Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

‹ alle Artikel anzeigen
  • 27. August 2024
    Streit ist das Wesen der Demokratie

    Sieht doch ganz harmonisch aus, oder? Foto Bundespresseamt

    Dieser Artikel in der FAZ

    Doch leider weiß die Ampel nicht, wie das geht

    Die Ampel streitet. Das ist keine überraschende Meldung. Sondern der Normalfall der aktuellen Regierungskoalition. Die Sommerwochen waren geprägt von einem Haushaltsstreit um Milliardeneinsparungen, bei denen jedes Ressort der Meinung war, am besten sei es, das Nachbarressort würde sparen. Noch besser natürlich wäre es, man dürfe mehr Schulden machen. Dann müsste keiner sparen. Inzwischen verharren die Koalitionäre in einer Mischung aus Lethargie und Depression.
    Streit kommt bei den Bürgern schlecht an. Wenn Regierungen sich streiten, verlieren sie an Zustimmung in den Umfragen der Meinungsforscher. Das ist verständlich, rührt vermutlich aus unserer Kindheit. Wenn Kinder sich streiten, schimpfen die Eltern. Die FDP-Koalitionäre benähmen sich »wie bockige Kinder«, heißt es. Kommentatoren erinnern den Kanzler an seinen Satz: »Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.« Na, so was, und jetzt haut er nicht auf den Tisch, der Schwächling. »Wir brauchen einen starken Politiker an der Spitze, keine endlosen Debatten und Kompromisse«, sagen 60 Prozent der Bürger in Ost-, aber auch 49 Prozent der Leute in Westdeutschland. So steht es in der jüngsten Allensbach-Umfrage für die FAZ vom 22. August.

    Der Wunsch nach »Führung« durch einen starken Mann offenbart ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Man könnte es den autoritären Charakter nennen. Machertypen sind gefragt, die sagen, wo es lang geht und dafür sorgen, dass alle an einem Strang ziehen. Es sind dieselben Stimmen, die uns täglich mit besorgter Miene davor warnen, die Populisten von AfD oder BSW wollten die Demokratie abschaffen und den Autoritarismus oder gar den Faschismus einführen, die von den derzeit regierenden Demokraten Autoritarismus fordern und den Konflikt als Kleinkinderei kritisieren.

    Den »autoritären Charakter« gibt es auch bei Demokraten

    Wer die liberale Demokratie verteidigen will, muss den Konflikt verteidigen und sich über den Streit freuen. Kompromissfindung ist mühselig. Doch so funktioniert das politische System. Um Mehrheiten zu bilden, braucht es Koalitionen unterschiedlicher Parteien mit unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen. Man könnte eine Koalition eine Institution zur Internationalisierung von Opposition innerhalb eines Regierungsbündnisses nennen. Dass der FDP regelmäßig vorgeworfen wird, sie verhalte sich wie die Opposition in der Regierung, wäre, so gesehen, systembedingt und systemgewollt. Und nicht einer destruktiven Lust an der Blockade geschuldet. Wer die binnenkoalitionäre Opposition nicht will, muss ein Mehrheitswahlrecht einführen (wie in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten). Da nimmt sich der Sieger alles und kann durchregieren. Das wollten die Deutschen ja gerade nicht, weil sie ihre Neigung zum Autoritären zu kennen und sich durch ein Verhältniswahlrecht gegen ihre historische Charakterschwäche schützen wollten.

    Koalitionen sind teuer. Je mehr Parteien eine Koalition bilden, umso kostspieliger wird es am Ende für den Steuerzahler. Denn jeder der Koalitionäre muss seiner Wählerklientel beweisen, dass er etwas für sie herausgeholt hat. Sonst hätte die Stimme an der Wahlurne keine Rendite abgeworfen und man könnte das nächste Mal gleich die anderen wählen.

    So viel zur politischen Theorie. Jetzt zur politischen Praxis der Ampel. Mein Eindruck ist, dass das rot-grün-gelbe Bündnis bei seinem Gründungsakt selbst nicht wusste oder nichts davon wissen wollte, dass Koalitionen zu Konflikt und mühsamer Kompromissfindung verdammt sind. Zum Beweis reicht ein Blick in den Koalitionsvertrag (144 Seiten!), in dem es von Konsenspathos nur so trieft. »Mehr Fortschritt wagen«, so lautete das Motto, mit dem man Deutschland und den Deutschen eine Art Paradies auf Erden versprach. Die Dreiparteientruppe meinte, sich den Konflikt sparen zu können, um gleich mit dem Weltverbessern zu beginnen.

    Dumm nur, dass sich rasch herausstellte, dass man unterschiedliche Vorstellungen hatte, wie die Welt zu verbessern sei. Der SPD war es vor allem um den weiteren Ausbau des ohnehin schon üppigen Sozialstaats zu tun. Bürgergeld (in Wirklichkeit Stütze ohne Gegenleistung), Kindergrundsicherung, Rentenversprechen ohne Rücksicht auf demographische Finanzierungsnot), satte Mindestlöhne: Vorhaben, die viel Geld kosten und selbst durch die »Zeitenwende« keiner Korrektur unterzogen werden durften. Weltverbesserung mit dem Kopf durch die Wand.

    Getoppt wurde das von den notorisch zur Bürgerbevormundung neigenden Grünen: Eine CO2–neutrale Welt, möglichst übermorgen, braucht weder klimaneutralen Atomstrom noch Gas oder Kohle. Eine schöne neue Welt, flächendeckend überzogen von E-Autos, Fahrrädern und Wärmepumpen. Teuer, aber wer wird kleinkrämerisch übers Geld reden.

    Die FDP stimmt erst zu und widerrurft später

    Im Konsensdusel des zauberhaften Anfangs hat die FDP unterschrieben, was sie eigentlich nicht wollen konnte, nämlich all die von SPD und Grünen versprochenen Wohltaten. Und dazu einen Haushaltstrick zur Umgehung der Schuldenbremse mitgetragen, den später das Verfassungsgericht kassiert hat. Darüber hinaus hat die FDP auch in Brüssel ziemlich viel ordnungspolitischen Unsinn mitgetragen (Lieferkettenverordnung, Renaturierungsgesetz).

    Als die FDP mit Blick auf ihre Wähler endlich aufwachte und zu opponieren begann, wargen die teuren Beschlüsse meist schon auf dem Weg vom Kabinett ins Parlament. Dass dies kognitive Dissonanzen zu erkennen gibt, die von Rot und Grün in der Koalition liebevoll-boshaft ausgespießt werden, nimmt nicht Wunder. Die Widersprüche ermöglichen es, die Liberalen als eine Blockadetruppe öffentlich zu geißeln, die sich von der Fortschrittspolitik angewandt habe. In Wirklichkeit hätte sich die FDP nie dafür hergeben sollen, eine Politik des üppigen Sozialstaatsausbaus und der überteuerten Klimatransformation Fortschritt zu heißen. Sie hätte besser nie den üppigen Subventionen an die Großindustrie zugestimmt, die den Standort nicht stärken, sondern seine Schwäche offenbaren. Erst mitmachen und hinterher mosern – schwierig.

    Zurück zum Streit. Die parlamentarische Opposition kann sich Fundamentalwiderstand leisten, muss es womöglich tun, um auf dem Weg zur Entmachtung der Regierung ihre Alternativen deutlich zu machen. Opposition innerhalb in einer Koalition kann nicht darin bestehen, an Maximalpositionen trotzig festzuhalten oder – wie im Fall der FDP – mal hü mal hott zu sagen. Denn dann gerät der Fluchtpunkt des Konflikts aus dem Blick: Die Kompromissfindung.

    Nicht dass sie streitet, ist das Problem dieser Regierung. Sondern, dass sie schlecht streitet. Und dass sie zu spät mit dem Streit angefangen hat. Jetzt ist nichts mehr zu retten. Aus der »Übergangsregierung« (Omid Nouripour) ist eine Untergangsregierung geworden.

    Rainer Hank