeiten Sie sich langsam zurück in Richtung Eingang! Wir haben den Rat bei Van Gogh erfolgreich umgesetzt; es braucht allerdings ein bisschen Selbstbewusstsein.

    Rainer Hank