Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen20. Oktober 2022
SchießbudenfigurenWarum Demokratie ohne Liberalismus barbarisch wird
Die Demokratie als höchsten politischen Wert zu loben, ist, wenn nicht töricht, so zumindest fahrlässig. Ist nicht auch Victor Orban ein Demokrat? War nicht Hitler mithilfe der Demokratie an die Macht gekommen? Hatte etwa Donald Trump nicht die Mehrheit der amerikanischen Wähler hinter sich? Irgendwie müsste man es schaffen, die Demokratie vor ihrer Vereinnahmung zu schützen, mithin der unbeschränkten demokratischen Macht des Volkes Grenzen zu setzen. Die populistischen Demokratien von links (Venezuela) bis rechts (Ungarn et al.) sind ein Fluch.
Die Demokratie durch das Gebot der Rechtstaatlichkeit zu zähmen, vermag einzig der Liberalismus. »Wenn der Liberalismus die Demokratie fordert, so nur unter der Voraussetzung, dass sie mit Begrenzungen und Sicherungen ausgestattet wird, die dafür sorgen, dass der Liberalismus nicht von der Demokratie verschlungen wird.« Denn die Populisten bekämpfen die liberale Demokratie, »um die illiberale Demokratie an ihre Stelle zu setzen.«. Victor Orban kaschiert das noch nicht einmal, wenn er seinen Staat bewusst zur »illiberale Demokratie« adelt. Es ist ein Staat, der Richter nach Gutdünken ab- oder einsetzt, Pressefreiheit mit Füßen tritt, Universitäten Maulkörbe verhängt – und das Volk bei alledem hinter sich weiß.
Die Warnung vor dem Umkippen der liberalen in eine »illiberale Demokratie« ist ein Zitat des Ökonomen Wilhelm Röpke. Der Ideenhistoriker Jens Hacke sagt, Röpke habe die Formel überhaupt erst erfunden. Sie findet sich in einem »Epochenwende« überschriebenen Vortrag, den Röpke am 8. Februar 1933, wenige Tage nach Hitlers Machtergreifung, in Frankfurt hielt. Dieser Shooting Star der deutschen Nationalökonomie, geboren 1899, war mit 24 Jahren bereits zum Professor ernannt worden. Nach der Machtergreifung erhielt er umgehend Berufsverbot. Röpke fiel nicht unter die Hasskategorien Sozialist, Kommunist oder Jude. Vielmehr galt er den neuen Machthabern als unversöhnlicher Staatsfeind, weil er »ohne jeglichen Kompromiss für Liberalismus, Marktwirtschaft und individuelle Freiheit focht«, wie der Historiker Götz Aly schreibt. Dieser liberal-republikanische Widerstand kommt in der Geschichtsschreibung häufig zu kurz, wird gar verfälscht zur perfiden Gleichsetzung von Kapitalisten und Faschisten.
Schlag nach bei Wilhelm Röpke
Röpke, der liberale Marktwirtschaftler, geht in die Emigration, zunächst nach Istanbul, dann nach Genf. 1942 wird er von den Nazis ausgebürgert, weil er »extrem humanistisch-weltbürgerlich eingestellt« sei. Aus der Schweiz entwickelte er eine rege Publikationstätigkeit, in der frühen Bundesrepublik war er ein »public intellectuell«. Neben Walter Eucken ist Röpke der wohl wichtigste Kopf der Freiburger Schule der sozialen Marktwirtschaft (»Ordoliberalismus«), deren wirtschaftspolitische Praxis die Grundlage war für den raschen Wohlstandsgewinn der Menschen in Westdeutschland nach dem Krieg.
Die Lektüre von Röpkes Epochenwende-Vortrag (abgedruckt in »Wirrnis und Wahrheit«, 1962) bringt zuhauf Aha-Erlebnisse. Schon der Titel zitiert avant la lettre Olaf Scholz› »Zeitenwende«, nimmt dem Schlagwort aber sein radikales Neuheitspathos. Immer verlängerten die Zeitgenossen ihre Gegenwart auf ewig in die Zukunft: Jene, die in der Hochkonjunktur nicht an ein Ende der guten Geschäfte glauben wollten, seien dieselben, die in der Krise kein Ende des Jammers für möglich hielten. Die Hysterien gleichen sich.
Götz Aly hat recht: Es ist ein großes Vergnügen, Röpke zu lesen. Der Mann schreibt und spricht knapp, kraftvoll, kühl und bildhaft. Der Liberalismus sei inzwischen zu einer »Schießbudenfigur« geworden, auf die man nach Herzenslust schießen könne, findet Röpke. Die Schießbudenfigur der Liberalen, wie sie die deutschen Illiberalen – die Nazis -angefertigt haben sieht für Röpke so aus: »ein trockener Pedant, bis zum Knöchel im Großstadtasphalt versunken, ohne einen Glauben irgendwelcher Art und ein höheres Ideal als das des Geldverdienens, von liederlicher Gesinnung und Lebensführung – eine Mumie des 19. Jahrhunderts.« Die Karriere dieser Schießbudenfigur zum heutigen »Neoliberalen« ließe sich unschwer nachzeichnen. Als Sündenbock für alles, was einem nicht passt, taugt er bis heute.Der »wahre« Liberalismus, seine zivilisatorische Mission, sieht anders aus als sein neoliberales Zerrbild. Ihm geht es um »Toleranz, Denk-, Meinungs- und Preßfreiheit (sic!), Fair Play und Diskussion«. Das sind Errungenschaften der Aufklärung, die nach 1933 mit Füßen getreten wurden, die auch heute nicht nur in den illiberalen Demokratien von rechts verachtet werden, sondern auch in vielen sich »links« verstehenden Kreisen der identitätspolitischen Zensur verfallen: Zuwiderhandlungen stehen unter Strafe des Diskursverweises.
Das Problem der Masse
Für Röpke ist die Demokratie gerechtfertigt als Kind des individuellen bürgerlichen Liberalismus. Das ist das Gegenteil des kollektivistisch-plebejischen Populismus. Die liberale Demokratie zeichne sich dadurch aus, dass sie jeder Opposition die Aussicht eröffne, die regierende Gruppe in die Minorität zu bringen. Es geht um ein Spiel von Meinung und Gegenmeinung. Es ist mithin das ökonomische Prinzip des Wettbewerbs, das als Entmachtungsinstrument die Demokratie erst lebendig werden lässt. Ein fairer Wettbewerb ist das Gegenteil der autoritären Entmachtung jeglicher Opposition durch politische Autokraten oder des identitätspolitischen Meinungsterrors. Die populistische Demokratie endet im »Servilismus«, einer der Unterwürfigkeit der Menschen unter staatliche oder meinungsmäßige Verhaltensvorschriften. Aus dem Servilismus, so Röpke, erwüchsen Totalitarismus und Nationalismus – »mit blindwütigem Hass alles Fremden«. Brutalismus schließlich schlägt am Ende um in Barbarei. Die »illiberale Demokratie« legt Wert auf Legitimation durch das Volk (»die Masse«). Zugleich bekämpft sie die aufklärerische Ideen der (Wirtschafts)freiheit, der Vernunft und der Humanität.
Röpkes Plädoyer für die liberale Demokratie reiht sich ein in zwei andere Reden aus den frühen Dreißigerjahren, an die ich in den beiden vorhergegangenen Kolumnen erinnert habe: Thomas Manns flammendes Plädoyer für den »Zukünftigen Sieg der Demokratie« (1938) und seine Aufforderung die Demokratie »militant« zu verteidigen. Und Theodor Roosevelts große Rede zur Amtseinführung 1933 als Präsident der USA am 4. März 1933, die mit dem berühmten Satz beginnt, das Einzige, was die Menschen zu fürchten hätten, sei die Furcht selbst. Lasst euch nicht von der Angst niederzwingen! Alle drei Reden empfehle ich heute als Wegzehrung in Zeiten der Bedrohung durch die grassierende Illiberalität.
Rainer Hank