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  • 14. August 2024
    Pro und Contra Wehrpflicht

    Fallschirmspringer Foto Guenther Dillingen/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Lasst das den Markt machen!

    Deutschland soll »wehrfähig« oder gar »kriegstüchtig« werden. Das ist die bittere, aber notwendige Konsequenz der »Zeitenwende« nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Dass wir, Kinder des Kalten Kriegs, uns so etwas nicht vorstellen konnten und wir die damit verbundenen Debatten nur widerwillig führen, schert die Wirklichkeit nicht.

    Wie halte ich, Kriegsdienstverweigerer und »Zivi« des Jahres 1974, es mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht? Eine Mehrheit der Deutschen sei dafür, lese ich. Aber mit diesem Meinungsbild kann man wenig anfangen: Denn es sind die Älteren, die sich für eine Wehrpflicht aussprechen, aber selbst gar nicht betroffen wären. Auf Kosten der Jüngeren lassen sich leicht die Backen aufblasen. Die Jüngeren indes, die vom Kriegsdienst betroffen wären, sind mehrheitlich dagegen.
    Es geht um drei Themen. Die Bundeswehr hat ein Personalproblem. Nach der gegenwärtigen Bewertung der Aufgaben Deutschlands im atlantischen Bündnis, so Verteidigungsminister Boris Pistorius, wären 420.000 Frauen und Männer in den Streitkräften nötig. Derzeit gibt es aber nur 180.000 Soldatinnen und 60.000 Reservisten. Es fehlen also 180.00 Männer (und Frauen?). Zweitens geht es um bessere Resilienz Deutschlands gegen Terror, Cyberangriffe von Islamisten und weitere realistische Schrecklichkeiten. Drittens wird über eine Überwindung der von vielen beklagten Spaltung der Gesellschaft diskutiert, die ein Dienst an der Gesellschaft (zivil oder mit Waffen) leisten soll. Die Armee als »Schule der Nation« und der Sozialdienst als Einübung von Solidarität: »Haben Sie gedient?« soll wieder zu einer Frage der Ehre werden.

    Die Antworten der Politiker sind gespalten. Pistorius von der SPD, derzeit der Liebling aller Meinungsumfragen, schlägt einen Grundwehrdienst von sechs Monaten für eine Auswahl wehrpflichtiger Jahrgänge vor. Dazu soll es eine verpflichtende Erfassung geben, in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu einem Wehrdienst benennen müssen und junge Frauen dies tun können. Pistorius will also ein Mischmodell aus verpflichtend abgegebenen Daten und freiwilligem Dienst für junge Männer. Völlig freiwillig dagegen soll es für junge Frauen sein. Eine solche Diskriminierung fühlt sich in dieser woken Zeit merkwürdig an, folgt aber dem Grundgesetz, das davon ausgeht: Männer kämpfen, Frauen kochen und kriegen Kinder. Dabei ist noch gar nicht ausgemacht, wer eigentlich (negativ) diskriminiert wird: Männer, weil sie im Verteidigungsfall gezogen werden oder Frauen, weil man ihnen den Kampfesmut abspricht.

    Die Union geht einen Schritt weiter als der SPD-Mann Pistorius und tendiert dazu, ein verpflichtendes Dienstjahr von allen jungen Leuten zu fordern, welches sie in der Armee oder in zivilen Institutionen ableisten können. Das ist konsequent aus konservativem Geist gedacht (»Dienst am Gemeinwohl«), weshalb es in der Union inzwischen als Sündenfall gilt, dass ausgerechnet unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, einem CSU-Mann, im Jahr 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.

    Hohe volkswirtschaftsliche Kosten

    Die Grünen, eher zurückhaltend, die FDP, eher forsch, können den Ideen der politischen Wettbewerber nicht viel abgewinnen. Eine Wehr- oder Dienstpflicht halten sie aus Gründen der Ökonomie und der Gerechtigkeit für nicht für wünschenswert. Die ökonomischen Gründe übernimmt die FDP aus einer aktuellen Studie des Ifo-Instituts. Demnach würde eine Wiedereinführung der Wehrpflicht volkswirtschaftliche Kosten in Milliardenhöhe verursachen. Das liegt daran, dass die Wehrpflichtigen erst später mit dem Aufbau von Humankapital beginnen, schlechter bezahlt werden und in Folge davon ihr Vermögensaufbau erschwert würde. Sollte ein gesamter Jahrgang eingezogen werden, wäre ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um knapp 70 Milliarden Euro (1,6 Prozent des Bruttonationaleinkommens) zu befürchten. Das Ifo-Argument ist triftig, wird freilich von Pistorius mit dem naheliegenden »Totschlagargument« gekontert, dass ein Scheitern der Abschreckung – also ein Krieg – humanitär, aber auch volkswirtschaftlich noch viel teurer wäre als die Wiedereinführung eines Wehrdienstes. Gerecht ist ein Wehr- und Zivildienst nicht: Es sind immer nur wenige, die mit ihrem Körper für die Verteidigung des Landes einstehen. Sie werden zu einem höheren Risiko verpflichtet, während jene, die nicht dienen, in dieser Zeit mit geringerem Risiko besser verdienen.

    Ökonomen und Verteidigungsexperten plädieren für einen Marktlösung als Alternative zu einer Pflicht- mithin Zwangslösung. Die Debatte um eine Wehrpflicht habe Ablenkungsfunktion, so die Sicherheitsexperten Claudia Major. Der Bundeswehr fehle nicht nur Masse, sondern auch technische Expertise (Cyberexperten), weil sie auf dem Markt nicht konkurrenzfähig sei. Die Wehrpflichtdebatte lenke von anderen Missständen ab, von veralteter Ausrüstung bis zur Unternehmenskultur, so Frau Major. Daraus folgt: Die Armee muss für junge Menschen attraktiver werden, die sich dafür freiwillig melden. Das geht nur, wenn der »Sold« den am Markt gezahlten Preisen für entsprechende Qualifikationen gleichkommt oder ihn gar übertrifft. Das höhere Risiko für Leib und Leben könnte einen Aufpreis gegenüber den Gehältern in der zivilen Wirtschaft rechtfertigen, denke ich. Wie hoch dieser Aufpreis ist, weiß man im Vorhinein nicht. Er stellt sich im Wettbewerb heraus.

    Solche Anreize würden dann eben auch garantieren, dass Leistung, Qualifikationen und komparative Vorteile zählen, allemal bessere Lösungen als als junge Leute zu ziehen, die übergelaunt und wenig qualifiziert beim Bund gammeln. Fraglos würde die Marktlösung ebenfalls hohe Kosten verursachen, womöglich sogar höhere als die Dienstpflicht. Aber es ginge dabei gerechter zu: Denn nun müsste die Allgemeinheit der Steuerbürger unter Beweis stellen, dass und wieviel ihnen die Verteidigungsbereitschaft oder »Kriegstüchtigkeit« des Landes wert ist. Pekuniäre Anreize und institutioneller Wandel der Armee statt Zwang, Arbeitsteilung statt Naturalsteuer: Es sollen diejenigen zum Zuge kommen, die es wollen und es am besten können. Die anderen sollen dafür bezahlen.
    So spricht am Ende vieles für das Marktmodell der FDP. Ob auf diese Weise ausreichend Freiwillige (und spätere Reservisten) zusammenkommen, wird von Pistorius und Teilen der Militärwissenschaft bezweifelt. Ob sie recht haben, wissen wir nicht. Es wäre kein gutes Zeichen, könnte aber schon sein. Dann bleibt immer noch der Zwang als ultima ratio. Ein liberales Land muss auch in Zeiten der Bedrohung auf Freiheit und Freiwilligkeit setzen. Pflicht – und sei es nur die Registrierungsplicht – ist und bleibt allemal die schlechtere Lösung.

    Rainer Hank