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  • 12. August 2021
    Schröpft die Reichen!

    Ein bisschen Vermögenssteuer kann nicht schaden Foto freestocks auf unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum zahlen sich die Geldversprechen linker Parteien nicht aus?

    Lassen sich mit dem Versprechen von Steuererhöhungen Wahlen gewinnen? Es gibt dazu ein bizarres Beispiel der jüngeren Geschichte: Vor der Bundestagswahl 2005 hatte Angela Merkel, die damals zum ersten Man antrat, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte angekündigt. Die SPD war strikt dagegen. Am Ende wurde Merkel Bundeskanzlerin, und die Mehrwertsteuer wurde um drei Prozent erhöht. Spott ergoss sich über die Sozialdemokraten, weil sie der Gleichung zwei plus null macht drei zugestimmt hatten.
    Mein Beispiel ist die Ausnahme geblieben: Der Normalfall ist seit langem, dass die linken Parteien im Wahlkampf Steuererhöhungen für die Reichen ankündigen. Und dass ihnen dies noch nicht einmal die potentiellen Profiteure danken. Ich habe mir den fiskalpolitischen Teil der Wahlprogramme linker Parteien in Deutschland (SPD, Grüne, Linke) seit 2009 angesehen. Stets sollen die Reichen stärker zur Kasse gebeten, die Mittelschicht und die Ärmeren dagegen entlastet werden: Mal über einen höheren Spitzensteuersatz, mal über eine Vermögenssteuer, mal über eine höhere Erbschaftssteuer, mal alles zusammen. Mehr Umverteilung von oben nach unten, um die Ungleichheit der Einkommen zu lindern, so lauten die Signale.

    Das strategische Kalkül der Linken geht so: Die Reichen sind Minderheit, alle nicht so Reichen sind Mehrheit, bei der das Umverteilungsversprechen auf fruchtbaren Boden fallen müsste. Die Wähler hat das nicht überzeugt. Die Unterstützung der SPD ist seit 2005 von 34 Prozent auf 20 Prozent 2017 geschrumpft. Derzeit stagnieren die Sozialdemokraten bei 16 Prozent. Die Ergebnisse der Partei »Die Linke« wurden einstellig. »Die Ausrichtung der Wahl auf Steuerthemen hat sich bisher für die Oppositionsparteien nicht ausgezahlt«, schrieb Renate Köcher, die Chefin des Allensbacher Instituts für Demoskopie 2013 in der FAZ. Es mag hinzukommen, dass die SPD in drei von vier Merkel-Regierungen als Juniorpartnerin nichts von dem durchzusetzen vermochte, was sie versprochen hatte.

    Da verwundert es schon, dass im laufenden Wahlkampf die Linksparteien in ihren Programmen der Steuerpolitik abermals viel Platz einräumen. Während die Union Steuersenkungen ankündigt und – erkennbar unredlich – weder Verschuldung noch Staatausgaben einschränken will, sondern weitere öffentliche Investitionen verspricht, scheinen die Linken aus der Vergangenheit nichts gelernt zu haben. Würden deren Wahlprogramme umgesetzt, müsste ein Ehepaar mit zwei Kindern und einem Jahreseinkommen von 300 000 Euro künftig mit deutlich weniger Geld auskommen: Jährliche Einbußen von 12 000 Euro sind es bei SPD und Grünen. Unfassbare 190 000 Euro will die Linke dem Paar wegnehmen, was vor allem aus der Einführung einer konfiskatorischen Vermögenssteuer resultiert. Zugleich wäre ein Ehepaar mit zwei Kindern in den unteren Einkommensschichten bessergestellt als heute: Ihnen stünden bei einem Brutto-Einkommen von 40 000 Euro jährlich rund 3300 (Grün), 4000 (SPD) oder sogar 5100 (Linke) Euro mehr Geld im Jahr zur Verfügung. Das sind Berechnungen des Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die beweisen, dass es auch 2021 möglich ist Gewinner und Verlierer der Wahlprogramme zu identifizieren.

    Bewährt sich das Gesetz der Serie, werden sich diese Verteilungsversprechen im September 2021 abermals für die linken Parteien nicht auszahlen. Woran liegt das?

    Der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König hat herausgefunden, was wirklich die Wahlentscheidungen der Menschen beeinflusst. Sogenannte »Sachthemen« – und damit auch die Wahlprogramme – spielen allenfalls eine sehr nebensächliche Rolle. Viel wichtiger sind affektive Faktoren, die eine emotionale Bindung der Wähler zu »ihren« Parteien und den prominenten Repräsentanten zum Ausdruck bringen. Dabei geht es vor allem um Vertrauen und Glaubwürdigkeit, ein »Kapital«, das viel wichtiger ist als finanzielle Zusagen. Wenn das stimmt, können die Parteien versprechen, was sie wollen: es geht nur marginal in die Entscheidungsfindung der Wähler ein. Vor diesem Hintergrund klingt es scheinheilig, wenn jetzt viele beklagen, dem Wahlkampf mangele es an Sachthemen.

    Ungleichheiten werden unübersichtlich

    Eine weniger radikale Erklärung findet sich in Forschungen des Berliner Soziologen Steffen Mau. Mau zufolge ist die Unterscheidung zwischen oben und unten heute nur noch eine unter mindestens vier »Spaltungen«. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Kapital und Arbeit, die – wenn nicht auf Revolution, so auf Redistribution setzt – ist inzwischen in die Jahre gekommen. Daneben gibt es die Spaltung in »Innen/Außen«, wo Migration eine große Rolle spielt und die Frage viel wichtiger ist, ob und in welchem Umfang Einwanderer Zugang zu unseren sozialen Sicherungssystemen bekommen. Modern sind auch die »Wir-Sie-Ungleichheiten«: Da geht es um die Anerkennung und rechtliche Gleichstellung von »nicht-heteronormativen Lebensformen«, diversen Identitäten und Minoritäten. Das sind Themen, die den links eingestellten besserverdienenden Eliten wichtiger sind als Fragen der Umverteilung. Schließlich spielen »Heute-Morgen-Ungleichheiten« eine große Rolle: Hier geht es um Ökologie und Nachhaltigkeit und die zwischen den Generationen ungleich verteilten Umweltrisiken. Die Themen »Klimawandel« und »Migration« könnten als die entscheidenden Sachthemen die Wahl entscheiden, Fiskalthemen dagegen rangieren unter ferner liefen.

    Man kann sagen, das Thema Ungleichheit ist heute auch nicht mehr, was es einmal war. Heute sind wir mit einer neuen Unübersichtlichkeit der Ungleichheiten konfrontiert. So ist auch erklärbar, warum zwar 80 Prozent der Bevölkerung davon überzeugt sind, dass unser Steuersystem ungerecht ist und die Unterschiede zwischen Arm und Reich zunehmen. Doch selbst einkommensschwache Bürger in Ost und West überzeugen die linken Gerechtigkeitsversprechen nicht. Sie fühlen sich von den linken Parteien alleingelassen in ihrer Angst vor Überfremdung, eine Angst, die offenbar ganz im Vordergrund der Wahlentscheidung steht: Mit Blick auf die Innen-Außen-Ungleichheit wählen sie AfD und nicht die linken Parteien.

    Eine letzte Erklärung klingt eher simpel, ist mir aber eigentlich die liebste. Womöglich geht es uns viel besser als viele Journalisten-Kollegen und Sozialwissenschaftler uns seit Jahren weismachen, die vor lauter Spaltungen und Gerechtigkeitsgräben übersehen, wie groß der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ist. Jeder, der will, findet Arbeit. Der Wohlstand ist so hoch wie noch nie in allen sozialen Klassen. Krisen wie Corona durchstehen wir – abgesehen vom Bildungssystem – solidarisch und ohne größere Blessuren. Die Ungleichheit der Einkommen wächst seit dem Jahr 2005 nicht mehr. Es könnte sein, dass die Mehrheit der Deutschen – arm wie reich – in Wirklichkeit andere Probleme hat als »oben und unten« zu egalisieren. Die linken Parteien wären dann altmodischer als ihre potentiellen Wähler.

    Rainer Hank