Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. August 2024
Lauter VizepräsidentinnenTitel sind wichtiger als man denkt
Der wichtigste Direktor der Stuttgarter Bank, in der ich aufgewachsen bin, hieß von Varnbüler. Als Kind habe ich ihn nie zu Gesicht bekommen, nur sein Büro nach Feierabend, wenn ich mit meinem Vater, dem Hausmeister, durch die Räume der Bank streunen durfte. Dass Herr von Varnbüler – für mich hatte er keinen Vornamen – der wichtigste Mann der Bank war, sah man schon daran, dass sein Büro das größte im ganzen Haus war. Sein Schreibtisch auch.
Es gab auch noch andere Direktoren in der Bank. Die waren auch wichtig. Das hörte ich daran, wie achtungsvoll mein Vater von ihnen sprach. Er sagte immer »der Direktor Dölger«. Nie hätte er gesagt, »der Dölger«. Auch nicht, wenn wir unter uns waren. So habe ich als Kind gelernt, dass Hierarchien in einer Firma wichtig sind. Und dass man die Wichtigkeit der Menschen am Titel erkennt, den einer hat. Es gab auch Prokuristen. Das klang geheimnisvoll, obwohl die, glaube ich, nicht so wichtig waren.
Die Erinnerung aus der Kindheit kam mir, als ich kürzlich in der FAZ las, dass der DWS, die Fondgesellschaft der Deutschen Bank, Titel wiedereinzuführen beabsichtigt. Mir war ehrlich gesagt entgangen, dass man die im Jahr 2020 abgeschafft hatte. Es sollten »hierarchische Barrieren« eingerissen werden. Ein »agiles« Unternehmen, wie man das zu nennen pflegt, wolle Leistung betonen. Ohne Titel könnten sich Mitarbeiter auf Augenhöhe begegnen. Das scheint offenbar nicht gut angekommen zu sein. Und zwar gerade bei den Mitarbeitern selbst, denen man eigentlich etwas Gutes tun wollte, was sicher auch damit zusammenhängt, dass die DWS nicht nur die Titel, sondern auch Beförderungen abgeschafft hat, mit denen automatisch Gehaltserhöhungen verbunden waren. Plötzlich, wie gesagt, sollte ausschließlich die Leistung das Gehalt bestimmen.
13 Joblevel sind auch keine Alternative
Die DWS war übrigens nicht allein. Auch der Versicherungskonzern Axa hat in der Schweiz Titel abgeschafft, weil die als »Statussymbole« nicht mehr zeitgemäß seien. Stattdessen gibt es dort jetzt 13 Joblevel. Da wäre ich dann also auf Level 7 wichtiger als der Kollege auf Level 6, aber weniger wichtig als Kollege Level 8: »New Work« heißt so etwas heutzutage. Für mich klingt es eher nach Brave New World von Aldous Huxley. Bei der DWS jedenfalls kommen sie jetzt wieder zum »Director« zurück. Besonders gerne genommen werde der »Managing Director«, mit dem eine Bereichsleitung verbunden ist, die direkt unter dem Vorstand angesiedelt ist.
Anders als in meiner Kindheit sind die Titel in deutschen Unternehmen heutzutage englisch. Mein Vater wäre jetzt kein Hausmeister mehr, sondern ein »Facility Manager«. Ob ihm das recht wäre? Als mir vor Jahren als junger Journalist ein Interview mit einem Vice President angeboten wurde, war ich stolz und dachte, das müsse der zweitwichtigste Mann des Konzerns sein. Meine Enttäuschung war groß, als ich hörte, dass es in diesem Unternehmen 30 Vice President gibt.Mit der Titel-Inflation differenzieren sich die Titel. Und man muss die Übersetzung kennen. Ein »senior vice president« ist ein Angestellter im mittleren Management. Ein »assistant vice president« hat vor drei Jahren die Universität verlassen. Und ein »associate vice president« hat gerade das Alphabet gelernt, spottete der »Economist«. Wenn man jemanden unter den Vizepräsidenten besonders auszeichnen will, sollte man ihn mindestens zum »Senior executive vice president« befördern. So ist es bei einer Inflation: Wert und Bedeutung von Titeln verfallen im Maße ihrer personalpolitischen Vermehrung.
Der amerikanische Präsident hat nur eine einzige Vizepräsidentin. Auch die war vier Jahre lang unwichtig. Ich habe zufällig mitbekommen, wie Kamala Harris die Ankunft eines amerikanischen Mammutbaums in einem botanischen Garten Singapurs mit ihrer Anwesenheit aufwerten durfte. Dass es jetzt so aussieht, als werde sie demnächst die Welt erlösen und die Demokratie retten, hat jedenfalls nichts damit zu tun, dass sie Vizepräsidentin ist. Bei uns in Berlin haben wir zwei Vizekanzler. Das weiß kaum einer: Der Senior »Vice Chancellor« heißt Robert Habeck. Der »Associate Vice Chancellor« heißt Christian Lindner. Dass die beiden wichtig sind, sieht man daran, dass sie sich streiten. Dass sie sich streiten hat vor allem damit zu tun, dass sie verschiedenen ideologischen Ampel-Fraktionen angehören. Mit ihrem Amt als Vize-Kanzler hat es nichts zu tun.
Vorbild aller Hierarchien ist entweder das Militär oder die Verwaltung. In Österreich hieß es lange Zeit »Ja grüß Gott, Frau Medizinalrat«, wenn man die Gattin desselben begrüßte. Einer aktuellen Serviceseite »Wie Sie Titel in Österreich richtig verwenden« entnehme ich, dass das so etwas heute nicht mehr üblich sei. Aber Professoren am Gymnasium und Doktoren sollte man schon so ansprechen: 70 Prozent der Österreicher legen Wert auf Titel und benutzten sie auch, heißt es auf der Seite.
Chefkorrespondenten sind auch nicht mehr, was sie mal waren
In einer inzwischen üblichen allgemeinen Duz-Kultur wird der Doktor kaum überleben. In Amerika orientieren sich die Unternehmen am Militär, weshalb es in der Hierarchie von Offizieren nur so wimmelt – eine ähnliche Vervielfachung wie bei den Vizepräsidenten.Es gibt nicht nur den CEO, den »Chief Executive Officer« (in Deutschland hieß er früher »Vorstandsvorsitzer«[sic]), sondern auch den CIO, den Chief Innovation Officer, als ob man Innovation militärisch befehlen könne. Mir persönlich gefällt der CDEIO besonders gut: Das ist der Chief Diverstiy, Equity and Inclusion Officer. Lauter Chefs. Vorlage für die Konstruktion Chief plus Officer ist, wie gesagt, das amerikanische Heer, wo es für jede Division einen kommandierenden Officer gibt, lese ich. Mir fällt dazu immer nur Officer Krupke ein. Das ist jener Polizei-Sergeant aus der West Side Story, den die Jugendgangs so wunderbar nachäffen. Sein Vorgesetzter heißt übrigens Lieutenant Schrank.
Sagen wir es so: Titel abschaffen bringt nichts. Man braucht sie, um nach außen und innen zu signalisieren, wofür jemand zuständig ist, und wer Ober und wer Unter ist. Das Machtgefälle verschleiernd nennt man das »wer an wen berichtet«. Außerdem taugen Titel als Epauletten. Das kommt ebenfalls aus dem Militär und bezeichnet die Schulterklappe an einer Uniform. Unternehmen verteilen Epauletten, wenn sie kein Geld für Gehaltserhöhungen haben, aber jemanden symbolisch aufwerten wollen, sei es, um zu verhindern, dass er zur Konkurrenz abwandert, oder um ihn anzuwerben, obwohl gar keine Abteilungsleiterstelle (altmodischer Begriff) frei ist. Mich wollte mal vor Jahren ein Medienunternehmen als Chefkorrespondent einstellen. Zum Glück habe ich in letzter Minute gemerkt, dass ich weder Korrespondent (New York, Rio, Tokio) würde, noch irgendein Chef wäre. Da gefällt mir der Titel »FAS-Kolumnist« doch viel besser.
Rainer Hank