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  • 20. September 2021
    Lauter kleine Kapitalisten

    Housing Projekt in Singapur aus den achtziger Jahren Foto: Rainer Hank

    Dieser Artikel in der FAZ

    Ein Vorschlag, das Problem teurer Mieten zu lösen

    Deutschland ist ein Land der Mieter. Die Wohneigentumsquote stagniert, obwohl Wohneigentum im vergangenen Jahrzehnt erheblich an Attraktivität gewonnen hat. Zwar sind die Preise von Immobilien kräftig gestiegen. Doch auf der anderen Seite hat die Zinsentwicklung die Preisentwicklung vielerorts überkompensiert, wie es in einer neuen Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) heißt.

    Statt zu kaufen, jammern die Deutschen lieber. Statt selbst zu kleinen Kapitalisten zu werden, wollen sie die Groß-Kapitalisten enteignen.

    Knapp die Hälfte der Deutschen nennen ein Häuschen oder eine Eigentumswohnung ihr eigen. Die andere Hälfte wohnt zur Miete. In Berlin ist es besonders krass: Dort sind über achtzig Prozent der Menschen Mieter. Nirgendwo in Europa gibt es so wenig Wohneigentümer wie in Deutschland. »Immobilienvermögen ist der Schlüssel zu einer gleichen Vermögensverteilung in Deutschland«, lese ich in einer neuen Studie des »Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung« (DIW). Kein Wunder, dass die Deutschen weniger vermögend sind als Spanier oder Italiener.

    Das alles ist merkwürdig. In Befragungen sagen viele junge Deutschen, sie wünschen sich eine eigene Wohnung. Warum sie den Wunsch nicht umsetzen, ist unklar: Komplizierte Genehmigungsverfahren werden genannt, hohe Kosten für Makler, Notare und eine unfaire Grunderwerbsteuer. Ein Haus zu finanzieren ist ein Wagnis – wenn man angesichts der zögerlichen Bautätigkeit denn überhaupt eines findet. Der Staat, der hierzulande für alles und jedes sich zuständig erklärt, fühlt sich für den erleichterten Zugang zu erschwinglichem Wohneigentum nicht wirklich verantwortlich. Lieber wird jetzt wieder viel über Sozialwohnungen geredet – ein Konzept aus der sozialdemokratischen Mottenkiste; da wohnen in der Regel die Falschen, viel zu lange und zu viel zu günstigen Preisen.

    Ein Blick nach Singapur

    Wenn Wohnen »die neue soziale Frage« ist, wie man derzeit – völlig übertrieben – hört, schlage ich vor, den Blick nach Asien zu richten. Vergangene Woche war ich in Singapur. Das Land öffnet sich, nachdem man sich achtzehn Monate lang fast hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt hat, um das Corona-Virus abzuschrecken – was dann doch nicht ganz geklappt hat. Singapur hat die höchste Eigentümerquote auf der ganzen Welt. Sie liegt bei über achtzig Prozent. Das ist die umgekehrte Relation verglichen mit Berlin. In Singapur lässt sich ein gelungenes Sozial-Experiment studieren, wie aus Mietern oder Wohnungslosen Eigentümer werden – und das unter erschwerten Bedingungen. Der Stadtstaat beherbergt auf einer Fläche, die gerade einmal doppelt so groß ist wie Bremen, inzwischen 5,7 Millionen Menschen (in Bremen sind es rund 600 000). In den sechziger Jahren, als der neue Staat gegründet wurde, zählte man lediglich 1,6 Millionen Menschen. Das Land zieht seither wie ein Magnet Menschen aus der ganzen Welt an. Das führte zu einer extremen Wohnungsnot.

    Die Regierung parierte die Krise mit drei genialen Maßnahmen. Erstens gelang es, dem Meer in enormem Umfang Land abzugewinnen: damit vergrößerte sich die Fläche des Staates von 580 Quadratkilometern im Jahr 1965 auf 728 Quadratkilometer 2020.

    Zweitens erklärte der Staat sich dafür zuständig, in großem Stil serielle Wohnungen zu bauen. »Seriell« muss nicht bedeuten, dass diese Wohnungen so unwirtlich aussehen, wie unsere Trabantenstädte in Neuperlach & Co. In den Häusern aus den sechziger Jahren, die wir uns in Singapur angeschaut haben, gibt es viel »Co-Living-Space« für die Bewohner, eine Idee, die auf der gerade stattfindenden Architektur-Biennale in Venedig als Zukunftsvision gepriesen wird. Singapur achtet auch auf eine gesunde soziale Mischung der Eigentümer, um eine Ghettobildung zu vermeiden.

    Drittens schließlich kümmert der Staat sich um die Finanzierung der Wohnungen. Eine Wohnungsgesellschaft – das Housing and Development Board (HDB) – entwickelt die Bauprojekte. Entstanden sind im Lauf der Jahre über eine Million Wohnungen, die der Staat auf 99 Jahre den Bürgern überlässt. Die Appartements werden zu subventionierten Preisen und nach bestimmten Prioritäten an Singapurer Bürger verkauft. Gibt es mehr Anspruchsberechtigte als Wohnungen werden die knappen Eigenheime verlost – ein ökonomisch faires Verfahren.

    Auch von der Schweiz lässt sich lernen

    Jeder einheimische Bürger sollte Eigentümer werden können, so lautete die Devise des charismatischen Staatsgründers Lee Kuan Lew. Die staatliche Rentenkasse, in die jedermann Monat für Monat vierzig Prozent des Einkommens für Alter und Krankheitsschutz einzahlen muss, gewährt einen Kredit, der bis zu 90 Prozent des Hauspreises finanziert. Im Verlauf des Arbeitslebens muss dieser Kredit vom Eigentümer zurückgezahlt werden. Frühestens nach fünf Jahren können die Wohnungen zu Marktpreisen weiterverkauft werden. Das passiert häufig und ist ein Weg, wie Angehörige der unteren Mittelschicht ziemlich reich werden können. Eine Zweizimmerwohnung etwa, die vom Staat in den sechziger Jahren für 5000 Singapur-Dollar angeboten wurde, ist derzeit für 220 000 Dollar auf dem Markt – eine unschlagbare Rendite. Mit dem Erlös lässt sich trotz überhitztem Immobilienmarkt eine hübsche Wohnung in einem schicken Mehrparteienhaus (Condominium) erwerben.

    Wem Singapur zu ostasiatisch klingt, der soll sich in der Schweiz umsehen. Dort haben sogar im Land lebende Nichtschweizer das Recht, aus ihrer kapitalgedeckten Altersvorsorge AHV Geld zur Finanzierung eines selbst genutzten Eigenheims zu entnehmen. Das ist dann eine Art Vorbezug seiner Altersersparnisse.

    Man wird das Modell Singapur oder Schweiz nicht jeweils eins zu eins auf Deutschland übertragen können. Wichtig ist mir der Grundgedanke: Wenn der Staat sich um das Wohnen seiner Bürger kümmern will, dann ist es besser, er verhilft ihnen zu Eigentum als zu Mietsozialwohnungen. Dreh- und Angelpunkt ist der Zugang zu Kapital. Weil es in Deutschland keine kapitalgedeckten Pensionsfonds gibt, sondern lediglich die gesetzliche Rente, die als Umlage funktioniert, müssen wir uns hier etwas anderes einfallen lassen. Das IW empfiehlt zinslose oder zinsgünstige Kredite, die über eine Immobilienkreditversicherung abgesichert werden und die etwa im Fall von Arbeitslosigkeit, Scheidung oder dem Tod eines Partners die Weiterzahlung der Raten sicherstellt. Das würde die Scheu vor der hohen Verschuldung reduzieren.

    Aus einer eigenen Wohnung kann einen kein Immobilienhai vertreiben. Man hat Vermögen und für das Alter vorgesorgt. Klingt super. Bleibt die Frage, warum die Eigentumsbildung in den Programmen der Parteien unter »ferner liefen« vorkommen. Da kann ich nur spekulieren: Eine lang gepflegte politische Stimmung des Antikapitalismus fürchtet sich vor einem Volk von lauter kleinen Kapitalisten.

    Rainer Hank