Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen08. April 2021
Meine Corona-HeldenWomöglich sind Ökonomen wichtiger als Virologen
Den Schock erlebte Paul Romer, Ökonomie-Nobelpreisträger des Jahres 2018, schon im März 2020. Seine Tochter, die als Ärztin in einem New Yorker Spital arbeitet, hatte sich mit dem Corona-Virus infiziert. Sie habe große Angst gehabt, unwissentlich Patienten und Personal angesteckt zu haben, erzählt Romer. Da habe er sie gefragt, ob sie denn nicht systematisch getestet würde. Das war nicht der Fall.
Für Romer war an diesem Tag klar: Testen, testen, testen, ist der Auftrag der Stunde. Wohlgemerkt, wir befinden uns im März 2020, als sich gerade erst herumzusprechen begann, wie schrecklich die Pandemie werden würde. Und ein rettender Impfstoff noch in weiter Ferne war. Romer fand sich umzingelt von Bedenkenträgern, die ihm klarzumachen suchten, dass seine Idee utopisch sei und außerdem nichts bringe. Heute, ein langes Jahr später, singen die deutschen Ministerpräsidenten und die Kanzlerin das Lied vom »testen, testen, testen« täglich in ihrem ansonsten dissonanten Chor. Es wäre gescheit gewesen, auf den Ökonomen aus New York früher zu hören.Paul Romer steht auf Platz Eins meiner völlig subjektiven Liste der Ökonomen, die Hilfreiches zur Pandemie gesagt haben oder sagen. Sie soll den Eindruck korrigieren, lediglich der Rat von Virologen sei relevant in diesen katastrophalen Zeiten. Und sie kann das Zerrbild zurechtrücken, Ökonomen seien, weil verliebt in ihre Glasperlenspiele, für das Praktische nicht zu gebrauchen.
Testen, testen, testen
Paul Romer also forderte im Frühjahr 2020 für Amerika, jeden Tag 20 bis 30 Millionen Menschen zu testen. Und zwar alle, auch wenn sie keine Symptome zeigen. Jeder, der negativ ist, werde sofort ins normale Leben entlassen. Wer positiv ist, muss in Quarantäne. Das hat nicht nur den Vorteil, dass Erkrankte sofort isoliert und behandelt werden können, sondern auch, dass alle anderen frei, vor allem angstfrei, weiterleben können wie früher – und ein Shutdown, wenn schon nicht vermeidbar, so doch viel milder hätte gestaltet werden können. Den Einwand, testen in dieser Dimension sei nicht praktikabel, kontert Romer mit der Bemerkung, Amerika produziere täglich 350 Millionen Dosen Cola und Fanta. Dieser Industrie seien auch 30 Millionen Tests zuzumuten. In Deutschland wehrte sich das Labor-Kartell dagegen, auch den Veterinär-Laboren Analysen zu erlauben, was die Kapazitäten deutlich einschränkt. Und die politische Debatte setzte alle Hoffnung in die Corona-App (»tracking & tracing«). Heute gilt die App als teurer Flop. Auch das hatte Romer vorhergesehen: Datenschutzbedenkenträger würden die App kaputtkriegen, noch bevor sie zu laufen beginnt.
Ökonomen sind keine Propheten. Sie lagen mit Prognosen oft grandios daneben. Aber sie verstehen etwas von Knappheit, Rationalität, Kosten-Nutzen-Erwägungen und Effizienz. Und sie haben eine Schwäche für die schwache Natur des Menschen. Insofern empfiehlt es sich, ihnen in Krisen mehr Gehör zu schenken.
Weg mit zu viel Bürokratie
Auf Platz zwei meiner zu laudatierenden Ökonomen steht ein Gelehrter namens Casey Mulligan, dessen Ideen in den Vereinigten Staaten gerade erfolgreich umgesetzt wurden, was viele ihm aber nicht gönnen: denn der Mann war eine Art Chefökonom für die Trump-Administration. Mulligan gilt als einer der Väter der sogenannten »Operation Warp Speed«, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Amerika das Impfen schneller und erfolgreicher auf die Reihe bekommt als Deutschland. Der Gesundheitsökonom in der Tradition der marktwirtschaftlichen Chicago-Schule hatte damit begonnen, die Arzneizulassungsbehörden zu entbürokratisieren und zugleich auf innovative Verfahren der Impfstoffentwicklung zu dringen. In der Pandemie mit seinem exponentiellen Ansteckungsverlauf gilt der Grundsatz: Schnelligkeit rettet Leben. Träge Bürokraten können alles versemmeln. So ungefähr hat das mein FAZ-Kollege Winand von Petersdorff geschrieben, dem ich den Hinweis auf Mulligan und sein Team verdanke. Casey Mulligan zeigt: Nicht alles unter Trump war schlecht. Der Fall gibt preis, warum den Deutschen ihr bürokratischer Perfektionismus zum Verhängnis wird und wurde.
Hammer und Tanz
An dritter Stelle folgt ein Paar: die am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrende französische Ökonomin Esther Duflo und ihr Mann, der Inder Abhijit Banerjee. Die beiden erhielten den Ökonomie-Nobelpreis im Jahr 2019 für ihre Arbeiten zur Armutsbekämpfung. Duflo und Banerjee wunderten sich darüber, wie viel Falschinformation und Verschwörungstheorien auf dem Markt sind, die nicht nur zu Impfskepsis, sondern auch zur Nichtbeachtung der AHA-Regeln führen. Sie wollten herausbekommen, ob und wie sich rationale Kommunikation in der Pandemie durchsetzen lasse. Dazu führten sie Experimente (»randomisiert«) mit Kontrollgruppen durch, wie sich in ihrer Forschung zu Afrika bewährt haben, wenn es darum ging, die Bereitschaft zum Impfen zu verbessern oder Mückennetze gegen Malaria einzusetzen. Wenn die Werbewirtschaft mit Prominenten den Konsum von Cola anheizt, könnten Promis womöglich auch die Neigung der Menschen verbessern, sich impfen zu lassen. Die beiden Ökonomen zeigen, dass sich Verhaltensänderungen über die Herstellung von Vertrauen steuern lassen. Deshalb ist es im Übrigen so verheerend, wenn hierzulande das Vertrauen in Politiker und Experten, Führung zu übernehmen, am Boden liegt.
Weil Vertrauen steuerndes Storytelling in der Krise so wichtig ist, steht auf Platz vier meiner Helden der Franzose Tomas Pueyo, der heute als Unternehmer und Betreiber der Ideen-Plattform »Medium« in Kalifornien arbeitet, die nach eigenen Angaben 170 Millionen Nutzer hat. Pueyo gab im März 2020 die wohl berühmteste Devise der Pandemie-Bekämpfung aus: »Hammer and Dance«, ein etwas ungleiches Metaphernpärchen. Pueyos Aufsatz wurde in 37 Sprachen übersetzt. Die Idee: Strenge Maßnahmen müssen früh und für kurze Zeit implementiert werden. Das ist der »Hammer«, er könne zu »einem nachvollziehbaren Preis« für die Gesellschaft geschwungen werden, wodurch Millionen von Menschenleben gerettet werden. Die Phase des »Tanzes« beginnt danach: Die behutsame Öffnung. Zu entscheiden, ob die Corona-Bekämpfung besser funktioniert hätte, wäre man Pueyo konsequent gefolgt, ist müßig. Aber die zähe Dauer der Krise bei uns könnte damit zusammenhängen, dass kurze und harte Phasen des Hammers offenbar politisch schwer durchzusetzen sind.
Wenn es eine Gemeinsamkeit unter den Vorschlägen meiner Helden gibt, dann diese: Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung müssen effizient sein (und nicht nur gut gemeint). Sie müssen aber auch die Freiheit der Menschen (auch die wirtschaftliche Freiheit) wahren und nach kurzen Einschränkungen rasch wieder zur Normalität führen. Das glückt durch massenhaftes Testen und Impfen, wovon viele Menschen überzeugt werden müssen (wegen der Herdenimmunität). Es ist ein Witz, dass angesichts des Erfolgs dezentraler Vorbilder (Tübingen) die Kanzlerin jetzt Gesetzesänderungen zur Zentralisierung der Pandemiebekämpfung fordert. Es ist ein Drama, dass es hierzulande bürokratisch, aber nicht effizient zugeht ist und zugleich die Freiheit das Nachsehen hat, wenn die Bürger als Reaktion auf die Unfähigkeit der Politiker aus Hilflosigkeit von denselben Politikern einfach nur weggesperrt werden (englisch: Lockdown).
Rainer Hank