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  • 18. September 2023
    Über tausend Brücken

    BASF Werk Ludwigshafen Foto BASF

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie Subventionen die Klima-Transformation konterkarieren

    Mein derzeitiges Lieblingswort heißt »Brückensubvention«. Nein, damit sollen nicht die maroden Brücken auf deutschen Bundesstraßen und Autobahnen repariert werden, obwohl die es gewiss auch nötig hätten. Mit einem verbilligten »Brückenstrompreis« (mithin eine Subvention) soll energieintensiven Betrieben der Grundstoffindustrie wie Chemie oder Stahl vom Staat finanziell unter die Arme gegriffen werden, geht es nach Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Für diese Konzerne soll der Strompreis bei einer Obergrenze gedeckelt werden.

    Nun ist es per se etwas merkwürdig, dass ein Minister aus einer Partei, die nach meiner Kenntnis nicht von der deutschen Schwerindustrie gegründet wurde, Subventionen für das Großkapital in die Diskussion bringt. Habeck sagt, es gehe um die Sicherung des Standorts und dessen Wettbewerbsfähigkeit angesichts im internationalen Vergleich enorm gestiegener Strompreise hierzulande. Abwanderung der Firmen, Wohlstandsverluste und Arbeitslosigkeit stehen dahinter als Schreckgespenste. Das Argument, wen wundert’s, hat Habeck von der Industrie, ihren Verbänden und den Arbeitnehmerorganisationen, die in gut deutsch-korporatistischer Tradition erpresserisch Lobbyarbeit betreiben. Das funktionierte nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs schon einmal ziemlich gut, als die vom Institut der Deutschen Wirtschaft munitionierten Lobbyisten der Politik eingeflüstert haben, ein totales Gas- und Stromembargo werde Deutschland in die Steinzeit zurückwerfen. Als dann nur wenig später Nordstream 2 demoliert wurde, zeigte sich, dass das alles interessengeleitete Propaganda war.

    Noch stemmen sich Finanzminister Christian Lindner und Kanzler Scholz gegen den Wirtschaftsminister und seine Freunde in der Industrie. Aber sie sind politisch allein auf weiter Flur. Obwohl sie die besseren ökonomischen Argumente haben. Das lässt sich in einem Gutachten des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats des Finanzministers nachlesen. Ich fasse zusammen: Es sei fraglich, ob Deutschland langfristig komparative Vorteile bei energieintensiver Wertschöpfung aufweisen werde, heißt es da. Die Förderung energieintensiver Industrien habe zur Folge, dass notwendige strukturelle Anpassungen unterbleiben und Wertschöpfungen, die nicht wettbewerbsfähig sind, mit öffentlichen Mitteln aufrechterhalten werden. Am Ende kommt es dann zum Gegenteil dessen, was Habeck beabsichtigt. Statt mithilfe von Subventionen wettbewerbsfähig zu bleiben, verliert Deutschland durch Milliardenbeihilfen seine Wettbewerbsfähigkeit. Und nur nebenbei: Der Strompreis in Deutschland ist nicht überhöht, sondern liegt im europäischen Durchschnitt.

    Wer’s glaubt, wird selig

    Es geht immerhn um 30 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. Danach soll nach den Beteuerungen von Habeck Schluss sein. Deshalb Brücke. Wer’s glaubt, wird selig. Das ist das klassische Vernebelungsargument zur Durchsetzung von Subventionen. Sie werden als zeitlich befristet vermarktet und bleiben doch ewig erhalten. Hinzu kommt: Die Subvention ist ungerecht. Kleine Betriebe, die Habeck als international nicht gefährdet ansieht, gehen leer aus. Und überhaupt, so wieder die Ökonomen: Dass der Preis für fossil erzeugten Strom steigt, ist aus Klimagründen ausdrücklich gewollt und dieser Preis wird, um indirekte CO2–Kosten abzufedern, allein in diesem Jahr mit drei Milliarden Euro subventioniert. Dass der Strom nicht billiger ist, ist auch die Folge davon, dass Deutschland alle Atomkraftwerke abgeschaltet hat. Dieselben Grünen, zu deren irrationalem Dogma es gehört, Atomenergie zu verteufeln, wollen jetzt den daraus entstandenen Schaden mit dem Geld des Steuerzahlers kompensieren. Verkehrte Welt.

    Das Beispiel des Brückenstrompreises wäre an sich schon ziemlich hirnrissig. Doch der Wahnsinn hat Methode. Das hat die Bertelsmann-Stiftung jüngst dokumentiert. Danach gibt der Bund jedes Jahr 65 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen aus – nur um auf der anderen Seite mit einem weiteren zweistelligen Milliardenbetrag die regenerative Transformation zu subventionieren. Für die jeweiligen Zwecke heben sich die Wirkungen mutmaßlich auf. Für den Bürger addieren sich die Milliardenbeträge.
    Das lässt sich besonders schön an der Entfernungspauschale zeigen, die vor zwei Jahren sogar noch einmal erhöht wurde. Die soll den durch die CO2–Bepreisung gestiegenen Spritpreis sozial kompensieren und führt, wenn es gut geht, dazu, dass, je weiter die Strecke zur Arbeit und je höher das Einkommen des Arbeitnehmers, am Ende sogar noch ein kleines Trinkgeld für den Pendler rausspringt. Einerseits will man durch die CO2–Bepreisung das Verhalten der Bürger und Unternehmen »zum Guten« lenken: Sie sollen auf E-Autos umsteigen oder ihre Fabriken dekarbonisieren. Sobald die aber merken, dass das teuer wird, ist das Geschrei groß. Und die Politik knickt vor den Lobbyisten ein, muss freilich in Kauf nehmen, die Klima-Transformation zu konterkarieren.

    Koch-Steinbrück sind auch gescheitert

    Das ist unaufrichtig und ungerecht zugleich. Denn bei Subventionen gilt stets die Formel: Je lauter das Gebrüll, desto höher die Alimentierung. Wer Einzelfallgerechtigkeit herstellen will (die armen Pendler, die arme energieintensive Industrie, die armen Landwirte) landet am Ende in der totalen Ungerechtigkeit.

    Wir waren schon mal weiter. Jedenfalls in der Theorie. Es ist genau zwanzig Jahre her, als eine gemeinsam von dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück und dem Christdemokraten Roland Koch geleitete Kommission einen Vorschlag zum radikalen Subventionsabbau gemacht hat. Eine Die Pendlerpauschale abzuschmelzen, gehörte übrigens zu diesen Vorschlägen. Der Ansatz war auch methodisch raffiniert. Nur wenn die Klientel von Links wie Rechts Federn lassen muss und der Rasenmäher über alle Subventionen fährt, gibt es Chancen auf Durchsetzung der Subventionseinschnitte. Das Ergebnis von Koch/Steinbrück war freilich ernüchternd: Passiert ist nicht nur nichts, sondern die Subventionitis grassiert seither noch viel stärker. Das kann man en detail in den Subventionsberichten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nachlesen, die in unregelmäßigen Abständen den Wahnsinn dokumentieren.

    Warum setzt sich die Vernunft nicht durch? Das ist unschwer zu durchschauen: Subventionen begründen Besitzstände, auf die niemand gerne verzichte, zumal ein Verlust von etwas immer schwerer wiegt die Verheißung von etwas Neuem, wie die Verhaltensökonomen wissen. Politiker, die allen die Subventionen kürzen, müssen die Strafe aller ihrer Wähler fürchten. Da ist es »vernünftiger«, vielen Gruppen viele Wohltaten zu gönnen. Soll bloß niemand sich beschweren – schon gar nicht die Grünen -, wenn bei solch einer Strategie der Springprozession über Brücken die Bewältigung der Klimawandel am Ende auf der Strecke bleibt.

    Rainer Hank