Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen03. Januar 2020
Reich werden mit SokratesNichts zu wissen hilft: Aktientipps für Philosophen
Vielleicht nehmen wir Deutschen den griechischen Philosophen Sokrates einfach zu ernst. Oder haben ihn gar nicht richtig verstanden? Gängiger Überlieferung zufolge stammt von Sokrates das Diktum »Ich weiß, dass ich nichts weiß.« Der Satz ist schon deshalb rätselhaft, weil er mit der Paradoxie zurechtkommen muss, dass jemand, wenn er nichts weiß, logischerweise auch nicht wissen kann, dass er nichts weiß. Oder aber umgekehrt, dass, wenn er sein Nichtwissen für gewiss hält, er die generelle Aussage relativieren müsste, er wisse einfach gar nichts.
Wir überlassen die Auflösung dieser Paradoxie getrost den Philosophenstammtischen am Silvesterabend. Und wenden wir uns der einfacheren, aber gleichwohl nicht trivialen Frage zu, ob Nichtwissen ein Defizit oder nicht vielmehr eine Stärke ist. Zu viel Wissen jedenfalls erdrückt. Aber die Angst, zu wenig zu wissen, macht arm. Dazu kommt uns eine gerade von der Deutschen Börse veröffentlichte Studie wie gerufen (leicht zu finden auf deutsche-boerse.com). Dort nämlich wird die These vertreten, dass Nichtwissen hilft, wenn es um Fragen der Geldanlage geht. Und dass die Befürchtung, nichts zu wissen, dummerweise viele Menschen davon abhält, am Aktienmarkt mitzumischen. Der Sokrates der Jahres 2019 ist für mich ein Finanzwissenschaftler der »Frankfurt School of Finance and Management« namens Michael Grote. Sein sokratischer Börsen-Lehrsatz lautet: »Viele wissen nicht, dass man nichts wissen muss.«
Aber nun der Reihe nach. Seit Jahren rätseln die Gelehrten, warum in Deutschland, einer der reichsten Volkswirtschaften der Welt, nur 18 Prozent der Bürger Aktien und Aktienfonds besitzen. Im internationalen Vergleich ist das sehr wenig und es ist auch jammerschade: Denn wir Deutschen verschenken auf diese Weise – zumindest mittel- und langfristig – ziemlich viel Rendite. Stattdessen jammern wir lieber über die Mini- oder Negativzinsen auf unseren Sparbüchern und schimpfen auf die EZB. Wahrscheinlich würden viele Nicht-Aktionäre schon die Voraussetzung anzweifeln, dass, wer keine Aktien kauft, Geld verschenkt. Aber die Belege sind erdrückend: Allen Crashs zum Trotz war beispielsweise die durchschnittliche jährliche Wertsteigerung des Aktienindex Dax in der Vergangenheit beträchtlich: sie lag bei durchschnittlich sieben Prozent im Jahr – und das seit 1969. Wer monatlich 10 Euro in ein Sparschwein füllt, hat nach 30 Jahren 3600 Euro angesammelt. Wenn er Glück hat und bei seiner Bank über diesen Zeitraum im Schnitt zwei Prozent Zinsen bekommt, summiert sich sein Vermögen auf 4913 Euro. Die sieben Prozent einer durchschnittlichen Aktienrendite indessen brächten ihm nach 30 Jahren 11697 Euro ein. Dem Sparschweinbesitzer gehen folglich 8097 Euro durch die Lappen. Dumm für ihn, dass er keine Aktien gekauft hat.
An der Börse braucht man kein Finanzwissen
Dieses simple Wissen der Aktienrendite wollen viele Menschen offenbar nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei könnten sie es wissen. Warum? Weil es – fast schon penetrant – regelmäßig etwa im Teil »Geld & Mehr« der FAS wiederholt und mit verständlichen Kurven veranschaulicht wird. Stattdessen meinen die Menschen, sie müssten noch viel, viel mehr wissen und sagen, fragt man sie danach, diese Wissenslücke sei Grund genug, sich von Aktien fern zu halten. Mehrheitlich schätzen selbst gebildete Bürger ihr Finanzwissen als zu gering ein für ein Investment in Aktien. Ein Grund hierfür scheint zu sein, dass die Mehrheit der Leute in Deutschland eine falsche Vorstellung davon hat, welches Wissen für eine Teilnahme am Aktienmarkt zwingend erforderlich ist. Das notwendige Wissen wird massiv überschätzt. Die Mehrheit der Nicht-Aktienbesitzer glaubt nämlich, über einzelne Aktien und die ihnen zugrundeliegenden Unternehmen in Breite und Tiefe Kenntnis haben zu müssen. Sie sagen, ihnen fehle das Wissen über den optimalen Kauf- und Verkaufszeitraum, sie denken, sie müssten sich zudem über die allgemeine Weltwirtschaftslage informieren und Bescheid wissen über Wohl und Wehe einzelner Branchen. Wäre das so, wie diese Menschen meinen, dürfte man in der Tat niemandem empfehlen, Aktien zu kaufen. Denn vor lauter Sammeln von Finanzwissen, würden sie das wahre Leben verpassen.
Frauen, man muss es leider sagen, versagen bei Aktien noch mehr als die Männer: Im Vergleich zu den Männern, von denen 68 Prozent sich von der Börse fernhalten, scheuen 83 Prozent der Frauen den Kauf von Aktien. Sie schätzen – auch im Vergleich zu Männern – ihr Finanzwissen als zu gering ein und bleiben abstinent. Dass sie realistischer mit dem eigenen beschränkten Wissen umgehen im Vergleich zu den Aufschneidern und Hochstaplern unter den Männern, ist sicher ein sozialer Vorteil, renditemäßig gereicht es ihnen allerdings zum Nachteil.
Der Grundsatz des Anlegers müsste lauten: Ich weiß, dass ich nichts weiß, und deshalb kaufe ich Aktien. Es war vielleicht nicht nur eine gute Idee, dass in den vergangenen Jahren von den Fachleuten geklagt wurde, mit der »financial literarcy«, dem Finanzwissen der Deutschen, stünde es fürchterlich schlecht. Daraus konnte man heraushören, ohne solide Kompetenzen in Zinseszinsrechnung habe man als Anleger an der Börse schon verloren und solle das Geld lieber seinem Bankberater anvertrauen, der freilich weniger an meinem Wohlergehen als an seinen Gebühren interessiert ist.
In Aktien kann man langweilig investieren
Nun sollte man der Ehrlichkeit halber sagen, dass, wer etwa all sein Geld auf die Aktie der Deutschen Bank oder Wirecard setzt, sich schon um diese beiden Firmen kümmern sollte, und sei es nur, um am Ende zu der Einsicht zu kommen, am besten die Finger von diesen Aktien zu lassen. Wer seine Risikoscheu ernst nimmt, seinen finanziellen Einsatz streut und auf einen Aktienfonds setzt, der alle 30 Dax-Aktien enthält, hat keinen Nachteil, wenn er nicht alle 30 Dax-Firmen auswendig runterrasseln kann. Darauf, dass ich damit automatisch zum Miteigentümer von Covestro würde, wäre ich zum Beispiel im Schlaf nicht gekommen, hätte ich nicht gerade gespickt: Covestro ist »ein führender Hersteller von Polymer-Werkstoffen«. Leider liegt mein Chemie-Unterricht schon eine ganze Weile zurück, dass mir das auch nicht weiterhilft. Aber wie gesagt, darob muss sich niemand grämen.
Eines sollte man indessen wirklich wissen: Diejenige Aktienanlage, bei der man am allerwenigsten wissen muss, sind die »Exchange Traded Funds« (ETF), weil sie das Risiko denkbar breit streuen und auch für kleine Sparbeiträge kostengünstig attraktiv sind. Man muss dafür nicht wissen, dass die Theorie dazu von einem Ökonomie-Nobelpreisträger namens Eugene Fama stammt. Es gilt einfach der Satz von FAZ-Börsenguru Daniel Mohr: »In Aktien kann man langweilig investieren.« Dass nur acht Prozent der Deutschen dieses Basis-Wissen haben, sollte man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Denn der technisch kompliziert klingende Name ETF für ein denkbar einfaches Finanzprodukt, das lediglich einen Börsenindex abbildet, ist irreführend und schreckt ab. Wenn die Deutsche Börse das nächste Mal Geld in die Hand nimmt, um aus uns Deutschen ein Volk von Aktionären zu machen, sollte sie einen Wettbewerb zur Neubenennung der ETF ausloben.
Rainer Hank