Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen24. März 2021
Volk oder Firma?Über den ökonomischen Schaden des Maskenskandals
Schadet Lobbyismus? Und wem schadet er? Diese Frage will ich anhand des sogenannten Maskenskandals erörtern. Nicht alle teilen die Voraussetzung, dass der Maskenskandal unter die Kategorie »Lobbyismus« fällt. Deshalb vorab eine Definition: Wenn Abgeordnete nicht nur im Auftrag ihres Gewissens, ihrer Wähler oder des ganzen Volkes handeln, sondern gleichzeitig auch im Interesse einer bestimmten Firma (einerlei, ob sie dafür Geld erhalten oder nicht), dann wollen wir dies Lobbyismus nennen. Korruption soll darüber hinaus der Missbrauch einer öffentlichen Position zur privaten Bereicherung heißen. Die Grenzen zwischen Lobbyismus und Korruption sind fließend; im Maskenskandal scheint beides vorzukommen.
Der politische Schaden liegt auf der Hand. Mindestens vier Prozentpunkte hat der Skandal die Union bislang bundesweit gekostet; sie liegt jetzt wieder unter dreißig Prozent. Auch der moralische Schaden ist hoch: Die Glaubwürdigkeit von Parlamentariern – präzise: von Unionsabgeordneten – hat empfindlich gelitten, damit auch die Glaubwürdigkeit der ohnehin gefährdeten Demokratie.
Aber wie steht es mit dem ökonomischen Schaden? Die Fälle sind durchaus verschieden. Beginnen wir mit der Schweizer Firma Emix Trading aus Zug. Im Frühjahr 2020 soll nach Spiegel-Recherchen die CSU-geführte Landesregierung in Bayern eine Million Masken des Unternehmens zum extrem hohen Preis von 10 Euro 50 je Stück angeschafft haben. Das Argument, so sei das eben in einer Marktwirtschaft in Zeiten hoher Nachfrage und knappen Angebots, zieht nicht: Es waren damals auch Masken in einer Preisspanne von drei bis sieben Euro zu bekommen. Warum dann aber Emix? Das ist inzwischen geklärt: Monika Hohlmeier, Europa-Abgeordnete der CSU und Tochter von Franz Josef Strauß, hat zugegeben, dass sie ihrer Freundin Andrea Tandler, Unternehmerin und Tochter des früheren CSU-Ministers Gerold Tandler, mit Kontakten bei der Vermittlung von Emix-Masken geholfen hat. Dass Emix eine Provision bezahlt habe, bestreitet Frau Hohlmeier energisch. Rational wäre es aus Sicht von Emix gleichwohl gewesen; die Marge hätte es hergegeben.
Die Zeche zahlt der Bürger
Bleibt die Frage, warum lässt sich der staatliche Auftraggeber auf solch ein überteuertes Geschäft ein? Unter dem Motto »Not kennt kein Gebot« scheint man offenbar in den ersten Pandemie-Monaten das öffentliche Vergaberecht suspendiert zu haben, welches gebietet, dem besten und günstigsten Angebot den Zuschlag zu geben. Hauptsache Masken! »Open-House-Verfahren« wurde dies genannt. Was unbürokratisch daherkommt, hat verheerende Konsequenzen: statt gut und billig lieferte Emix teure und lausig schlechte Ware. Wer den Preis zahlt, ist klar: Der Bürger und Steuerzahler. Als Steuerzahler muss er mehr zahlen als marktüblich. Und als vor Corona zu schützender Bürger ärgert er sich, dass die Masken am Ohr nicht halten und vom Mund fallen.
Im Prinzip ähnlich, aber mutmaßlich dreister und mit mehr Krimi-Elementen, stellt sich der Fall des CSU-Politikers Georg Nüßlein dar. Auch er hat Millionengeschäfte mit Masken vermittelt, sich dafür eines Netzes von Konten und Zwischenhändler bedient und am Ende – angeblich am Fiskus vorbei – 660 000 Euro für Vermittlerdienste eingestrichen. Es fällt auf, dass die Abgeordneten sich für solche Transaktionen eigener Beraterfirmen oder Anwaltskanzleien (wie der CSU-Abgeordnete Alfred Sauter) bedienen. So lässt es sich im Übrigen behaupten, man habe kein Geld genommen – denn die Provisionen oder Anwaltshonorare flossen auf die Konten der eigenen Firmen und Kanzleien.
Anders gelagert ist der Fall des Mannheimer CDU-Abgeordneten Nikolas Löbel. Hier geht es nicht um die Vermittlung von Ware privater Unternehmen an den Staat, sondern um Geschäfte zwischen privaten Firmen. Löbel hat an Unternehmen seines Wahlkreises in großem Stil Masken des Herstellers Bricon Technology aus dem schwäbischen Wurmlingen vermittelt. Dafür hat er pro Maske zwölf Cent erhalten, was sich auf 250 000 Euro geläppert haben soll. Nun müsste man daran nichts anstößig finden. So arbeiten Makler immer, wenn sie Nachfrager und Anbieter zusammenbringen und dafür eine Courtage kassieren. Der Düsseldorfer Wettbewerbsökonom Justus Haucap hat darauf hingewiesen, dass im April 2020, als das Geschäft zustande kam, Masken verdammt knapp waren und jeder, der Masken herstellte, diese auch ohne Makler auf der Stelle loswurde. Wenn der Käufer zwölf Cent pro Maske mehr zu zahlen bereit war, hätte Bricon problemlos zwölf Cent draufschlagen und als Gewinn selbst einstreichen, statt eine Provision an Löbel zu zahlen.
Is it whom you know or what you know?
Kurzum: An der Sache stimmt etwas nicht. Haucaps Vermutung geht so: Bricon sitzt zwar im Schwäbischen, gehört aber einem Abgeordneten des chinesischen Volkskongresses. Löbel wiederum ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Wenn die Firma eines Abgeordneten des Chinesischen Volkskongresses einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages 250 000 Euro für eine Leistung zahlt, die offensichtlich völlig überflüssig ist, dann liegt für einen Ökonomen der Verdacht nahe, dass das Unternehmen des chinesischen Politikers eine andere Gegenleistung erwartet haben könnte als die Vermittlungsleistung, die nicht nötig war. Welche? Man macht sich halt so seine Gedanken.
Nun hört man immer, Lobbyismus sei nicht generell böse, sondern erfülle auch positive Aufgaben. Eine Regierung brauche Fachleute aus der Wirtschaft, wenn sie Gesetze plane. Und ein Unternehmen müsse das Ohr an der Politik haben, um zu erfahren, wie sich die politischen Rahmenbedingungen gestalten. Das hört sich gut an. Doch wie ist das Verhältnis von positiven zu negativen Effekten des Lobbyismus? Dazu gibt es eine hübsche Untersuchung der amerikanischen Ökonominnen Marianne Bertrand und Matilde Bombardini (»Is it whom you know or what you know«) aus der American Economic Review (2014). Die Wissenschaftler teilen die Lobbyisten ein in »Spezialisten« und »Netzwerker«. Spezialisten sind die »Guten«, Fachleute, deren Expertise der Politik und dem Unternehmen nützt. Netzwerker sind die »Bösen«, sie haben privilegierten Zugang zu politischen Entscheidern, zum Beispiel weil sie in der gleichen Partei sind. Grob kann man sagen, dass alle Fälle des Maskenskandals in die Kategorie Netzwerker gehören.
Die ernüchternde Botschaft der Ökonominnen lautet: Mehr als Dreiviertel der Lobbyisten sind keine Spezialisten. Über die Hälfte von ihnen fällt klar in die Kategorie Netzwerker. Lediglich einer von sieben ließ sich eindeutig als Spezialist einordnen, ohne zugleich auch als Netzwerker zu gelten. Fairerweise muss man sagen, dass die Untersuchung sich auf die Vereinigten Staaten bezieht, wo das Lobbytum noch ausgeprägter ist als hierzulande. Doch der Maskenskandal ist ein Indiz dafür, dass es auch in Berlin oder München strukturell ähnlich zuzugehen scheint wie in Washington.
Fazit: Lobbyismus schadet politisch und moralisch. Und erst recht ökonomisch: Der Verbraucher zahlt höhere Preise für schlechtere Ware. Der Bürger zahlt höhere Steuern. Zudem festigt der Lobbyismus die Macht von Unternehmen, ohne dass diese auf Überlegenheit im Wettbewerb beruht. Lobbyismus schädigt die Wettbewerbsordnung und ist vom Übel. Wir werden ihn gleichwohl nie los.
Rainer Hank