Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen09. August 2022
Verhätschelte ArbeitnehmerHomeoffice auf Bali, Achtsamkeit im Büro
Neulich auf einer Party. Viele Personaler waren da. Es gab es (fast) nur ein Thema: Wer hat wie lange Anrecht auf Homeoffice? Und kann ein Homeoffice auch bei den Eltern in Griechenland, dem Surflehrer am Gardasee oder artverwandten Aussteigern auf Bali durchgehen?
Heerscharen von Juristen bei Arbeitgebern und Gewerkschaften tüfteln derzeit Betriebsvereinbarungen aus, welche die Bedürfnisse der Belegschaften und des Betriebs mit den Fallstricken des Arbeits- und Steuerrechts in Griechenland, Italien oder Indonesien unter einen Hut bringen müssen.
Das Büro, wie wir es kennen, wird es künftig nicht mehr geben. Arbeitnehmer sind in bestimmten Grenzen frei zu wählen, wo sie arbeiten. Arbeitgeber freuen sich, dass sie teure Office-Mieten und kriegs- und inflationsbedingt steigende Heizkosten sparen – eine Win-Win-Situation.
Die neue Fürsorglichkeit der Unternehmen für ihre Mitarbeiter hat viele Gründe: Corona hat die Einstellung zum Arbeitsplatz nachhaltig verändert. Der exklusive Schreibtisch für jeden (früher gerne mit Grünpflanze und den Porträtfotos der Liebsten) ist Vergangenheit. Mit Smartphone und Laptop gerüstet, lässt es sich nachgerade überall auf der Welt komfortabel arbeiten. Mehr und mehr kommen die Begriffe Dienstreise und Dienstsitz außer Mode, weil der Ort keine Rolle spielt. Gut, eine Arbeitsnomadenexistenz passt weder auf den Gemüsehändler um die Ecke noch auf die Richterin am Oberlandesgericht oder den Mechatroniker bei Porsche. Aber auf die vielen Leute im mittleren oder Top-Management der allermeisten Branchen passt es schon: Sie mutieren zu globalen Streunern, die ihre Arbeit dort erledigen, wo familiäre Bedürfnisse und individuelle Vorlieben am besten harmonieren.
Firmen müssen mehr bieten als gute Bezahlung
Wenn Arbeitskräfte knapp sind, müssen die Firmen im Wettbewerb um gutes Personal mehr bieten als nur eine gute Bezahlung. Was man früher »fringe benefits« genannt hat, Nebenleistungen, mausert mehr und mehr zum entscheidenden Argument für Bewerber, ob sie eine Jobofferte annehmen oder nach einer besseren Alternative suchen.
Dass die Firmen das alles aus purem Stakeholder-Altruismus machen, ist kaum anzunehmen. »The business of business is business«, so lautet die immer noch gültige Doktrin des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman. Zufriedene Arbeitnehmer sind auch produktive Arbeitnehmer, so könnte man die Doktrin übersetzen. Empathie sollte niemand mit selbstlosem Mitgefühl verwechseln. Ein ambitioniertes Unternehmen sucht sich die besten Leute und bietet ihnen dafür die besten Bedingungen. In den siebziger Jahren hätten wir die neumodische Hätschelei als perfiden, jedoch systemimmanenten Übergriff des kapitalistischen Systems auf die Menschen zu decouvrieren gesucht. Oder so ähnlich.Wirklich neu ist das gerade nicht. Es wandelt sich lediglich der Charakter der Wohltaten. In meiner Heimatstadt Stuttgart gab es noch in den siebziger Jahren das »Postdörfle«. In bester Stadtlage, ganz nahe am Hauptbahnhof, stand seit dem späten 19. Jahrhundert diese Arbeitersiedlung für »niedere« Post- und Eisenbahnbedienstete. Heute würde man das als eine Art Ghettoisierung kritisch sehen. Ich denke, damals fand man es eher schön, nah mit den Kollegen und ihren Familien zusammen zu leben. Angesichts hoher Mieten könnten solche Werkswohnungen – die es bei VW in Wolfsburg und BASF in Ludwigshafen bis heute gibt – wieder Konjunktur bekommen: Die Deutsche Bahn bietet ihren Beschäftigten in München jetzt Wohnungen an zu Mieten, die unter dem Marktpreis liegen.
Dabei erstreckt sich die Fürsorge der Firmen auch auf das psychische und physische Wohlergehen ihrer Mitarbeiter. Gesundheit geht vor in einer Welt der körperlichen und seelischen Perfektionierung. Psychische Probleme zu thematisieren, galt lange Zeit als Tabu, war gekoppelt an die Angst vor Stigmatisierung oder gar Kündigung. Inzwischen bieten die Unternehmen freigiebig Therapien bei Depressionen oder Burnout an. Bei vielen Unternehmen ist die Achtsamkeitsapp »Headspace« beliebt. Deren Motto lautet »Be kind to your mind«, sehr frei übersetzt mit »Brillante Ideen entstehen nur im entspannten Körper«. EAP – ausgeschrieben »Employees Assistant Program« – ist ein in Amerika erfundenes Konzept der therapeutischen Fürsorge, bei dem der Arbeitgeber ein Gesundheitsunternehmen dafür bezahlt, dass die Beschäftigten das Recht auf eine bestimmte Anzahl von Therapiestunden bekommen, ohne dafür dem Arbeitgeber Rechenschaft zu schulden oder ihn auch nur davon informieren müssen. Eigene Sport- und Fitnessanlagen (oder aber ein Discount beim Besuch eines Fitnessstudios), kostenloses Kantinenessen auf Gourmetniveau mit angeschlossenem Tischfußball bieten Firmen schon seit der Jahrtausendwende (»New Economy«). Björn Borg, ein Sportartikelhersteller, brüstet sich, man habe es mit solchen Angeboten geschafft, das biologische Alter der Belegschaft auf 27 Jahre zu drücken, während der »wirkliche« Altersdurchschnitt bei 32 Jahren liege.
Auf dem Weg zum »Nanny Employer«
Immer mehr Rücksicht nimmt der Arbeitgeber auch auf die familiären Belastungen und wiederkehrenden körperlichen Beschwerden. Kranke Kinder oder pflegebedürftige Angehörige haben Vorrang vor der Arbeitspflicht. Seit Spanien vor kurzem den Menstruationsurlaub eingeführt hat, fordern viele so etwas auch hier. Konsequent diskutiert Großbritannien jetzt über ein Recht auf bezahlten Urlaub für Frauen während der Menopause.
»Do we want a nanny employer?«, hat die Financial Times kürzlich gefragt: Soll der Betrieb Kindermädchen für seine Mitarbeiter spielen? »Kindermädchen« klingt pejorativ. Es ist eine Analogie zum Nanny Staat, einem Wohlfahrtsstaat, der sich anmaßt, für das Glück seiner Bürger zuständig sein zu wollen. Doch die Analogie ist schief. Der Staat muss sich mehr zurücknehmen als eine Firma. Dem Staat kann sich kein Bürger entziehen, wenn er dessen Beglückungsoffensive ablehnt, es sei denn durch Auswanderung. Das Achtsamkeits-, Yoga- oder Fitnessprogramm meiner Firma kann ich ignorieren. Wird es zu penetrant, kann ich mir ein Unternehmen suchen, welches weniger Arbeitnehmerbeglückung anbietet, dafür dann aber hoffentlich eine bessere Bezahlung nach Leistung.
Mehr Geld satt Betüddeln, das finde ich persönlich die überzeugendere, weil liberale Lösung. Der Betrieb soll mich gut bezahlen. Dann steht es mir frei, mit diesem Geld nach meinem Geschmack, Achtsamkeit zu pflegen und mir eine schöne Wohnung zu leisten. Aber okay, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber lieber auf die neuen »fringe benefits« stehen, wer will es ihnen verwehren.
Rainer Hank