Rainer Hank als Illustration

Hanks Welt

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  • 17. Februar 2021
    Neoliberalismus ist des Teufels

    Gottseibeiuns

    Am besten geht es mit Pappkameraden

    Es ist kalt geworden in unserer Welt; die Menschen sind unglücklich und einsam. Nein, ich spreche nicht von den Erfahrungen des Zweiten Lockdown. Sondern wissenschaftliche Ergebnisse von einer aktuellen Untersuchung von Sozialpsychologen der Universität Osnabrück, die herausfinden wollten, was der Neoliberalismus den Menschen antut. Und nach Lektüre ihres Papers muss man sagen: Ziemlich viel Schreckliches.

    Der Neoliberalismus. Seit ich Wirtschaftsjournalist bin, und das bin ich schon ziemlich lange, ist der Neoliberalismus der Gottseibeiuns, wird auf der Liste der üblichen Verdächtigen immer an erster Stelle genannt, wenn für irgendein Unglück oder eine Ungerechtigkeit ein Bösewicht gesucht wird. Im Mittelalter war das eben Gottseibeiuns, ein Synonym für den Teufel, dessen Namen auszusprechen verboten war, es sei denn, man wollte sich gleich der Hölle ausliefern. Heute würden junge Satirikerinnen wie Ella Carina Werner (»Der Untergang des Abendkleides«) die Neoliberalen am liebsten »verbal massakrieren«. Klingt auf jeden Fall schlimmer als Skalpieren im Indianerspiel meiner Kindheit. Ähnlich wie beim Teufel ist unklar, ob es die Neoliberalen überhaupt gibt. Die Existenz-Frage freilich ist unerheblich für ihre Funktion als Bösewichte vom Dienst. Fast hat man den Eindruck, dass sich einem nicht existenten Neoliberalismus noch mehr anhängen lässt als einem real existierenden Wirtschaftssystem.

    Das alles lässt sich idealtypisch an der Osnabrücker Einsamkeits-Studie zeigen. Die Autoren wollten wissen, wann Menschen sich unglücklich und einsam fühlen. Und ob das etwas mit der wirtschaftlichen Verfassung einer Gesellschaft zu tun hat. Dazu legten sie ihren Probanden Aussagen darüber vor, wie eine »neoliberalen« Welt »empfunden« werde: die Märke entfalten sich ungezügelt, der Staat kontrolliert die Unternehmen kaum, der Einzelne ist seines Glückes Schmied und soziale Ungleichheit ist ein positiver Wert,

    Anschließend wurden die Versuchspersonen gefragt, wie sie sich in einer solchen neoliberalen Welt fühlen. Ziemlich elend, so die Antwort. Der Wettbewerbsdruck bereitet ihnen Stress, lässt das gute Gefühl sozialer Zusammengehörigkeit vermissen und verstärkt das Gefühl der Einsamkeit. Kurzum: Neoliberalismus ist eine »Gefahr für die Gesundheit der Menschen«. Sein Versprechen, die Menschen frei und selbständig zu machen, könne dieser Neoliberalismus nicht einlösen. Selbst Menschen, die von ihrem sozialen Status her profitieren, wollten nach eigenem Bekunden in einer solchen kalten Welt nicht leben. Denn Leistungsdruck führt, klar doch, zu Burnout.

    Es kommt raus, was man reingegeben hat

    Das alles findet sich wohlgemerkt nicht in einer antikapitalistisch-esoterischen Nischenpublikation, sondern im »British Journal of Social Psychology« (2021), der wissenschaftlichen Zeitschrift der Britischen Psychologischen Gesellschaft. Und es ist auch nur das letzte Beispiel einer Reihe ähnlicher Untersuchungen, die nachzuweisen suchen, dass der Neoliberalismus krank macht, Ungleichheit unglücklich macht und am Ende auch die Leistungsbereitschaft der Menschen bremse und das wirtschaftliche Wachstum drossele.

    Untersuchungen solcher Art funktionieren stets nach dem Motto: Man kriegt hinten raus, was man vorne rein gibt. Neoliberalismus wird als »Ideologie« präsentiert, destilliert aus der anti-liberalen Literatur. Damit steht das Ergebnis am Anfang schon fest. Einsamkeit und Wohlbefinden sind abhängig vom Gesellschaftssystem. Der Neoliberalismus kann keine sozial gerechte Gesellschaft bieten. Dafür gibt es Brief und Siegel akademischer Psychologen, die gar nicht mitbekommen haben, dass man sich über den Neoliberalismus auch aus den Original-Quellen schlau machen kann, nicht nur bei Gegnern wie Piketty & Mirowski.

    Mit Empirie, nebenbei bemerkt, hat diese sich selbst erfüllende Wissenschaft nichts zu tun. Ein bisschen Empirie brächte schon ein Blick in die einschlägigen seriösen Rankings zu Ungleichheit, Glücksempfinden und wirtschaftlicher Freiheit. Auf den ersten Plätzen freier Gesellschaften (also im herrschenden Sprachgebrauch »neoliberal«) finden sich Neuseeland, die Schweiz und Dänemark. Genau diese Länder rangieren auch auf den vorderen Plätzen von Ländern, in denen die Bürger zufrieden und glücklich sind. In Deutschland (wirtschaftliche Freiheit Platz 27, also nicht besonders »neoliberal«) sind die Menschen auch nicht übermäßig glücklich (Platz 17).
    Würde, wie die Psychologen meinen, das Glück der Menschen in Ländern großer sozialer Gleichheit besonders positiv blühen, müsste dies sich in den Rankings spiegeln. Egalitäre Länder (gemessen am sogenannten Gini-Koeffizienten) sind zum Beispiel die Ukraine oder Slowenien. Dort, aber auch in Usbekistan, lebt es sich deutlich egalitärer als in Deutschland. Gleichwohl würden die Probanden der Psychologen (sie stammen aus Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten) wohl ungern nach Usbekistan emigrieren in der Hoffnung, dort weniger einsam und krank zu werden.

    Hayek und Eucken lesen hilft

    Dass man kritisch und fair mit dem Neoliberalismus umgehen kann, zeigt eine gerade bei Suhrkamp unter dem Titel »Die politische Theorie des Neoliberalismus« erschienene Studie des Politikwissenschaftlers Thomas Biebricher. Die Instrumentalisierung des Neoliberalismus als »polemisches Instrument politischer Diffamierungskampagnen« findet Biebricher wenig anschlussfähig. Kein Wunder, dass fast nur die Gegner sich des Begriffs bedienen. Wer heute von sich selbst sagt, er sei ein Neoliberaler, hat sich aus dem Diskurs herausgeschossen und dem Shitstorm preisgegeben.

    Biebricher, wie gesagt kein neoliberaler Apologet, zeigt anhand der Quellen (Hayek, Eucken, Röpke, Buchanan) welche Klischees über den Neoliberalismus in Umlauf sind. Seit seiner Gründung in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts vertrat der Neoliberalismus die Auffassung, der Glaube an sich selbst regulierende Märkte (»Laissez-Faire«) sei ein Irrweg, von dem man sich verabschieden müsse. Also das exakte Gegenteil dessen, was ihm heute notorisch unterstellt wird. Man war stets gegen und nicht für einen Marktfundamentalismus, wollte keinen schwachen, sondern einen starken Staat, der wirtschaftliche Macht kontrolliert und Wettbewerb autoritär durchsetzt. Biebricher im O-Ton: »In gewisser Weise ist es gerade der Markt, der zum Problem für die Neoliberalen wird. Denn angesichts von Niedergang und Krise des Liberalismus ist es schlicht keine haltbare Position mehr, den ehernen Gesetzen des Ökonomischen dabei zuzusehen, wie sie die Dinge automatisch und ganz von selbst regeln.«

    Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Gegner des Neoliberalismus künftig nicht ihre selbst geschaffenen ideologischen Zerrbilder zur Grundlage von Kritik nähmen. Es lohnt sich allemal mehr, eine Position an ihrem Selbstverständnis und bei ihren stärksten Seiten zu packen, als sich Pappkameraden zu basteln. Aber natürlich ist es lustvoller und zugleich weniger anstrengend, Pappkameraden abzuschießen. Zumal die Mehrheit der Kritiker dasselbe Pappkameraden-Spiel spielt – so fühlt man sich dann in der besten, die antikapitalistische Seele wärmenden Gesellschaft weniger einsam und weniger unglücklich.

    Rainer Hank