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  • 18. Mai 2019
    Volksrepublik Deutschland

    Ich sage nur: China, China, China (Kurt Georg Kiesinger).

    Dieser Artikel in der FAZ

    China zu imitieren ist kein Zeichen von Stärke, Herr Altmaier!

    »Ist die DDR noch zu retten« war die Titelgeschichte des »Spiegel« am 6. November 1989 überschrieben. Die Frage hatte sich drei Tage später von selbst erledigt: Am 9. November brach die DDR zusammen.

    Im gleichen Spiegel-Heft vom 6. November 1989, mit gelber Banderole auf der Titelseite beworben, findet sich der Auftakt zu einer dreiteiligen Angstmacher-Serie mit der Überschrift »Japan gegen den Rest der Welt«. Auch diese Geschichte sollte ein historischer Rohrkrepierer werden: Wenige Monate danach erlebte Japan den Kollaps der Aktien- und Immobilienpreise, gefolgt von den »verlorenen zwei Dekaden« aus Depression und Deflation. Schlagartig war die »japanische Bedrohung« aus den Titelgeschichten westlicher Magazine verschwunden. Weil das alles lange her ist, lässt sich aber mit Asien-Geschichten immer noch den Leuten Angst machen: Man muss heute bloß Japan durch China ersetzen. Politiker, die selbst keine Erinnerung haben, schaffen es, ihr industriepolitisches Süppchen aus diesen Ängsten zu kochen. Nennen wir das Phänomen die »Altmaier-Amnesie«, eine schwere Form wirtschaftshistorischer Gedächtnisstörung.

    Alles schon mal dagewesen

    Werfen wir einen kurzen Blick auf den Spiegel-Dreiteiler über die japanische Gefahr. Er spiegelt die damalige Stimmung präzise. Die westliche Welt werde durch eine »wahre Flut japanischer Exportprodukte« überschwemmt, heißt es da, illustriert mit der Zeichnung einer von Japanern gefütterten Kanone, aus deren Lauf der wehrlose Westen mit billigen Computern, Kassettenrekordern und Autos beschossen wird. Mit Milliarden Dollar kaufe Japan die ganze Welt auf. Als Symbol dafür galt die Übernahme des Tiffany-Buildings an der New Yorker Fifth Avenue oder des Rockefeller Centers durch Mitsubishi. Ziel Nippons sei die »Deindustrialisierung« des Westens. Diesen »Herrschaftsdrang, der die fernöstlichen Geschäftsleute in aller Welt zu gefürchteten Eindringlingen werden« lasse, müsse den Westen ängstigen: »Leichen pflastern den Weg zum Sieg, niederkonkurrierte Unternehmen und ruinierte Branchen in den industrialisierten Altländern, Hundertausende, die sich nach neuen Jobs umgucken müssen, am Ende werden wir alle für die Japaner arbeiten«. Die bellizistische Metaphorik lässt keine Wünsche offen. Am Ende heißt es über den Wirtschaftskonflikt zwischen Japan und dem Rest der industrialisierten Welt: »Der Krieg findet längst statt!«

    Welchen Rat hatten die Krieger des Westens damals parat? »Von Japan lernen, heißt siegen lernen!«, hieß die Devise, deren deutscher Promotor der CDU-Politiker Lothar (»Cleverle«) Späth war. Am Band von Daimler, Opel & Co. wurde nun hektisch Gruppenarbeit eingeführt. Die Fertigungsmethoden bekamen japanische Überschriften: »Kaizen« bedeutete das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung der industriellen Fertigung. Wichtigstes Ziel des »Kaizen« war die »Nullfehlerstrategie«, mit der die deutschen Arbeiter am Band gehörig eingeschüchtert wurden. Vorbild für alle Politiker wurde das japanische »Ministry of International Trade and Industry«, kurz Miti, ein bürokratisches Monstrum mit 12000 Beamten, das dem Westen als erfolgreicher »Dirigent des japanischen Konzernorchesters« erschien. Den wirtschaftlichen Erfolg der »Japan AG« erklärte man nicht einfach als normalen Aufholprozess nach den Zerstörungen des Krieges, sondern als politisch gesteuerte, welterobernde Strategie einer »neuen Industriepolitik«, in der die Märkte politisch gelenkt werden müssten: »Die japanische Wirtschaft versteht sich als Teil der vom Kaiser geführten japanischen Großfamilie.«

    Mit Marktwirtschaft hat Altmaier nichts am Hut

    Es reicht, in den Texten von damals »Japan« durch »China« zu ersetzten und aus dem »Kaiser« die kommunistische »Partei« zu machen, um die Wiederholungsfalle sinnfällig werden zu lassen. Peter Altmaier fungiert als Inkarnation von Lothar Späth: Ein technokratischer Wirtschaftskrieger. Dem Programm »Made in China 2025«, das mit 20 Milliarden Euro Förderung 40 Innovationszentren in den 23 Provinzen Chinas eröffnet, will Altmaier eine »Nationale Industriestrategie 2030« entgegenstellen. Als eine Art neues »Mini-Miti« installiert Altmaier sein Ministerium, das »nationale Champions« in Deutschland ausspäht, »um schwere Nachteile für die deutsche Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden«. Das einzelne Unternehmen habe lediglich sein eigenes Fortkommen im Blick, nicht das des gesamten Landes, sagt Altmaier. Für letzteres – die globalen Kräfte- und Wohlstandsverschiebungen auszugleichen – ist Minister Altmaier selbst zuständig, gleichsam der menschgewordene objektive Geist nationaler Wirtschaftspflege.

    Altmaiers neue Industriepolitik gibt sich kämpferisch, ist in Wirklichkeit aber ein Zeugnis des Kleinmuts. Es ist das Gegenteil von Marktwirtschaft, nämlich staatlich gelenkte Politik, die meint, China imitieren zu sollen: Maoismus light. Altmaier gibt den deutschen Industrieunternehmen eine Bestandsgarantie. Siemens & Co. dürfen es sich bequem machen. Zugleich lässt er aus Deutscher Bank und Commerzbank einen »nationalen Champion« klonen. Hätte nicht schon aus Commerzbank und Dresdner Bank vor Jahre mit Staatsgeld ein nationaler Champion werden sollen? Selbst vor Verstaatlichung schreckt der Wirtschaftsminister nicht zurück. Eine »nationale Beteiligungsfazilität«, also ein deutscher Staatsfonds, soll den »Ausverkauf« nationaler Wirtschaft verhindern. Willkommen in der Volksrepublik Deutschland!

    Hidden Champions sind besser als National Champions

    »China imitieren zu wollen, zeugt nicht von Stärke«, sagt der China-Experte Horst Löchel, ein deutscher Volkswirtschaftsprofessor: Was Altmaier vorhat bezeichnet er als Rückfall in eine nationalzentrierte Abschottungspolitik, die unserem Wohlstand schadet und nicht nützt. Kaum ein anderes Land hat in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich so sehr von China profitiert wie Deutschland. Verantwortlich dafür sind nicht politisch geklonte »national Champions«, sondern die vielen »hidden Champions« etwa im Maschinenbau, deren Stärke aus technologischer Kreativität und Wettbewerbsbiss resultiert. Wenn chinesische Unternehmen in Deutschland investieren, dann stärken sie den Standort. Altmaier sollte sie nicht in die Flucht jagen, sondern persönlich begrüßen (»Willkommenskultur«). Alles andere ist Protektionismus am Rande des Imperialismus.
    Am 10. Juni 1985 gab es in der FAZ ein Leitartikel zur »neuen Industriepolitik« verfasst von Gerhard Fels, dem damaligen Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft und langjährigen Mitglied des Sachverständigenrats. Staatliche Instanzen seien überfordert, wenn sie künftige Gewinner im Wettbewerb herauspicken wollten, schreibt Fels. Das konserviere bloß alte Strukturen und verhindere Innovation und den Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Fels schließt: »Die Marktwirtschaft ist deshalb so robust, weil sie die Fähigkeit zur Selbstkorrektur besitzt. Krisen hat es immer gegeben. Früher oder später folgt daraus regelmäßig ein neuer Aufschwung.« Solche Sätze eignen sich prima als Arznei gegen die Altmaier-Aphasie. Nicht vor Chinas Stärke müssen wir Angst haben, sondern vor seiner Schwäche. Angst haben müssen wir auch vor der neuen deutschen Industriepolitik: Sie ist die eigentliche Gefahr für unseren Wohlstand.

    Rainer Hank