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  • 25. Juli 2022
    Nachhilfe für die EZB II

    Die Präsidentin: Christine Lagarde Foto: ECB

    Dieser Artikel in der FAZ

    Für den »Zusammenhalt der Eurozone« ist die Notenbank nicht zuständig

    Die Europäische Zentralbank (EZB) soll dafür sorgen, dass der Wert des Geldes im Euroraum stabil bleibt. Inflation bringt alles aus dem Lot und ist extrem ungerecht. Werden – wie derzeit – Energie, Lebensmittel und vieles andere teurer, muss eine Zentralbank gegensteuern.

    Wie Zinsen und Inflation genau zusammenhängen, darüber habe ich am vergangenen Sonntag geschrieben. Jetzt hat die EZB nach einer langen Phrase der Null- oder Negativzinsen ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Viel zu spät, sagen viele – blickt man auf die Teuerung in der EU, die im Juni bei 8,6 Prozent lag (und in Estland und Litauen bei 20 Prozent). Das Inflationsziel der EZB lautet »zwei Prozent«.

    Warum erhöht die EZB die Zinsen so zögerlich? Es könnte daran liegen, dass die Notenbanker die hoch verschuldeten Staaten Südeuropas im Blick haben (Italien liegt derzeit bei 150 Prozent Schulden bezogen auf das Bruttosozialprodukt), die eine Verteuerung des Schuldendienstes belasten würde. Schon jetzt gehen die Zinsen auseinander, die von den Anlegern für italienische Staatsanleihen gefordert werden im Vergleich zu einer deutschen Bundesanleihe. Unter dem sperrigen Namen »Anti-Fragmentierungsinstrument« glaubt sich die EZB dazu ermächtigt, am Sekundärmarkt (also bei normalen Geschäftsbanken) Anleihen eines Hochzinslandes kaufen zu können, damit die Zinsdifferenz zwischen den Staaten der Eurozone nicht zu groß wird und der »Zusammenhalt in der Eurozone« nicht in Gefahr gerät.

    Darf sie das? Nein, – habe ich in der vergangenen Woche geschrieben. Der »Zusammenhalt der Eurozone« gehe die EZB nichts an. Das hat mir scharfen Protest der EZB eingebracht. Auf Twitter schreibt der EZB-Sprecher: »Dass die EZB nicht für den Zusammenhalt der Eurozone zuständig sein soll, scheint mir eine grenzwertige Rechtsauffassung zu sein. Die EZB muss Geldpolitik für die Eurozone als Ganzes machen. Wäre ihr das egal, könnte sie willkürlich Politik nur mit Blick auf Deutschland oder auf Italien oder auf die baltischen Staaten machen.«

    Eine »grenzwertige Rechtsauffassung«?

    Eine »grenzwertige Rechtsauffassung«? Starker Tobak. Dass die EZB, ein wichtiger Mitspieler im Diskurs, sich anmaßt, ihrerseits die Grenzen des Diskurses zu definieren, irritiert mich. Der Bank scheint die Debatte unangenehm zu sein und stellt Verbotstafeln auf.

    Ich habe mich bei einer Reihe von Rechtsgelehrten schlau gemacht, ob meine Rechtsauffassung »grenzwertig« sei und wurde beruhigt. Zwar sagen die einen so, die anderen so, wie das bei Juristen Usus ist; »Grenzwertigkeit« hat mir keiner vorgeworfen.

    Fangen wir mit dem Gesetz an. In Artikel 127 Absatz 1 des »Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union« (AEUV) heißt es: »Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union.«

    Die Geldpolitik muss sich auf die gesamte Eurozone beziehen, darf nicht willkürlich zwischen Italien, Deutschland oder den baltischen Staaten unterscheiden, sagt die EZB. Das habe ich nicht bestritten. Aber heißt »Geldpolitik für die Eurozone als Ganzes« auch, dass die Renditen der Marktzinsen homogen sein müssen?

    Davon lese ich im Gesetz nichts. »Vorrangig« gehe es um Preisstabilität. Es geht also nicht um möglichst viele Jobs, es geht auch nicht um Klima- und Umweltpolitik, obwohl viele in der EZB mit einer solchen grünen Geldpolitik liebäugeln. Es geht um die Eindämmung der Inflation auf zwei Prozent. In der Tradition der deutschen Ordnungsökonomik und der Bundesbank, die dem Gründungsakt der EZB Pate standen, heißt das: Jeder wirtschaftspolitische Akteur soll die Aufgabe erfüllen, die er am besten erledigen kann. Das gelingt am ehesten, wenn mit einem Instrument – hier der Geldpolitik – nicht mehrere Ziele erreicht werden sollen. Von »Schutz des Zusammenhalts der Eurozone« steht jedenfalls nichts im Gesetz.

    Die dehnungsoffene Formulierung im Gesetz heißt, die EZB »unterstützt die allgemeine Wirtschaftspolitik«. Die Notenbanker selbst legen diese Wendung spätestens seit 2012 sehr weit aus. Sie wollen Entwicklungen verhindern, die dazu führen, dass ein Mitgliedsstaat faktisch zum Austritt gezwungen wird. Wenn Spekulanten an den Finanzmärkten einzelne Staaten mit »ungerechtfertigt und unkontrolliert« hohen Zinsen strangulieren und in die Pleite treiben, soll die EZB gegensteuern. Der EZB wohlgesinnte Rechtsgelehrte sprechen von einem »Homogenitätskriterium«.

    Was ist ein »angemessener Zins«?

    Ich halte das Argument für nachgeschoben. Die Homogenitätsanforderung würde bedeuten, dass die EZB abweichend von der Marktpreisbildung einen »angemessenen Zins« festlegt. Das ist eine Anmaßung. Denn der Zins eines Landes hängt von Fundamentaldaten ab, die ihrerseits auf unterschiedlichen politischen Entscheidungen beruhen (Haushalts- und Sozialpolitik). Über ein privilegiertes Wissen zur Scheidung fundamentaler und spekulativer Zinsbestandteile verfügt die EZB nicht.
    »Unabhängigkeit« der EZB bedeutet nicht Beliebigkeit. Fehlende demokratischer Fremdbestimmung (kein Parlament kann Frau Lagarde absetzen) bezieht sich strikt auf die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags der Notenbank: Geldwertstabilität garantieren. Je größer die Unabhängigkeit einer Institution von demokratischer Kontrolle, umso enger muss sie ihr Mandat auslegen. Leider hat die EZB sich seit der Eurokrise angewöhnt, ihr Mandat sehr zu dehnen.

    Es ist nicht Aufgabe der EZB, mit der süßen Droge billigen Geldes in demokratische Prozesse einzugreifen. Wenn Cinque Stelle oder die Lega in Italien aus dem Euro rauswollen und darüber eine Mehrheit zustande bringen, ist dies das Recht eines souveränen Staates. Die EZB hat sich nicht zum Richter über die Wirtschafts- und Finanzpolitik ihrer Mitglieder aufzuschwingen. Es gab einmal – während der Eurokrise – die Situation, dass Griechenland sich gegen Reformen wehrte und der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble über einen Rauswurf des Landes nachdenken ließ. Hätte die EZB dann unabhängig von Willen und Handeln der politischen Akteure den Zusammenhalt organisieren sollen? Ein absurder Gedanke.

    Ob der Zusammenhalt der Eurozone eher durch die Homogenität der Schuldzinsen oder durch eine strikte Beschränkung des Mandats und die Achtung der Stabilität des Rechts garantiert wird, darüber kann man geteilter Meinung sein. Ich habe mich für letzteres entschieden und dafür gute, keine grenzwertigen Gründe genannt.

    Rainer Hank