Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. August 2019
Von Schulden und anderem SchweinkramWarum Politiker plötzlich wieder Lust auf neue Schulden haben
Zeit macht vergesslich. Gerade einmal zehn Jahre ist es her, dass Bundestag und Bundesrat in Deutschland die Aufnahme einer »Schuldenbremse« in das Grundgesetz beschlossen haben. Seither heißt es in Artikel 109, Absatz 3: »Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.« Der Satz ist dankenswerterweise auch für Nichtjuristen verständlich. Selbst die dann folgende Einschränkung, unter Umständen sei eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vertretbar und Ausnahmen seien zudem bei Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen erlaubt, ist einfach und klar.
Zur Erinnerung: 2009, das war die Zeit von Finanz- und Eurokrise, die im Kern eine Krise zu hoher Staatsschulden war. Die Aufnahme einer – der Schweiz abgeguckten – Schuldenbremse war von der Überzeugung getragen, dass man Politiker durch ein Gebot der Verfassung davor schützen müsse, auf Pump zu leben. Diszipliniert, wie die Deutschen sind, haben sie sich daran gehalten: Seit 2014 verzichtet der Bund auf neue Schulden (35 Jahre lang zuvor war das anders). Angesichts niedriger Zinsen schrumpfte auch die Gesamtverschuldung binnen zehn Jahren von über 80 auf inzwischen nur noch knapp 60 Prozent des BIP. Wir sind jetzt wieder Musterknaben der Maastricht-Verträge.
Ein Hoch auf die Schuldenbremse
Das wäre Grund genug für eine große Party, wenn CDU und CSU an diesem Sonntag zu einer Klausurtagung in Dresden zusammenkommen. Doch i wo: Seit Wochen wächst die Lust bei Politikern jeglicher Couleur, künftig wieder höhere Schulden zu machen. Immer mehr Ökonomen geben ihnen Schützenhilfe. Sie sind sich allerdings nicht einig, was denn nun als Begründung für den Paradigmenwechsel gelten soll. Klar ist nur: Es sind ausschließlich hehre Ziele, denn Politiker haben stets gute Zwecke im Sinn. Die Vermutung, es gehe auch um fiskalische Signale für die AfD-bedrohten Wahlen im Osten am 1. September gelten als böse Unterstellung. Unter den guten Zwecken rangieren (1) Investitionen für marode Schulen, fehlende Digitalisierung (»schnelles Internet«) und – klar doch – Maßnahmen gegen den Klimawandel. Wem das nicht reicht, dem bieten die neuen Pump-Politiker (2) die schwache Konjunktur an, die rhetorisch zu einer dramatischen Rezession aufgeblasen werden muss. Für makroökonomische Feinschmecker gibt es schließlich noch (3) die globalen Ungleichgewichte, wonach es zum Abbau der deutschen Exportüberschüsse nötig sei, die Binnennachfrage mit öffentlichen Investitionen zu stimulieren. Schulden seien in Niedrig- oder Negativzinsphasen ungefährlich, so lange das Wirtschaftswachstum den Zinssatz übertrifft. Denn dann sinkt das Verhältnis von Staatsschulden von allein, ohne dass später neue Steuern fällig werden. »Haut das Geld raus!« heißt die Devise dieser polit-ökonomischen großen Koalition. »Ordnungspolitischer Schweinkram« – eine hübsche Formel des IW-Chefs Michael Hüther – macht wieder Freude.
Angesichts solcher Gelüste sollte man daran erinnern, was eigentlich die Aufgabe des Staates in der Wirtschaft ist. Die Vordenker der politischen Ökonomie der Aufklärung (John Locke, Adam Smith, David Hume) waren der Auffassung, der Staat müsse die Polizei, eine gute Verwaltung, den König – und von Zeit zu Zeit einen Krieg finanzieren. Dafür gibt es Steuern und, wenn das nicht reicht (Krieg!), macht man eben Schulden. Noch um das Jahr 1870 lag der Anteil öffentlicher Ausgaben in den damals entwickelten Ländern (finanziert aus Steuern, Abgaben und Krediten) bei rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das änderte sich im Sozialstaat mit der Überzeugung, eine Regierung sei für Infrastruktur (Straßen/Schienen, Post, Bildung, Kultur) zuständig und müsse die großen Lebensrisiken (Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit) ihrer Bürger abfedern. Im Jahr 1960, als diese Lehre allgemein geteilt wurde, lag die Staatsquote noch zwischen 25 und 30 Prozent. Erst die danach einsetzende Keynesianische Revolution blähte die Ausgaben auf heute durchschnittlich 40 Prozent des BIP auf. Deutschland liegt mit 44 Prozent darüber (es gibt auch Länder mit deutlich über 50 Prozent). Der mit Abstand größte und immer weiter wachsende Posten sind die sozialen Ausgaben. Ludger Schuknecht, stellvertretender Generalsekretär der OECD in Paris und einer der besten Kenner der Geschichte und Eigenlogik der Staatsausgaben, spricht von »sozialer Dominanz«: Ein Viertel des BIP der OECD-Staaten wird inzwischen von den Sozialausgaben absorbiert.
Viel Staatsgeld macht noch lange keinen besseren Staat
Nun argumentieren viele Politiker und Wissenschaftler, dass das Wachstum der Staatsausgaben gut sei, weil es Wohlfahrtsstaaten schafft, in denen die Bürger im sozialen Frieden, ohne große Ungleichheit und risikoversichert miteinander zusammen leben. Dort umsorge sie eine vom Staat unterhaltende öffentliche Daseinsvorsorge von der Wiege bis zur Bahre. Ein Staatsanteil von 40 Prozent und mehr wäre kein Drama, sondern ein Erfolg der zivilisatorischen Evolution und des sozialen Fortschritts.
Um diese Behauptung zu prüfen, müsste man zeigen, dass hohe Staatsausgaben auch besonders effizient sind. Das aber ist ein Irrtum. Denn immerhin gibt es auch heute eine große Spanne zwischen relativ schlanken Staaten (Schweiz, Irland, Australien), die mit rund 30 Prozent auskommen, und sehr üppig finanzierten Staaten (Schweden, Norwegen), die über 50 Prozent liegen. Glaubt man den Analysen von Ludger Schuknecht, so lässt sich nicht der geringste Kausalzusammenhang zwischen der Höhe der Staatsausgaben und der Qualität der staatlichen Leistungen nachweisen. Die schlanke Schweiz etwa hat eine hervorragende Infrastruktur (pünktliche Züge), ein straffes Rechtssystem, exzellente Bildung (ETH Zürich, Hochschule St. Gallen) und eine gute Alters- und Gesundheitsvorsorge. Das Prokopfeinkommen der Eigenossen liegt deutlich über dem unseren. Kurzum: Regierungen müssten nicht mehr als 30 bis 35 Prozent ihres Sozialprodukts ausgeben, um ihren Bürgern einen guten und sozialen Staat zur Verfügung zu stellen.
Was folgt daraus für die Debatte um die Schuldenbremse? Der Staat braucht keinesfalls noch mehr Geld, er würde seine Bürger weder glücklicher noch reicher machen. Es könnte aber sein, dass höhere Staatsausgaben etwa für saubere Schulen, schnelles Internet – Klammer auf: muss das wirklich der Staat machen? – oder die Dekarbonisierung nötig sind. Dann aber wäre es der naheliegende Weg, im Gegenzug die Sozialausgaben zu begrenzen. Man könnte, wie es der in Cottbus lehrende Ökonom Jan Schnellenbach im Blog Wirtschaftlichefreiheit vorschlägt, die Subventionen des Bundes durchforsten (darin sind auch Sozialausgaben), die inzwischen auf einen Rekordbetrag von 55,3 Milliarden Euro angewachsen sind, von denen aber mindestens 36 Milliarden laut Kieler Institut für Weltwirtschaft mehr als fragwürdig sind. Das wäre längst noch kein »Sozialabbau«. Dass die höchsten Präferenzen der Bürger an den Staat bei den Sozialausgaben lägen, ist ohnehin ein Mythos.
Kurzum: Hände weg von der Schuldenbremse. Wer neue Staatsausgaben für nötig erachtet, soll an anderer Stelle sparen. Masse dafür ist vorhanden.
Rainer Hank