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  • 27. Februar 2023
    Sind Frauen faul?

    Liegt es an den Arbeitsanreizen oder an den Präferenzen? Foto Adina Voicu/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Über Paarbeziehungen, Geschlechter-Stereotypen und das leidige Splitting

    Überall fehlt es an Menschen, die arbeiten wollen. Woran liegt das? Sah es nach Corona eine Zeitlang so aus, als ob vor allem das Personal in Restaurants keine Lust mehr hätte, spät abends zu kochen und bedienen, so zeigt sich inzwischen: die Sorge geht quer durch die Branchen, quer durch die Hierarchien und ist längst nicht nur auf einfache Beschäftigung mit niedriger Bezahlung beschränkt. In den Schulen fehlen die Lehrer, in den Kanzleien die Anwälte und in den Kliniken die Oberärzte.

    Das »Institut für Arbeitsmarktforschung« (IAB) in Nürnberg veröffentlicht regelmäßig einen »Arbeitskräfteknappheitsindex« (schönes Wort!). Der misst, inwiefern die Besetzung offener Stellen durch nicht oder begrenzt verfügbare Arbeitskräfte erschwert wird. Im Januar 2023 zeigte dieser Index im Fünfjahresvergleich einen Höchststand, höher als im Jahr 2018 als die Wirtschaft boomte und weder von Corona noch von Krieg und geopolitischen Verwerfungen die Rede war.

    So kann sich die Welt drehen. Ich bin journalistisch in den neunziger Jahren groß geworden. Damals waren die meisten Menschen davon überzeugt, dass uns über kurz oder lang die Arbeit – und nicht die Arbeiter – ausgehen würden. Man wollte die Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden verkürzen und die Lebensarbeitszeit auf 60 Jahre begrenzen. Eine ganze Reihe der damals eingeführten Tarifverträge und Gesetze tragen mit bei zur heutigen Knappheit. Heute gibt es Roboter, Künstliche Intelligenz und eine zunehmende Automatisierung in der industriellen Fertigung. Aber niemand käme auf die Idee, dass uns deshalb die Arbeit ausgehen wird.

    Was also tun? Im Angebot befindet sich viele Ideen. Sie reichen von einer Ausweitung der Wochen- und Lebensarbeitszeit, über eine aktive Einwanderungspolitik bis zur stärkeren Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben und einem Verbot, in Teilzeit zu gehen (letzteres klingt nicht sehr freiheitlich). All diese Vorschläge zu diskutieren, sprengt den Rahmen einer Kolumne. Ich beschränke mich auf die Frage, ob die Arbeitskräfteknappheit an den Präferenzen der Menschen liegt.

    Vier-Tage-Woche beim vollem Lohnausgleich

    Ein Experiment an der Universität Cambridge, das gerade für Furore sorgt, legt nahe: Vier Tage Arbeit, selbstredend bei vollem Lohnausgleich, das ist auch heute noch die Wohlfühlutopie vieler Leute. Tatsächlich steigt die Teilzeitquote seit langem. Dies wiederum ist auf die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen zurückzuführen, die bekanntlich einen sehr hohen Teilzeitanteil haben. Andererseits stieg die Zahl der Beschäftigten insgesamt im Dezember mit über 45 Millionen auf einen neuen Höchststand; die Erwerbstätigenquote liegt bei sensationellen 75,6 Prozent.

    Doch allen Rekordmeldungen zum Trotz, beißt am Ende die Maus keinen Faden ab: Es fehlen die Leute an allen Ecken und Ende. Weil jetzt die Boomer in Rente gehen, wird alles nur noch brisanter. Es müssten also noch mehr Menschen bereit sein zu arbeiten oder mehr zu arbeiten – und das könnten zum Beispiel die Frauen sein, deren Erwerbsbeteiligung weiterhin unter ihrem Anteil an der Bevölkerung liegt – erst recht, wenn es um die Führungsetagen geht.

    Woran liegt das? Zwei Erklärungen: Frauen wollen gar nicht noch mehr arbeiten und das deutsche Steuersystem macht es ihnen auch nicht besonders attraktiv. Dass im europäischen Vergleich die Frauen hierzulande weniger Stunden arbeiten (nur in Italien arbeiten die Frauen noch weniger), hat viel mit dem Steuerrecht zu tun. Unser Ehegattensplitting minimiert war zwar – was positiv ist – die Steuerlast eines Ehepaars insgesamt, senkt aber die Anreize, zusätzlich mehr zu arbeiten. Denn für jeden zusätzlichen Euro, den sie verdienen, werden die Partner gleich besteuert, nämlich nach ihrem Grenzsteuersatz. Im Gegensatz zu einem System der getrennten Besteuerung sieht sich die Zweitverdienerin im System mit Ehegattensplitting bei einer Ausweitung ihrer Arbeitsstunden mit dem höheren Grenzsteuersatz des Ehepaars konfrontiert. Es bleibt für sie wenig Netto vom Brutto.

    Die Folge beschreibt die Frankfurter Ökonomin Nicola Fuchs-Schündeln seit langem: »Das Ehegattensplitting setzt Anreize innerhalb der Familie sich zu spezialisieren – er arbeitet, sie macht Haushalt und Familie.« Die Ökonomin ist pessimistisch, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird. Vor Wahlen werde regelmäßig darüber debattiert, hinterher verschwindet das Thema. Dabei hätte eine Reform des Ehegattensplittings eine Signalwirkung gegen die herkömmliche Arbeitsteilung und würde – unter der Voraussetzung, dass die Partner ihre Arbeit nicht oder nicht im selben Umfang reduzieren – die Knappheiten am Arbeitsmarkt lindern.

    Das Gender-Equality-Paradox

    Aber wollen die Frauen das auch? Nein, sagt die Schweizer Ökonomin Margit Osterloh und bietet als weitere Erklärung das »Gender Equality Paradox« an. Entgegen landläufigen Vorstellungen ist die Einstellung zu Beruf und Familie umso konservativer, je reicher ein Land ist. Insbesondere Männer und Frauen aus wohlhabenden Haushalten leben eher nach traditionellen Rollenvorstellungen: Die gut (oder besser) ausgebildeten Frauen arbeiten Teilzeit oder bleiben zuhause und kümnmern sich um Haushalt und Kinder, während ihre Männer in hoch bezahlten, arbeitsintensiven Jobs Vollzeit arbeiten.

    Diese Geschlechts-Stereotypen werden an die Kinder bewusst oder unbewusst »vererbt«, behauptet Margit Osterloh. Und diese erlernte Rollenverteilung bestimmt wiederum auch, welchen Ausbildungsweg Frauen und Männer einschlagen: Frauen wählen zu einem hohen Anteil typische »Frauenfächer« (Psychologie, Soziologie, Medizin) und streben seltener eine Karriere an. Wenn diese Frauen dann auf dem Heiratsmarkt auch noch auf Männer in typischen »Männerfächern« treffen, was häufig vorkommt (»komplementäre Paarbildung«), ist alles zu spät.

    Was soll man machen? Solange die geschlechtstypischen Wünsche von Frauen und Männern in einer Wohlstandsgesellschaft ihrer freien Wahl und Entscheidung entsprechen – wer wollte ihnen dies verwehren! Und solange keine Regierungskoalition, welcher Couleur auch immer, eine parlamentarische Mehrheit zur Abschaffung des Ehegattensplittings sammelt, werden sich auch die Arbeitsanreize nicht ändern. Es bleibt bei der hergebrachten familiären Arbeitsteilung. Das Arbeitsangebot ändert sich nicht – und den Firmen fehlt das Personal.

    Rainer Hank