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  • 04. März 2025
    Kriegswirtschaft

    Kriegstüchtig. Verteidigungsminister Boris Pistorius im Einsatz Foto Verteidigungsministerium

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wer soll das alles bezahlen?

    So langsam glauben wir es. Europa und Deutschland müssen für ihre Verteidigung selbst sorgen. Und dies in Zeiten, in denen die Bedrohung aus Putins Russland so real und gefährlich ist wie nie seit dem Kalten Krieg. Bedenklich oft sagen kluge Leute inzwischen, wir stünden am Vorabend eines dritten Weltkriegs. Amerika habe seine Schuldigkeit getan, sagt Präsident Trump sinngemäß. Jeder wird sich künftig selbst der Nächste sein müssen.

    Wir haben in Deutschland 35 Jahre lang, also seit dem Fall des Kommunistischen Reiches, »defunding the Bundeswehr« betrieben, sagt der an der London School of Economics lehrende Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl: Wir haben nicht nur militärisch, sondern im Gleichschritt damit auch finanziell abgerüstet. Im Jahr 1994 zählte die Bundeswehr 361.000 Soldaten, heute sind es 181.000.

    Nach der »Zeitenwende« und dem hundert Milliarden Euro schweren Sondervermögen für die Bundeswehr hat sich nichts Nennenswertes geändert. Was der Bundeswehr zugesprochen wurde, hat man an anderer Stelle wieder gekürzt. Vom Rest wurde viel Geld für die Ukraine verwendet. Am Ende ist für unsere Verteidigungsfähigkeit – Boris Pistorius spricht von »Kriegstüchtigkeit« – nicht sehr viel geblieben. »Unsere Bundeswehr steht heute nicht viel besser da als die Reichswehr in der Weimarer Republik unter dem Versailler Vertrag«, sagt der Historiker Ritschl: Mit dem einzigen Unterschied – dieses Mal war alles freiwillig.

    Jetzt muss plötzlich alles schnell gehen. Und sehr üppig werden: Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), drei Prozent, fünf Prozent sind geboten. Wer bietet mehr? Ein Prozent beläuft sich bezogen auf das derzeitige BIP auf gut 40 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?

    Not kennt kein Gebot. Wirklich?

    Woher kommt eigentlich die Kopplung der Verteidigungsausgaben an die Wirtschaftsleistung? Selbstverständlich ist das nicht. Gewiss, man könnte argumentieren, wer viele Menschen, viele Wohnhäuser und viele Fabriken schützen muss, müsse mehr Geld einsetzen als ein kleines Land. Als Maß käme alternativ auch die Höhe des Risikos und der Bedrohung durch einen Aggressor infrage. Dann müsste Deutschland – näher an Putin dran – prozentual mehr Geld einsetzen als, sagen wir, Irland. Aber das würde den Solidaritätsgedanken der Nato und der Europäischen Union vollends zermalmen.

    Not kennt kein Gebot, so hören wir es allenthalben. Das heißt: Wer bislang noch an der Schuldenbremse festhalten wollte, müsse spätestens jetzt einsichtig werden und kapitulieren. Eine disziplinierte Haushaltspolitik nützt nachkommenden Generationen nichts, wenn die Menschen tot sind – so der moralische Erpressungshammer. Vermutlich geht es weniger um Moral und die nachfolgenden Generationen als den (verständlichen) Wunsch, alles möge so bleiben wie wir es gewohnt sind. Da bietet sich der Rückgriff auf die Staatsverschuldung durch Ausgabe von Kriegsanleihen an. Dann merkt es keiner. Vermeintlich.

    Es ginge auch anders. Das lehrt ein Blick in die deutsche Nachkriegsgeschichte, den die Ökonomen Lars Feld, Veronika Grimm und Volker Wieland in einer für die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« erstellten Studie präsentieren. Nach der Wiederbewaffnung seit Mitte der Fünfziger Jahren und während den heißen Jahren des Kalten Krieges (Kubakrise), als der Westen einen Dritten Weltkrieg fürchtete, beliefen sich die deutschen Verteidigungsausgaben auf jährlich vier bis fünf Prozent des BIP. So blieb das mehr oder weniger bis 1990. Erst danach gingen die Ausgaben deutlich zurück auf nur noch gut ein Prozent. Den Deutschen war diese »Friedensdividende« gerade recht; sie mussten die Wiedervereinigung finanziell stemmen.

    Hätte man die Verteidigung damals über mehr Schulden finanziert, müsste Anfang der sechziger Jahre die Staatsverschuldung nach oben geschnellt sein. Aber so ist es nicht. 1960 betrug die Schuldenquote Deutschlands nach Angaben des Internationalen Währungsfonds 18,4 Prozent; 1945 waren es mit 17,8 Prozent kaum weniger. Heute beträgt die Verschuldung gut 60 Prozent, was geschichtsvergessene Politiker gerne »wenig« nennen. Damals war man der Meinung, Verteidigung sei eine Daueraufgabe, die über die Einnahmen aus Steuern finanziert werden müsse. Wenn wir heute mit guten Gründen der Meinung sind, Kriegstüchtigkeit sei – leider – eine Daueraufgabe, so müsste das Geld konsequenterweise auch aus dem Steueraufkommen genommen werden. Sollten höhere Steuern aus Gründen der Gerechtigkeit und der Konjunktur als unzumutbar erachtet werden, bliebe nur, Staatsausgaben an anderer Stelle zu kürzen.

    Boomer können verzichten

    Wie kommt es, dass Deutschland sich in den sechziger Jahren vergleichsweise hohe Verteidigungsausgaben leisten konnte? Grob gesagt, liegt es an einer anderen Priorisierung. Verteidigungsfähigkeit war dem Staat damals sehr wichtig, »das Soziale« spielte noch nicht die dominante Rolle, die es heute spielt. Am ehesten ähnelt der Staat Israel und sein heutiger Haushalt der Welt Deutschlands im Kalten Krieg. Dort gibt man über fünf Prozent des BIP für die Verteidigung aus. Der Anteil der Militärausgaben an den Gesamtausgaben lag 2022 in Israel bei 13 Prozent gegenüber zwei Prozent in Deutschland. Größter Ausgabenposten hierzulande ist, wie gesagt, der Sozialhaushalt, der 69 Prozent aller öffentlichen Mittel absorbiert. In Israel haben die Sozialausgaben lediglich einen Anteil von 41 Prozent. Dabei ist die Staatsquote Israels niedriger als in Deutschland. Es stimme gerade nicht, dass hohe Rüstungsausgaben nur durch höhere Schulden finanzierbar sind, sagt der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest: Trotz des viel höheren Militärbudgets, lag die Schuldenquote Israels 2023 bei 61 Prozent – ungefähr so hoch wie hierzulande.

    Wer also soll das bezahlen? Zum Beispiel wir Boomer, finde ich. Werden wir deshalb abschließend persönlich. Ich habe in den siebziger Jahren den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert und Zivildienst geleistet, weil ich von einer friedlichen Welt ohne Panzer geträumt habe. Der Traum ist nicht wahr geworden. Doch meine Generation hat siebzig Jahre lang in Frieden gelebt (der USA und der Nato sei Dank). Ich möchte, dass auch die nachfolgenden Generationen in Frieden leben. Dafür muss jetzt aufgerüstet werden, getreu dem in unserem Lateinunterricht gelernten Grundsatz »si vis pacem para bellum«. Würden wir von Frieden und Wirtschaftswunder Privilegierten uns damit begnügen, dass unsere Renten künftig »lediglich« an die Inflation angepasst, aber von der Lohnentwicklung entkoppelt würden, würde auf die Jahre eine erkleckliche Summe frei. Vielleicht kann das mal eines der Leibniz-Institute ausrechnen. Unser »Opfer« hielte sich in Grenzen: Real bliebe uns die Kaufkraft erhalten; das Rentenniveau freilich würde sinken. Das würde das Finanzierungsproblem des künftigen Friedens nicht lösen, aber lindern.

    Rainer Hank