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  • 04. Dezember 2021
    Stoppschild für Zuzügler

    Oeder Weg: Autos müssen draußen bleiben Foto Frankfurt-journal

    Dieser Artikel in der FAZ

    Die Ampel zementiert die Macht der Insider in den Städten

    Wissen Sie, was eine Diagonalsperre ist? Nein. Dann empfehle ich einen Ausflug in den Oeder Weg nach Frankfurt. Wer mit seinem Auto aus der Innenstadt in Richtung Nordend fährt (der Anteil der Grünenwähler liegt hier bei knapp 40 Prozent), dem wird seit ein paar Monaten der Weg durch den Oeder Weg mit einer rot-weißen Schranke verwehrt. Man kennt das von Forstwirtschaftswegen im Wald. »Wohnviertel für Menschen, nicht für den Auto-Schleichverkehr«, so lautet die Devise. Fahrräder sind hochwillkommen. Frankfurt soll schließlich eine autofeindliche, dafür aber fahrradfreundliche Stadt werden.

    Die Gewerbetreibenden im Oeder Weg sind keine Freunde der Absperrung. Auch die Bewohner der anliegenden Straßen grämen sich: Denn nun suchen sich die Autofahrer eben andere Schleichwege. Inzwischen sind selbst die Anwohner des Oeder Wegs irritiert: Denn die für den Autoverkehr gesperrte Straße hat sich rasch in ein Eldorado für die sogenannte Außengastronomie verwandelt. Statt Autolärm lärmen nun fröhliche Zecher.

    Merke: Städtische Regulierung – hier: das Fahrverbot – führt zu unerwünschten Nebeneffekten. Und: Selbst die Begünstigten – hier: die Anwohner – werden schnell von Gewinnern zu Opfern.

    NIMBY: Not in my Backyard

    Wohnungsmangel in den großen Städten ist eines der größten Probleme in Deutschland. »Die Politik« müsse etwas tun, heißt es. Was sie tun soll, da gehen die Meinungen schon weit auseinander. Die meisten Ideen sind wenig zielführend: Linke und (viele) Grüne liebäugeln mit Mietendeckel, Mietpreisbremse bis hin zur Enteignung größere Wohnungskonzerne. Klima-Politiker warnen vor dem Bau neuer Wohnungen, weil dies zu höherem Flächenverbrauch führe und die CO2–Bilanz der Städte versaut. Und in den schönen Vierteln dominieren die NIMBYs. Das steht für »Not in my Backyard« (Nicht in meinem Hinterhof). Natürlich müssen neue Wohnungen gebaut werden, aber bitte nicht in meinem Kiez.

    Grünlungig, autofrei und lebensfroh soll unsere urbane Nachbarschaft bleiben. Man gönnt sich ein riesiges unbebautes Biotop wie das Tempelhofer Feld in Berlin (»auch geschützt für seltene tierische Bewohner*innen«, wie es auf der Internetseite heißt) und schützt sich selbst zugleich vor Mieterhöhungen mit verschärften Preisbremsen. Ein Paradies für die, die schon drin sind. Unerreichbar teuer für die, die rein wollen.

    Gleichwohl hält der Run auf die Städte an. Junge Familien finden die Urbanität der Großstadt aufregender als die Vorstadt oder das Landleben. Das hängt nicht zuletzt mit der rückläufigen Kriminalitätsrate zusammen. Nie war der Mensch in den Städten so sicher wie heute. Dass die Wohnungen der Städte zu teuer sind, ist nicht das Problem. Dass es zu wenig davon gibt, ist der Kern: Gäbe es mehr Wohnungen, würde das den Preis drücken und den Spekulanten das Handwerk legen. Neue Wohnungen soll es ja geben – aber bitte nicht vor unserer Nase.

    Halbherzig bleibt der Koalitionsvertrag der »Ampel«. Viel Verbot, wenig Aufbruch. Jährlich sollen 400 000 neue Wohnungen entstehen. Eine gute Idee. Sollen diese erschwinglich sein, dürften das nicht nur Luxusappartements sein. Standardisierung des Bauens heißt die Lösung. Doch schon tut sich ein Bündnis aus Architekten, Milieuschützern und Klima-Freunden zusammen und schreit »Betonklötze«, »Mietskaserne« und wenn das nicht reicht »Platte«. Ästhetik und Klimawandel sind die vorgeschobenen Waffen, mit denen sich der Besitzstand prima verteidigen lässt. Und Politiker machen sich zum Büttel jener Stadtbürger, die in ihrer Behaglichkeit nicht gestört werden wollen.

    Vom Überleben der Städte

    Ed Glaeser, ein Ökonom an der Harvard Universität und weltweit führender Urbanist, zeichnet in seinem neuen Buch vom »Überleben der Stadt« (»Survival of the city«) ein besorgtes Bild. Seine These: Die Insider, also die mit den schönen Häusern, haben unsere Städte gekapert. Sie verhindern, dass die Outsider sich Wohnungen in den Städten leisten können. Das ist nicht nur grob ungerecht, es ist auch ökonomisch ein Desaster: Denn Städte sind seit der Antike Orte der sozialen Mobilität. Mein Vater kam Anfang der dreißiger Jahre aus einem armen Dorf am Rande des Schwarzwalds nach Stuttgart. Dort suchte er Arbeit und ein besseres Leben. Die jüdischen Einwanderer aus Osteuropa landeten um die Jahrhundertwende nicht in Iowa, sondern in der Lower Eastside in Manhattan. Dort begann ihre Aufstiegs- und Assimilationsgeschichte.
    Wer sind die Insider? Grob gesagt sind es die Älteren und Reicheren. Hausbesitzer haben vor Jahren zu günstigen Preisen eine Immobilie in der Stadt erworben, deren Wert unglaublich gewachsen ist. Alteingesessene Mieter schützt das Mietrecht durch Mietspiegel und Kündigungsschutz. Bei Neuvermietungen langen die Eigentümer umso mehr zu. Spiegelverkehrt ergeht es den Outsidern. Das sind die Jungen und Ärmeren, denen der Zugang in die Städte erschwert wird. Glaeser hat eindrucksvolle Zahlenbeispiele (aus den USA): Im Jahr 1983 verfügte der durchschnittliche 35– bis 40–jährige über rund 56 000 Dollar Wohnvermögen. Dreißig Jahre später hatte die entsprechende Altersgruppe lediglich 6000 Dollar Immobilienvermögen. Im selben Zeitraum ist das Vermögen der oberen fünf Prozent unter den Älteren um 60 Prozent gestiegen. Es liegt jetzt zwischen 427 000 und 701 000 Dollar. »Das ist eine massive Umverteilung des Reichtums von den Jungen zu den Alten«; sagt Glaeser. Auch in Europa gebe es diese Entwicklung.

    Die Ungleichheit der Städte, folgt man Ed Glaeser, besteht also nicht zwischen armen Mietern und reichen Immobilienhaien, sondern zwischen machtbewussten Insidern (NYMBYs) und schwachen Outsidern. Die Unterscheidung stammt ursprünglich aus der Arbeitsmarkt-Ökonomie: Wer einen Arbeitsplatz hat, schützt diesen mithilfe der Gewerkschaft durch hohe Löhne und einen starken Kündigungsschutz. Das schadet den Arbeitslosen, denen vergleichbare Einkommen und Rechte verwehrt werden.
    Den Insider-Outsider-Konflikt löst man am besten durch Deregulierung: Diese schleift die Privilegien der Besitzenden und erleichtert den Marktzugang der Jungen und Ärmeren. Will die Ampel glaubwürdig werden, reicht das Bauprogramm der 400 000 Wohnungen nicht aus. Zugleich muss der Milieuschutz fallen, die Baugenehmigungszeit verkürzt, die Grunderwerbssteuer für Selbstnutzer gesenkt werden (dazu gibt es Ansätze im Koalitionsvertrag) und Gewerbegründungen in der Stadt erleichtert werden. So geht Deregulierung.

    Ed Glaeser bleibt dabei, dass die (Groß)stadt eine der genialsten Erfindungen der Menschheit ist, die uns »klüger, grüner, gesünder und glücklicher macht« (so der Titel seines vorletzten, 2011 erschienenen Buches). Damit das so bleibt, muss die Macht der Insider gebrochen werden.

    Rainer Hank