Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen21. November 2025
Rentner streicheln
Warum ich die Aktivrente nicht brauche
Ich fühle mich von der schwarz-roten Regierung doppelt ungerecht behandelt.
Es geht um die sogenannte Aktivrente. Die ist Resultat einer Reform, die Schwarz-Rot gerade auf den Weg gebracht hat. Wer als Rentner weiterarbeitet, der soll monatlich 2000 Euro seines Einkommens steuerfrei behalten dürfen. Also auf 24.000 Euro seines Jahreseinkommens keine Steuern zahlen müssen. Warum die Regierung das macht, ist nicht ganz klar. Vorgeblich, um den angespannten Arbeitsmarkt zu entlasten. Vermutlich aber, um den Rentnern – das sind ja auch ziemlich viele Wähler – etwas Gutes zu tun. Jedenfalls geht es nicht darum, die Rentenkassen zu entlasten. Denn aktive Rentner beziehen ja schon Rente, die durch das Arbeitseinkommen nicht gekürzt wird. Aktivrente heißt das Ganze, weil Ruheständler aktiviert und dafür belohnt werden sollen.
Ich bin ein Rentner. Aber ich arbeite auch noch, schreibe zum Beispiel diese Kolumne. Klar, dass ich mich erstmal freue, dass nicht nur mein Auftraggeber, sondern auch der Fiskus sich dafür bei mir erkenntlich zeigt. Umso erstaunter war ich zu lesen, dass ich nicht in den Genuss des Steuervorteils kommen soll. Den sollen ausschließlich Arbeiter und Angestellte erhalten, die fest in einer Firma angestellt sind, ein »sozialversicherungspflichtiges Einkommen« beziehen, wie es technisch heißt. Selbständige wie ich sollen dagegen weiterhin auf jeden zur Rente hinzu verdienten Euro Steuern zahlen müssen. Ich kenne viele Kollegen meines Alters, die als Rentner kein festes Beschäftigungsverhältnis mehr haben, weil sie frei sein wollen. Aber auch, weil Freelancer für die Firmen billiger sind als Angestellte.
Gibt es Argumente für die Schlechterstellung der Freiberufler? Ich habe keins gefunden. Ich glaube auch in aller Bescheidenheit nicht, dass meine Kolumnen fiskalisch gesehen weniger wert sind als zum Beispiel das Vorstandsprotokoll, das ein angestellter Mittelmanager beim Daimler geschrieben hat. Aus meiner Sicht liegt hier ein eindeutiger Fall von Ungleichbehandlung vor, der entweder im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bereinigt oder andernfalls vom Verfassungsgericht kassiert werden muss.
Grob ungerecht
Nehmen wir also an, die Ungerechtigkeit würde korrigiert und ich käme auch in den Genuss des Steuervorteils. Dann fangen die gravierenden Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten erst an. Einerseits, weil hier, was mich betrifft, eindeutig ein sogenannter Mitnahmeeffekt vorliegt. Ich fange ja nicht erst zu arbeiten an, weil ich Steuern erlassen bekomme. Der Staat verzichtet auf Einkommen, das ihm klaglos zukäme. Höre ich nicht ständig Finanzminister Klingbeil jammern, der Staat habe angesichts der vielen neuen Aufgaben trotz Schuldenorgie immer noch zu wenig Geld?
Grob ungerecht ist aber zudem, dass jetzt abermals die ohnehin staatlich gehätschelten Rentner gegenüber der jüngeren Generation finanziell privilegiert werden. Dazu hat der Ökonom Bert Rürup – Sie erinnern sich, das ist der Erfinder der »Rürup-Rente« – eine kleine Rechnung aufgemacht: Nehmen wir einen Rentenempfänger mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 48.000 Euro. Dieses Einkommen soll zum einen aus einem Arbeitsentgelt von 24.000 Euro bestehen, zum anderen aus weiteren Einkünften – zum Beispiel der gesetzlichen Rente und Mieteinnahmen. Diese Person hätte künftig rund 2600 Euro Steuern im Jahr zu entrichten. Ein jüngerer Zeitgenosse, der ebenfalls 48.000 Euro im Jahr verdient, zahlt hingegen darauf annähernd 10.000 Euro Einkommensteuer.
Zwei gleiche Einkommen, zweimal dieselbe »Leistungsfähigkeit«, wie die Steuerrechtler sagen. Aber am Ende hat der Rentner 7.400 Euro mehr zur Verfügung als ein jüngerer Steuerbürger. Die durchschnittliche Steuerbelastung des Rentners liegt bei elf Prozent, die des Jüngeren liegt bei 21 Prozent. Gerecht kann das nicht sein, oder?
Werden wir noch grundsätzlicher: Unser Einkommensteuersystem beruht auf einem klaren Prinzip. Besteuert wird nicht danach, wer das Einkommen erzielt, sondern danach, wie hoch es ist. So habe ich es bei dem Ökonom Christian Hagist von der WHU in Vallendar jüngst in der FAZ gelernt. Ein Euro ist ein Euro, unabhängig davon, ob er von einem Angestellten, einem Arbeiter, einem Selbständigen, einem Unternehmer oder einem Rentner stammt. Diese Neutralität ist Ausdruck der im Grundgesetz verankerten Gleichheit vor dem Gesetz. Mit der Aktivrente würde dieses Prinzip empfindlich verletzt. Entscheidend wäre nicht die Höhe des Einkommens (dafür gibt es die Progressionstabellen), sondern die Person des Steuerpflichtigen und sein Alter.
Am besten einstampfen
Einmal aufgeweicht, gäbe es kein Halten mehr, so Christian Hagist. Um mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bringen, könnte die Politik auf die Idee verfallen, Frauen einen niedrigen Einkommensteuersatz zu gewähren als den Männern. Oder sie könnte »gesellschaftlich nützliche« Berufe (Ärzte, Pfleger) steuerlich privilegieren im Vergleich mit gesellschaftlich weniger nützlichen Tätigkeiten (Banker oder Immobilienmakler zum Beispiel). Das Ergebnis wäre eine ideologische Politisierung und Moralisierung des Steuerrechts, die unter dem Vorwand, Einzelgerechtigkeit herstellen zu wollen, Klientelbegünstigung betreibt – nach Maßgabe der jeweils größten Wählerlobby. Die Kehrseite der steuerlichen Anreize (hört sich gut an) heißt: staatliche Subventionierung einzelner Personengruppen (hört sich weniger gut an). Nicht alles, was sich Reform nennt, ist gut. Die Aktivrente ist eine schlechte Reform.
Was aber soll ich nun machen in meiner Eigenschaft als aktiver Rentner? Ich erwarte nicht, dass Schwarz-Rot – was eigentlich das Beste wäre – das ganze Projekt Aktivrente im letzten Moment aus Einsicht einstampfen wird. So korrekturoffen funktioniert Politik nicht. Ich erwarte eher, dass im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens am Ende auch Selbständige und Freiberufler von der Aktivrente profitieren werden. Dann erhalte auch ich vom Fiskus einen geldwerten Vorteil, den ich und alle anderen aktiven Rentner meiner Meinung nach zu Unrecht kassieren.
Was kann man machen? Dem Finanzamt mitteilen, ich wolle den Steuervorteil nicht in Anspruch nehmen und dafür werben, dass alle Aktivrentner das genauso machen – das wird nicht funktionieren. Denn dann würde das Finanzamt ja gegen das Gesetz verstoßen. Solidarische Verweigerung von Privilegien ist zudem eine Illusion. Ich könnte mir meinen individuellen Steuervorteil als Aktivrentner von meiner Steuerberaterin ausrechnen lassen und diesen Betrag heroisch für einen guten Zweck spenden (selbstverständlich inklusive des Vorteils der Spendenquittung).
An der Ungerechtigkeit gegenüber allen jüngeren Einkommensteuerzahlern würde das nichts ändern. Staatlichen Unsinn können Bürger nur bei Wahlen korrigieren.
Rainer Hank
