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  • 11. Juni 2024
    'tschuldigen Sie!

    Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister für Wirtschaft und KLimaschutz. Foto BMWK

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie verlogen ist unsere politische Fehlerkultur?

    Robert Habeck gilt als »Pionier der politischen Fehlerkultur«. Kürzlich hat er eine Entschuldigung für das von der Ampel völlig vergeigte Heizungsgesetz vorgetragen: »Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, also wie heizen wir in Zukunft, war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz – wenn er konkret wird – zu tragen. Und da bin ich zu weit gegangen.«

    In den Kommentaren dazu kam Habeck meist gut weg. Der Minister zeige sich »reumütig«, war zu lesen. Er verfüge über die Größe, Fehler einzugestehen. Einige haben Habeck zum Helden eines neuen Politikstils ausgerufen, mit der die Spaltung der Gesellschaft überwunden werden könne: Die Entschuldigung als Angebot zur Versöhnung.
    Das Drehbuch für Habecks Entschuldigung klingt, als sei es von einer PR-Agentur geschrieben, die sich auf Krisen- und Reputationskommunikation spezialisiert hat. In deren Handbüchern liest man, der Entschuldigende müsse sich »verletzlich zeigen«, er müsse »die Opfer im Blick« haben, »aufrichtig wirken« und versprechen, »sein Verhalten in der Zukunft zu ändern«. Wie schrieb schon der Philosoph Theodor W. Adorno: »Geliebt wirst du einzig, wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.«

    Habeck, der studierte Philosoph, erweist sich als Schüler Adornos, zeigt Schwäche und versteht zu verhindern, dass seine Gegner gestärkt werden. Die paternalistische Arroganz fällt erst auf den zweiten Blick auf. Habeck sagt, seine Partei wisse, was klimapolitisch zu tun sei, habe die Bürger »getestet«, ob sie da mitmachen und »ehrlicherweise« feststellen müssen, dass sie kleinen Kindern gleich dazu nicht willens oder nicht bereit seien. Habeck redet wie ein Vater, der erkennen muss, dass sein Söhnchen noch nicht alleine laufen kann und einsehen muss, zu weit gegangen zu sein, als er ihm die stützende Hand entzog. Das ist dann weniger Adorno als Plato, der antike Philosoph, der meinte, am besten werde der Staat von Experten regiert, die dem dummen Volk sagen, wohin es die Wärmepumpe zu hängen habe. »Niederträchtig« hat der Kolumnist Harald Martenstein, auch eine Art Philosoph, den Politiker-Satz »Wir müssen unsere Politik den Menschen nur besser erklären« genannt. Habeck sagt, er sei zu weit gegangen, nachdem sich durch einen von der Exekutive veranstalteten Volks-Test herausgesellt habe, dass die Menschen noch nicht reif seien für grüne Umerziehungspolitik.

    Die Entschuldigung als Waffe

    Die Entschuldigung wird zur Waffe im Kampf um Selbstbehauptung; sie setzt den anderen Schachmatt: »Was willst Du denn, ich habe mich entschuldigt.« Wer nach einer Entschuldigung argumentativ nachtritt, outet sich als Rechthaber, setzt sich selbst ins Unrecht und muss am Ende fürchten, dass nun von ihm eine Entschuldigung verlangt wird fürs nicht Annehmen einer Entschuldigung. Eine Entschuldigung hat man zu akzeptieren ohne Wenn und Aber. Notorischen Haarspaltern fällt ein, dass einem der Lehrer damals beigebracht hat, man könne sich gar nicht selbst entschuldigen, sondern lediglich den, den man verletzt hat, um Entschuldigung bitten. Das hilft aber auch nicht heraus aus der Schachmattfalle: »Wir bitten unseren Sohn wegen starker Kopfschmerzen und Übelkeit zu entschuldigen«, hatten die Eltern auf den Zettel geschrieben, den man »Entschuldigung« nannte.

    Einiges spricht dafür, dass es hierzulande nicht an einer Kultur, Fehler einzugestehen, gebricht, sondern vielmehr längst eine grassierende Entschuldigungskultur um sich gegriffen hat. Ein kurzer Blick ins FAZ-Archiv liefert mengenweise Beispiele. Während Corona berühmt wurde der Satz des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), der aus den Deutschen eine einzige Entschuldigungsgesellschaft machen wollte: »Wir werden einander viel verzeihen müssen.« Als dann das Kabinett Merkel ausgerechnet über Oster einen Lockdown beschlossen und kurz darauf wieder zurückgenommen hatte, bekannte die Kanzlerin, der Entschluss sei »einzig und allein« ihr Fehler, für den sie die Bürger um Verzeihung bitte.

    Dieses alle Schuld auf sich nehmende Bekenntnis kennt man als »mea culpa« aus dem Stufengebet der Messe in der katholischen Kirche. Was geradewegs zur protestantischen Bischöfin Margot Käßmann führt, die, nachdem sie alkoholisiert eine rote Ampel überfahren und des Fehltritts überführt worden war, bekannte, sie habe einen schweren Fehler gemacht, den sie zutiefst bedauere, um sich selbst im gleichen Zug Trost zuzusprechen mit dem Satz: »Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.« Der Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU), des Plagiats in seiner Doktorarbeit bezichtigt, entschuldigte sich bei allen, »die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe«.
    Ein Plagiat ist eine Lüge. Eine Entschuldigung ist dagegen immer eine Entschuldigung; es lässt sich schwer nachweisen, dass sie nicht aufrichtig ist. Sie kommt als Schwächebekenntnis daher, hat aber die strategische Absicht, Stärke zurückzugewinnen. Im abendländisch.-christlichen Höflichkeitsdiskurs dient sie dazu, Boden zu gewinnen. Wer sich selbst erniedrigt, will erhöht werden, so die Bibel leicht abwandelnd Friedrich Nietzsche (»Menschliches, Allzumenschliches«).

    »Sorry« kompensiert fehlende Triggerwarnung

    Womöglich ist die Inflation der Entschuldigungen auch eine Reaktion auf die Inflation wehleidiger Verletzlichkeit. Wer vergaß, rechtzeitig eine Triggerwarnung auszusprechen, dem bleibt nur, sich schleunigst zu entschuldigen. So die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die beim deutschen Kanzler »geradezu autistische Züge« wahrgenommen haben will – um wenig später alle Autisten kollektiv um Entschuldigung zu bitten, nicht aber Olaf Scholz.

    Entschuldigung – so viel Proseminar-Linguistik muss sein – ist ein performativer Akt. Wer sich entschuldigt, benennt nicht nur etwas, teilt nicht nur etwas mit, sondern macht etwas mit Worten: Ich entledige mich meiner Schuld, indem ich »Entschuldigung« sage. Der kulturelle Kontext erfordert, diesen Akt als Reinigungsritual zu akzeptieren. Man kann einer Entschuldigung schlecht widersprechen, siehe oben. Gut, es gibt Ausnahmen. Armin Laschet (CDU) hat sich für seinen Lacher im überschwemmten Ahrtal entschuldigt, was ihm die Wähler bei der Bundestagswahl nicht als mildernde Umstände haben durchgehen lassen. Ähnlich geht es gerade den Nazi-Grölern auf Sylt, deren Entschuldigung nicht dazu geholfen hat, dass sie vom Pranger losgebunden wurde. Wenn der Konformitätsdruck der Umwelt emotional besonders heiß kocht und/oder der, der seine Schuld bekennt, besonders hassbedacht wird, dann nützt ihm weder Selbstkritik noch Schuldbekenntnis. Womöglich ahnte der Alt-Kanzler Gerhard Schröder dies, als er bockig eine Entschuldigung für seine Putin-Freundschaft verweigerte: »Mea culpa ist nicht mein Ding«.

    Rainer Hank