Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen08. Juni 2020
Pizza statt PastaKurzarbeit ist auf Dauer auch keine Lösung
Wochen mussten wir warten, bis wir endlich wieder unseren Jour-Fixe bei unserem Lieblingsitaliener reanimieren konnten. Stets teilen wir uns eine Portion Penne Salsiccia, Nudeln in Tomatensoße mit guter italienischer Wurst. Man hat so seine Gewohnheiten. Umso größer war die Enttäuschung, dass lediglich Pizza und zwei, drei Salate auf der Karte angeboten wurden. Aber keine Pasta.
Okay, ein Luxusproblem. Doch Enttäuschungen sind eben auch Gefühle und haben immerhin unsere Nachfrage provoziert, warum es keine Penne gäbe. Die Antwort der freundlichen Bedienung: Man könne sich im Moment nur den Pizzabäcker leisten, der Nudelkoch bleibe zuhause auf Kurzarbeit.
Das hat uns nur zur Hälfte überzeugt. Denn die Nachfrage am vergangenen Mittwoch sah nicht schlecht aus, fast wie in alten Zeiten. Zumal dem Restaurant jetzt auch der komplette Bürgersteig für Tische zur Verfügung steht, um die Abstandsregeln zu kompensieren. Ausweitung der Bedienzone, sozusagen.
Ökonomische Folgen der Unsicherheit
Nachfragen bei Verbänden und Freunden ergeben: Mein Italiener ist kein Einzelfall. Warum machen sie das? Einen Hinweis entnehme ich einem neuen Ifo-Papier von Rudi Bachmann und Kollegen: Es herrscht viel Unsicherheit in der Welt. Unsicherheit klingt psychologisch weich, hat aber harte ökonomische Konsequenzen. Firmen, die unsicher sind, heißt es in dem Arbeitspapier, reduzieren in Krisenzeiten besonders häufig die Belegschaftszahlen. Die Gastronomie hatte in den harten Corona-Zeiten fast hundert Prozent der Beschäftigten Kurzarbeit angemeldet; zudem verzeichnet die Branche besonders viele Entlassungen. Kein Wunder: Die Kundschaft ist ebenfalls verunsichert, löffelt mittags einsam im Homeoffice in den Vorstädten statt gesellig beim Geschäftsessen in den Innenstädten. Außer den Spesenkommissaren der Firmen freut das niemand.
Einen ganz anderen Hinweis verdanke ich meinem Friseur. Der Laden brummt, klar, die Leute wollen endlich ihre Matte runter haben. Doch auch mein Friseur sagt, ein Teil der Belegschaft sei weiterhin in Kurzarbeit. Gewiss, er kann wegen der Abstandsregeln nur an jedem zweiten Stuhl färben, schneiden und kämmen. Er könnte aber auch seine Öffnungszeiten erweitern – noch nie habe ich verstanden, warum am Montag beim Barbier geschlossen ist. Außerdem ist uns Männern corona-bedingt der Trockenschnitt verwehrt; die obligatorische Haarwäsche bringt zusätzlichen Umsatz. Der Friseur rechtfertigt die weiter in Anspruch genommene Kurzarbeit auch gar nicht mit fehlenden Umsätzen, sondern mit der Angst, bei einem abermaligen Shutdown infolge einer möglichen zweiten Infektionswelle den Anspruch auf Kurzarbeit zu verlieren. Ein solche Regelung gibt es zwar nicht. Gemeint ist aber: Das »Arbeit-für-Morgen-Gesetz« (wie die immer ihre Namen finden!) der Bundesregierung von Mitte Mai regelt, dass die von der Bundesagentur gezahlten Leistungen gestaffelt sind nach dem Motto »Je länger je mehr«. Erst gibt es 60 Prozent vom Nettolohn, vom vierten Monat an dann 70 Prozent und vom siebten Monat an sogar 80 Prozent (für Beschäftigte mit mindestens einem Kind 87 Prozent). Nüchtern betrachtet lohnt es sich also für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, ihre Belegschaften nicht zu früh aus der Kurzarbeit zu entlassen. Man würde auf Staatsgeld verzichten; lieber verzichtet man auf Umsatz.
»Fehlanreize« nennt das Enzo Weber, Forschungsbereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Man kann es auch eine Ungerechtigkeit nennen, denn der übliche Mechanismus der Arbeitslosenkompensation (und nichts anderes ist natürlich auch das Kurzarbeitergeld) wird auf den Kopf gestellt. Üblicherweise gibt es zuerst mehr, später dann weniger Geld: Nach zwölf, maximal fünfzehn Monaten Arbeitslosengeld 1, das identisch ist mit den 60 Prozent Kurzarbeitergeld, fällt man auf deutlich geringere Hartz-IV-Leistungen zurück. Das heißt: Vom vierten Monat an ist Kurzarbeitergeld inzwischen lukrativer als Arbeitslosengeld. Man wollte, gut gemeint, vermeiden, dass jemand mitten im Shutdown mittellos dasteht. Doch jetzt führt die Regelung zu einer Verfestigung bestehender Wirtschaftsstrukturen und verlangsamt zudem, dass die Konjunktur rascher anspringt. Mitarbeiter werden aus rationalen Gründen gehalten. Der – ökologische oder digitale – Umbau der Wirtschaft könnte sich verzögern. Immerhin: Ende des Jahres laufen die Sonderregelungen aus – vorerst.
Der amerikanische Weg als Alternative
Dieser strukturkonservative Effekt war lange Zeit unter Arbeitsmarktökonomen ein Grund, warum die deutsche Kurzarbeit ambivalent betrachtet wurde. Dann kam die Finanzkrise nach dem Jahr 2008, in dem die »Realwirtschaft« unverschuldet in den Strudel des Fehlverhaltens der Banken geriet, sich aber durch Kurzarbeit erfolgreich über Wasser halten konnte – das Narrativ des Kurzarbeit-Wunders war geboren.
Als Faustregel formuliert Enzo Weber, Kurzarbeit sei dann geboten, wenn es einen von außen kommenden, vorübergehenden Schock gibt. Weber nennt das den »Lichtschalter-Effekt«, alles wird dunkel. Kurzarbeit bietet Firmen und Belegschaften Sicherheit; die Arbeitnehmer fühlen sich subjektiv nicht arbeitslos, was wichtig ist, weil in Deutschland Arbeitslosigkeit als Stigma gilt. Außerdem erhält die Kurzarbeit sogenanntes Matching-Kapital: Die Arbeiter machen nach der Krise dort weiter, wo sie beim Shutdown das Band verlassen haben, ohne neu eingearbeitet werden zu müssen. Das spart betriebswirtschaftlich enorme Kosten.
Strukturkonservativ und sicherheitsorientiert. Das ist der deutsche (und europäische) Weg. Einen komplett anderen Weg gehen die Vereinigten Staaten. Dort hat der Arbeitsmarkt seit April 40 Millionen Stellen eingebüßt. Vorher gab es Vollbeschäftigung, jetzt liegt die Arbeitslosenquote bei fünfzehn Prozent, was interessanterweise der deutschen Kurzarbeiterquote entspricht. Doch auch Amerika lässt seine Arbeitslosen in der Krise nicht hängen, anders als es hierzulande gerne behauptet wird. Jeder, der arbeitslos wird, erhält einmalig 1200 Dollar und wöchentlich 600 Dollar. Die Erfahrung zeigt: So rasch die Arbeitslosigkeit in Amerika emporschnellt, so rasch kehrt die Wirtschaft hinterher zu Vollbeschäftigung zurück und entwickelt zudem deutlich mehr Dynamik. Deutschland würde eine derart hohe Arbeitslosigkeit nicht verkraften, meint Weber – und viel länger brauchen, sie abzubauen.
Noch ist nicht ausgemacht, wer besser aus der Krise herauskommt: Amerika oder Europa. In der Krise freilich scheint der deutsch-europäische Weg auf jeden Fall friedlicher und weniger Angst auslösender zu sein. Die gewaltsamen Unruhen der vergangenen Woche in Amerika haben nur am Rande wirtschaftliche Ursachen: Aber die Wirtschaftskrise verschärft alles noch einmal bei Schwarzen und Weißen.
In Zeiten von Schocks ist der angelsächsische Kapitalismus eine größere humane, soziale und ökonomische Zumutung für die Menschen. Der Harvard-Ökonom Alberto Alesina, dessen wir in der vergangenen Woche aus Anlass seines plötzlichen Todes gedachten, hält die Unterschiede zwischen Europa und Amerika für kulturell bedingt; die Präferenzen hinsichtlich Fairness, Umverteilung, Sicherheit und Selbstverantwortung sind sehr verschieden. In solch schweren Krisen wie jetzt möchte man lieber Europäer sein als Amerikaner.
Rainer Hank