Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen18. Februar 2024
Sind Frauen friedliebender?Womöglich tut sich da ein neues Gender Gap auf
An vielen Orten dieser Welt herrscht Krieg. Wie kann diese Welt friedlich werden? Ein Leitartikel im »Spiegel« hat eine Antwort parat: Mehr Frauen an die Macht. Der Bundespräsident, der Papst oder der englische König, sie alle hätte das Jahr 2024 mit einer Friedensbotschaft eröffnet, so der Kommentar – und das Wichtigste vergessen: Lasst die Frauen ran! Denn »ohne Frauen kein Frieden« (Annalena Baerbock).
Die These ist steil. Sie passt in den modischen Gender-Diskurs: Die Frauen sind das bessere Geschlecht, in jeder Hinsicht. Aber stimmt das auch? Mir fiel eine Geschichte ein, die ein Bekannter jüngst erzählt hat. Er ist Lehrer an einer Schule mit sehr vielen muslimischen Schülern. Der Lehrer ließ die Schüler pro und contra Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutieren und ob auch Frauen zum Militär sollten. Die Jungs waren strikt dagegen – »Mädchen sind emotional«, fanden sie, taugen also nicht für die Bundeswehr. Die jungen Frauen in der Klasse, zumeist mit Kopftuch, rebellierten. Von wegen emotional! Sie verlangten Gleichberechtigung, sahen keinen Grund, warum man ihnen eine Waffe verwehren sollte. Soll man daraus schließen, dass Frauen genauso militant sind wie Männer? Kann man. Man kann aber auch sagen, es sei ihnen vor allem um Gleichberechtigung gegangen, nicht um Bellizismus.
Ein kurzer Blick in die Mythologie bringt ebenfalls keinen eindeutigen Befund. Ganz dem Klischee entsprechend verhält sich zum Beispiel Penelope, die Frau des Odysseus. Während der Held in den Trojanischen Krieg zieht, mannhaft ein Abenteuer nach dem anderen besteht und nach zwanzig Jahren siegreich zurückkehrt, hütet seine Frau brav, treuliebend und friedlich das Haus; allen Freiern zeigt sie die kalte Schulter. Wie es sich gehört: Frauen sind friedlich und fügen sich ihren Männern. Weshalb die kanadische Autorin Margaret Atwood vor Jahren schon den Versuch gemacht hat, die wahre Geschichte der Penelope zu erzählen: Sie berichtet von der gnadenlosen Konkurrenz mit der hübschen Cousine Helena und von der Zwangsverheiratung mit Odysseus, einem Mann, der den Ruf hat, ein Aufschneider zu sein. Am Ende bleibt Penelope zwar auch bei Atwood ein friedliebender Mensch, dafür wird aber Odysseus als militanter Hochstapler enttarnt. Wie auch immer: Penelope taugt nicht zum Beleg der These, wonach es ohne Frauen keinen Frieden in der Welt gibt.
Wie war das nochmal bei Lady Macbeth?
So geht es weiter. Statt zu Mäßigung tragen Frauen nicht selten zur Eskalation bei. Besonders erfolgreich in dieser bellizistischen Disziplin war Lady Macbeth. Jedenfalls wenn man sich an Shakespeare hält (klar, der männliche Blick!). Als Vertraute und Verschworene ihres Mannes stellt Shakespeare die Lady als blutrünstige, skrupellose Verführerin dar, eine wichtige Antriebsfigur für den Protagonisten, dessen Potential zum Bösen sie aktiviert und ihn anstachelt, den König zu ermorden, um selbst an die Macht zu kommen. Während Macbeth anfangs bei der Planung des Königsmordes eher zaghaft und schwach wirkt, kommt Lady Macbeth als dominierende, überlegene und härtere Gestalt auf die Bühne; einem scheinbar »weibischen« Mann steht eine scheinbar mannhafte Frau gegenüber. Die Frau als Kriegstreiberin?
Als hart und kriegerisch, wir springen weiter in der Geschichte, lernen wir auch Margret Thatcher kennen, »die eiserne Lady«, britische Premierministerin von 1979 bis 1990. Den einzigen Krieg der Briten in der Nachkriegszeit hat sie gewonnen. Okay, es ging nicht um die Rückeroberung des Empires, sondern lediglich um die Falklandinseln, Argentinien vorgelagert im Atlantik. Aber für die Frage, ob Frauen pazifistischer sind als Männer, ist die Größenordnung des von ihnen geführten Krieges unerheblich. Gut, den deutschen Kriegsministerinnen Ursula von der Leyen und Christine Lambrecht hätte niemand unterstellt, sie könnten mit der Bundeswehr in einen Krieg um Helgoland ziehen. Aber das nun gerade war keine Tugend, sondern ihr Problem, wie man heute weiß.
Nun aber empirisch. In den Sozialwissenschaften hält sich, kein Witz, seit geraumer Zeit die sogenannte »Woman and Peace Hypothesis« (WPH). Sie besagt, dass Frauen weniger militaristisch sind und deutlich friedliebender als Männer. Demnach sei es wahrscheinlicher, dass sie den Gebrauch militärischer Gewalt ablehnen und friedliche anstelle von kriegerischen Konfliktlösungen bevorzugen. Joan Baez lässt grüßen: We shall overcome! Endlich einmal ein Gender-Gap, das positiv ist, so jubeln die Feministinnen und mäkeln noch nicht einmal daran herum, dass es ein Produkt rollenkonformer Erziehung sein könnte, wenn Frauen sich in der Geschichte zu Friedenstauben entwickelt haben: empathisch, deeskalierend, mitleidend mit den potentiellen Opfern eines Krieges. Die Frauenfriedenshypothese hat sogar Eingang in eine UN-Resolution (Nr. 1325 vom Oktober 2000) gefunden: Da wird die »maßgebliche Rolle« der Frauen bei der Vermeidung und friedlichen Lösung von Konflikten quasi amtlich durch die Staatengemeinschaft festgestellt: Frauen seien friedensschaffend und friedenwahrend. Anders als die notorisch kriegstreibenden Männer.
Die Woman and Peace Hypothesis
WPH hat bloß einen Nachteil. Sie stimmt nicht. Die Hypothese wurde in den USA »erfunden«, einem Land, dass sich – grosso modo – seit dem Ende des Vietnamkriegs nicht mehr in einem großen Krieg befindet, der die gesamte Bevölkerung spaltet. In Israel dagegen, wo Konflikte und Krieg seit Staatsgründung zum Alltag gehören, ist das anders. Versuche, WPH dort zu verifizieren, scheitern. Eine neue Studie vom April 2023 – nicht die einzige – basiert auf detaillierten Umfrageergebnissen im langfristigen Monatsrhythmus. Es zeigt sich: in den dreißig Jahren, die auf die konfliktlösenden Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 folgen, gab es keinen nennenswerten Unterschied in den Einstellungen zu Frieden und einer Zweistaatenlösung zwischen israelischen Männern und Frauen. Die Haltung der Frauen ist nicht pazifistischer. Viel stärker als ein mutmaßliches Gender-Gap sind politisch-ideologische und religiöse Unterschiede der Menschen. Lediglich bei neuer Eskalation der Gewalt – etwa nach der zweiten Intifada 2000 – blieben Frauen gelassener, während die Zustimmung der israelischen Männer zu Oslo nachließ. Immerhin hier, so die Forscher, lassen sich Spuren größerer Resilienz bei Frauen vermuten.
»Barbie, bitte übernehmen!«, so titelt der Frauenfriedenskommentar des »Spiegel«. Wenn nur die Kens dieser Welt alle sanft würden und Barbie machen ließen, wäre der Frieden da, soll das heißen. Dass der Feminismus einmal das Heil der Welt von einem Geschlechterklischees bedienenden pinken Püppchen erhofft, haben weder die Frauen noch die Männer verdient. Und den Krieger*innen dieser Welt ist das alles ohnehin schnuppe.
Rainer Hank