Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen18. August 2023
Le KulturkampfÜber die Politisierung von allem und jedem
Nun also hat es auch das Hamburger Ohnsorg-Theater erwischt. Dort tobt ein Kulturkampf, wie ich der Süddeutschen Zeitung entnehme. Das Ohnsorg-Theater kennen Leute meiner Generation aus den sechziger Jahren, auch wenn sie in Süddeutschland lebten. Denn man konnte die Mundartstücke (Plattdeutsch) regelmäßig im Fernsehen sehen. Eine Wahl hatte man nicht, es gab nur ein Programm. Die Heldin des Theaters hieß Heidi Kabel. In unserer schwäbischen Familie mochte man sie. Die Stücke hießen »Tratsch im Treppenhaus«, »Opa wird verkauft« oder »Die Königin von Honolulu«. Dialektkomödien waren damals sehr beliebt. Aus Köln kam Willy Millowitsch, aus Stuttgart Willy Reichert und aus München die Lach- & Schießgesellschaft und später die Lindenstraße.
Jetzt soll Schluss sein mit der Heidi-Kabel-Zeit in Hamburg, so lese ich es. Nicht nur, weil die Leute immer weniger Dialekt verstehen, sondern erst recht, weil das Mundarttheater als »Volks«-Theater gilt. Und das passt nicht mehr in unsere multikulturell-diversen Regenbogenzeiten. Gegen diese sogenannten Modernisten opponiert allerdings jetzt eine Traditionalistenfraktion, die für den Erhalt den »Plattdeutschen Theaters in plattdeutscher Art« ficht.
Und genau diesen Konflikt zwischen Modernisten und Traditionalisten nennt man heute »Kulturkampf«. Der Begriff hat seit den letzten Jahren eine Inflationierung hinter sich, ähnlich steil wie die Teuerung der Verbraucherpreise. Das immer hilfsbereite FAZ-Archiv zählte 2010 47 Nennungen in der FAZ, 2020 gab es 50 Treffer, 2022 dann schon 65 Treffer und in den ersten sechs Monaten 2023 verzeichnen die Archivare 58 Treffer. Es wird ein Rekordjahr. Noch mehr Fleiß in der Kulturkampfberichterstattung zeigt die Süddeutsche Zeitung: die liegen heute schon bei 77 Treffern, nach 44 im vergangenen Jahr. Vorbild sind natürlich wieder einmal die Vereinigten Staaten. Dort ist gemäß Googles Zählmaschine »Ngramviewer« der Begriff »war of culture« derzeit auf seinem Allzeithoch seit dem Jahr 1800.
SUV-Fahrer gegen Radfahrer
Merke: Kulturkampf ist überall. Hier kommen ein paar Beispiele aus den vergangenen Wochen. Die Straße sei längst schon zur »Kulturkampfarena« verkommen, heißt es zum Beispiel im »Spiegel«. Wer kämpft kulturell gegen wen: Der SUV-Fahrer aus dem Vorort, natürlich ein Boomer, gegen die Lastenrad fahrende Jungmutter und Teilzeitkreative aus dem Szeneviertel. Auch hier sind also wieder Progressive gegen Traditionalisten unterwegs, wobei es das Schwarz-Weiß-Bild stören würde, daran zu erinneren, dass es nicht wenige Lastenrad-Fahrerinnen gibt, die nebenbei auch einen SUV ihr Eigen nennen.
Kulturkampf ist nicht nur in Deutschland. In Spanien gibt es einen »Kulturkampf um den Stierkampf«. Dort gehe es nicht fair zu, sagen die Progressiven: Statistisch gesehen gebe es viel mehr tote Stiere als tote Toreros. Die Mehrheit der Spanier hat sich von diesem Argument nicht überzeugen lassen und bei der Parlamentswahl am 23. Juli für die Traditionalisten votiert.
Schließlich zu den Hauptkampfplätzen: Da tummeln sich die Fleischesser, angeführt von Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU). Mit dem Slogan »Wir sind gegen Verbote von Fleisch und Wurst« ziehen sie gegen Vegetarier und Veganer in die heiße Schlacht am Grillplatz. Heiß ging es zuvor schon zu im »Kulturkampf ums Heizen« (auch »fossiler Kulturkampf« genannt), wo schon einmal der »Heiz-Hammer« herausgeholt wurde, um Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu zeigen, wo derselbe hängt. Und wenn Friedrich Merz feststellt, AfD-Bürgermeister oder -Landräte seien demokratisch gewählt, halten die Kulturkämpfer der eigenen Partei ihm vor, er reiße Brandmauern ein.
Die Mutter (oder sagen wir korrekt: die »gebärende Person«) aller Kulturkämpfe ist die Identitätspolitik, wo es darum geht, ob es zwei Geschlechter oder ganz viele davon gibt und wem es zusteht zu sagen, welches er/sie/mensch haben will. An dieser Stelle trifft sich der Kulturkampf mit dem Sprachkampf (Stichwort: cancel culture), wo umstritten ist, ob man das N-Wort noch komplett aussprechen oder zumindest zitieren darf (den Traditionalisten in diesem Mundart-Stück gibt der Grüne Boris Palmer) oder nicht. Kulturkampf ist immer binär und meist im Zeitstrom aggressiv eskalierend.Erfunden hat das alles Otto von Bismarck
Was ist denn nun aber ein Kulturkampf? Anders als der Begriff es suggeriert, geht es im Kern nicht um Kultur, sondern um Politik. Kulturkampf meint die moralisch aufgeheizte Politisierung von herkömmlich nicht politischen Haltungen oder Handlungen. Radfahren war früher einfach eine Weise, sich fortzubewegen. Inzwischen ist Radeln ein politisches Bekenntnis, ein Kampf, bei dem es buchstäblich darum geht, städtischen Boden gutzumachen. Ähnlich ist es mit dem Fleischessen. Da ging es früher lediglich um die Alternative medium, medium-rare oder well-done. Heute gilt ein Fleischesser als kleine Klimasau, die das 1,5–Grad-Ziel gefährdet.
Inzwischen ist der deutsche Kulturkampf ein Exportgut geworden. Die französische Zeitung »Le monde« schreibt ohne Bedenken von »Le Kulturkampf« und beruft sich dabei auf den amerikanischen Soziologen James Davison Hunter und dessen Buch »Culture Wars« aus dem Jahr 1991. Das liegt natürlich daran, dass als Vater aller Kulturkämpfe der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck (1815 bis 1898) gilt. Damals ging es um das kulturelle Selbstverständnis der Nation, das Aufeinanderprallen zwischen der konservativen Idee eines eher ständischen Verständnisses der Gesellschaft und der liberalen Modernisierung einer komplexen Gesellschaft. Für das Progressive standen Bismarck und das protestantische Preußen, als konservativ galten die Zentrumspartei und die ultramontanen Katholiken, die sich lieber an Rom und dem Papst als an Berlin orientieren wollte. Wobei sich die Kategorien merkwürdig verschieben: Denn die Katholiken agierten seit alters her weltumfassend, während die Preußen für den deutschen Nationalstaat kämpften, mithin nationalistisch waren. Wer ist da progressiv, wer Traditionalist?
Zimperlich war man auch im Bismarckschen Kulturkampf nicht. In der zeitgenössischen Literatur wurden Katholiken als Dickbäuche und Lotterbuben geschmäht. Die Katholiken keilten zurück und beschimpften die Liberalen als Missgeburt freimaurerischer Teufelsverehrung. Viele nichtreligiöse Aktivitäten (Sport, Bankgeschäfte oder der Konsum) wurden konfessionalisiert. Das führt noch einmal zurück in meine schwäbische Kindheit (in der man Ohnsorg-Theater guckte). In vielen Städten, in denen Evangelische und Katholische (häufig Flüchtlinge) lebten, wusste man ganz genau, welcher Metzger oder Bäcker katholisch oder evangelisch war. Entsprechend wusste man, wo man einzukaufen hatte und wo nicht. Kulturkampf Marke fünfziger Jahre.
Rainer Hank