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  • 12. Februar 2025
    Sägen, Baby, Sägen

    Mileis Wahrzeichen: Die Kettensäge Foto redbubble

    Dieser Artikel in der FAZ

    Was wir von Milei lernen können

    Woran erkennt man den Wahnsinn der Bürokratisierung? Man muss einfach die Anzahl der Worte aller Gesetzestexte addieren. Und dann zeigt sich: Der Textkorpus der deutschen Gesetze umfasst heute sechzig Prozent mehr Worte als Mitte der neunziger Jahre.

    Mehr Gesetze benötigen mehr Menschen, die diese Gesetze zur Kenntnis nehmen und auslegen. Es braucht Behörden, die Verstöße feststellen und ahnden. Kein Wunder, dass die Beschäftigung im öffentlichen Dienst zwischen 2012 und 2022 von 4,5 Millionen auf 5,2 Millionen zugenommen hat. Deutschland schrumpft, aber der öffentliche Dienst wächst.
    Die EU hält mit Deutschland Schritt: Zwischen 2019 und 2024 hat Brüssel 13.942 Vorschriften für Unternehmen erlassen. Im Vergleich dazu hat die USA im gleichen Zeitraum lediglich 3.725 Gesetze erlassen und 2.202 Resolutionen. So notiert es der im September vorgelegter Report des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi.

    Machen all diese bürokratischen Vorschriften und Gesetze die Welt sicherer, die Menschen glücklicher und die Risiken des Lebens geringer? Darüber gibt es keine Forschungen. Erforscht ist hingegen: Die Wachstumsschwäche Deutschlands ist (auch) eine direkte Folge der Überregulierung. Die Kosten lassen sich beziffern. Der deutsche Maschinenbau etwa nennt bezogen auf die Gesamtkosten 1 bis 3 Prozent für Bürokratie. Über alle Branchen gehen in der EU bis zu vier (!) Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch Bürokratie »verloren«. Das sind einerseits Kosten für eine ausladende staatliche Administration, andererseits Kapazitäten, die die Unternehmen vorhalten müssen zur Umsetzung der Lieferkettenverordnungen, Nachhaltigkeitsverpflichten oder Tariftreuegesetze Brüsseler und nationaler Behörden. Besonders aufgebläht wurden die sogenannten Compliance-Regeln. Das sind Vorschriften zur korrekten Einhaltung aller rechtlichen Vorgaben in einer Firma. »Bürokratieabbau« haben sich viele europäische Regierungen auf die Fahnen geschrieben. Theoretisch. Eine ausufernde Bürokratisierung ist politische Praxis.

    Was kann man tun? Deregulierung heißt das Zauberwort, das derzeit wieder einen positiven Klang hat. Deutschland ist damit schon einmal gut gefahren als Ludwig Erhard die völlige Freigabe der Preise durchgesetzt hat. Das wurde zum Gründungsakt des Wirtschaftswunders. Die Deregulierung der neunziger Jahre während der Ära Kohl führte dazu, dass Fliegen, Bahnfahren, Heizen oder Pakete verschicken deutlich billiger wurde. Von guter Deregulierung profitieren alle. Doch die Betroffenen, denen ihre Privilegien genommen werden, jaulen und schicken ihre Lobbys in die Ministerien. Das Taxigewerbe wehrt sich gegen die Konkurrenz von Uber, das bessere Leistungen zu billigeren Preisen bietet. Die Apotheker drohen mit dem Verfall der Volksgesundheit, sollte es Medikamente auch bei Rossmann geben. Und die Mietervereine malen wachsende Armut an die Wand, sollten die Preise der Wohnungen nicht mehr gedeckelt sein, sondern sich einfach nach Angebot und Nachfrage richten.

    Was Ferdico Sturzenegger zu erhählen hat

    Gegen die lobbyistische Verkrustung und bürokratische Erstarrung von Regulierungen hilft die Kettensäge. Das ist das Programm des argentinischen Präsidenten Xavier Milei. FDP-Chef Christian Lindner, zaghaft wie er ist, will »ein bisschen« davon auch in Deutschland. Geht das, ein bisschen Disruption? Ein bisschen schwanger geht bekanntlich nicht.
    Eine beeindruckende Zwischenbilanz von Mileis Reformen nach einem Jahr kann man sich im Webinar des Princeton-Ökonomen Markus Brunnermeier auf Youtube anhören. Dort gibt es ein Gespräch mit Federico Sturzenegger, Mileis Minister für Deregulierung und Staatstransformation. So einen Minister könnten wir auch gebrauchen. Sturzenegger, ein Ökonom mit Schweizer Vorfahren, ist Professor an der Universidad de San Andrés in Buenos Aires und lehrt an der Kennedy School of Government der Harvard University.

    Argentiniens Reformprogramm, so Sturzenegger, besteht aus zwei Teilen. Erstens Fiskalreform, zweitens Deregulierung. Staatsausgaben wurden radikal und mit einem Mal um 30 Prozent gekürzt. Zugleich wurden auch die Steuern drastisch gesenkt. Das führte dazu, dass die Wirtschaft heute wieder zwischen zwei und drei Prozent wächst. Austerität wirkt! Zugleich ging die Inflation von zuvor rund 25 Prozent jährlich auf 0,6 Prozent im Dezember 2024 zurück. Das hat direkte Auswirkungen auf den Wohlstand der Menschen: Mit den Löhnen kann man sich real wieder mehr leisten; es gibt weniger Arme. Der Staatshaushalt verzeichnet Überschüsse.

    Wie macht man Deregulierung, um nicht gleich an der Mauer der Bedenkenträger abzuprallen? Sturzenegger erzählt das sehr konkret. Als erstes wurden die Gesetze in drei Gruppen eingeteilt: gute Gesetze (können bleiben), überflüssige Gesetze (fallen weg) und verbesserungsfähige Gesetze. Für den Überarbeitungsprozess gibt es klare Regeln: Keine Arbeitsgruppen, Expertenanhörungen und ewige Palaver. Jeder, der einen Verbesserungsvorschlag hat, soll diesen gleich in das Gesetz schreiben. Wird der Vorschlag für gut befunden und dem Parlament vorgelegt, stellt die Regierung ihn direkt auf die Plattform X – bevor die Lobbyisten ihre Abwehrgeschütze in Anschlag bringen können. Gesetze laufen nicht ewig, sondern werden mit einem Verfallsdatum versehen (wie Joghurts im Supermarkt).

    Besser mal ein Flugzeug verpassen

    Argentiniens Regierung schreckt auch vor Gehaltskürzungen und Personalabbau im öffentlichen Dienst nicht zurück. Das ist zwingend, wenn man den Haushalt reformieren will. Schlimm mag das im Einzelfall sein. Insgesamt ist es nicht schlimm: Weil die Wirtschaft wieder wächst, werden dort neue Leute zu besseren Löhnen eingestellt.
    Das ist noch nicht alles. Als nächsten Akt kündigte Milei jüngst eine Änderung der Finanzverfassung an. Kompetenzen sollen auf dezentrale Ebenen verlagert werden. Vorbild ist der Finanzföderalismus der Schweiz, der direkte Demokratie mit Fiskalsouveränität vor Ort verknüpft. Das hätte nicht nur größere Haushaltsdisziplin zur Folge, sondern zöge auch demokratische Partizipation und Zufriedenheit der Bürger nach sich.

    Friedrich Merz sollte rasch eine Wirtschaftsdelegation nach Buenos Aires zu Minister Sturzenegger schicken. Klar muss dem mutmaßlich nächsten deutschen Kanzler sein, dass vom »Programm Kettensäge« auch die Subventionsempfänger in der eigenen Klientel betroffen wären – Landwirtschaft, Kirchen, Öffentlicher Rundfunk zum Beispiel. Das Motto der Deregulierung wäre: Weniger Bürokratie, mehr wirtschaftliche Effizienz. Es geht um ein Klima der Risikobereitschaft, das das Scheitern nicht bestraft. Wie sagt der Harvard-Ökonom und Sturzenegger-Kumpel Ricardo Hausmann: »Wer noch nie ein Flugzeug verpasst hat, verbringt zu viel Zeit auf Flughäfen«.

    Rainer Hank