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  • 30. Juli 2021
    Klimawandel als Ausrede

    Eifelhochwasser Foto swr

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum Krisen auch nicht mehr das sind, was sie mal waren

    Was Corona ist, haben wir nach eineinhalb Jahren Pandemie nun gelernt. Was der Klimawandel ist, könnten wir schon seit dem Kyoto Protokoll wissen. Aber was ist eigentlich eine Krise?

    Das Wort Krise hat sich inflationär ausgebreitet. Wir sprechen von Corona-Krise und Klima-Krise. Davor hatten wir die Flüchtlings-Krise, die Euro-Krise und die Finanzkrisen. Die eine ist noch nicht vorbei, da lugt schon die nächste um die Ecke. Normalität ohne Krise scheint nicht mehr vorgesehen zu sein.

    Das von der Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff edierte »Handbuch der Krisenforschung« klärt auf: Eine Krise ist eine Ausnahmesituation, die ein Potential zum Guten oder Schlechten hat. Von der Antike bis ins 17. Jahrhundert bezog Krise sich auf die ärztliche Entscheidung über Leben und Tod. Arzt und Patient sind handlungsmächtig und können durch eigene Initiative Krisen bewältigen. Da zeigt sich der Kern des Allerweltsspruchs von der »Krise als Chance«.

    Seit dem 18. Jahrhundert greift der Krisenbegriff imperial um sich, erstreckt sich von der Medizin und Kriegsführungskunst auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik und dringt in die Alltagssprache ein: »Ich glaub, ich krieg die Krise.« Wer eine Krise sieht, glaubt nicht an eine einfache, lineare Fortschritts- und Entwicklungsgeschichte, benennt historische Perioden des Übergangs, der Unsicherheit und der Entscheidung. Das schreibt der Historiker Rüdiger Graf im genannten Handbuch der Krisenforschung. Die »Gründerkrise« 1873 markiert ein vorläufiges Ende des liberalen Fortschritts- und Wachstumsglaubens, vergleichbar der Dotcom-Krise der New Economy zur Jahrtausendende 2000. Die Ölkrise 1973 hat der Weltbevölkerung schlagartig deutlich gemacht, dass Energie und Ressourcen begrenzt sind und wir gut daran tun, effizient damit umzugehen. Dass es absolute »Grenzen des Wachstums« gäbe, wie der Club of Rome damals als Reaktion auf die Ölkrise behauptete, hat sich zum Glück als falsch erwiesen. Der Einfallsreichtum der Menschen hat den Fatalismus besiegt.
    Zu unterscheiden wäre zwischen Katastrophenereignissen wie Überflutungen, Bankenansturm, Flüchtlingsströmen einerseits und Krisen wie Erderwärmung, Verschuldung, Migration, die auf eher langfristige Entwicklungen zurückgeführt werden. Dass langfristige Krisen furchtbare Katastrophen nach sich ziehen können, erleben wir gerade.

    Lass keine Krise ungenutzt

    Auffallend ist die veränderte Einstellung der Menschen zu Krisen im Lauf des 20. Jahrhunderts. In den Zwanziger Jahren erblickten die Menschen in den Krisen ein »notweniges, kathartisches Durchgangsstadium auf dem Weg in eine bessere Zukunft« (Rüdiger Graf), mithin ein positives Aufbruchssignal.

    Solch ein fortschrittliches Geschichtsdenken hat sich seit dem späten 20. Jahrhundert in sein Gegenteil verkehrt. Krise wird heute vor allem als Verschlechterung erlebt. Der Glaube, dass sich aus einer Krise etwas machen lasse, getreu dem Motto Winston Churchill »Lass keine gute Krise ungenutzt« (»Never let a good crisis go to waste«), kam selbst in die Glaubwürdigkeitskrise. Pessimismus schlägt den vormaligen Krisen-Optimismus. Die Krise ist nicht mehr Appell an die Entfaltung kreativer Anpassungskräfte der Menschen. Sie ist jetzt Signal für die drohende Apokalypse. Wir stehen kurz vor dem Untergang, wahlweise je nach Krise ist es der Untergang des Kapitalismus oder gleich der ganzen Menschheit durch nicht aufhaltbare Flüchtlingsströme oder den Kollaps des Klimas.

    Was dieser Wandel des Krisenverständnisses vom Optimismus zum Pessimismus bedeutet, zeigen die Reaktionen auf die aktuelle Flutkatastrophe. Ein positives Verständnis der Krise, das sich vorgenommen hätte, aus dem tödlichen Schrecken der zerstörerischen Flut Lehren für die Zukunft zu ziehen, müsste jetzt kluge Anpassungsstrategien an den Klimawandel erarbeiten. Die »positive« Fantasie könnte sich in jede Richtung austoben: Noch bessere Hochwasserwarnsysteme für enge Täler deutscher Mittelgebirge oder der Voralpen, verbunden mit ausreichend Rückstaumöglichkeiten und Auffangbecken. Private Versicherungen könnten ihre Policen in den – von Regen wie Hitze – bedrohten Gebieten nach oben anpassen und zugleich Preisnachlässe als Anreize setzten für Bürger, die sich entschließen, künftig weniger nah am Wasser zu bauen. Der Bau von Dämmen und Warften (Siedlungshügel) müsste dazu kommen. All das kann man übrigens nachlesen auf der Internetseite des Bundesumweltamtes: »Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel« heißen die Empfehlungen aus dem Jahr 2008.

    Dramatisch wirkt die Versiegelung der Böden. Wenn Dämme oder Rücklaufventile aus einer Zeit stammen, in der die Fläche unbebaut war, dann muss der restliche heutige Boden der Region das x-fache aufnehmen können, um eine Flut zu vermeiden. Der Mannheimer Politikwissenschaftler Thomas König hat mir dazu eine kleine Rechnung geschickt, die er zusammen mit seinem Schwiegervater Helmut Pannenbäcker, einem Diplom-Ingenieur erstellt hat. Fallen – wie berichtet – 15 Liter Wasser in der Stunde auf einen Quadratmeter, sind das 15 000 Kubikmeter auf einen Quadratkilometer, wenn die Fläche hundert Prozent aufnehmen kann. Je weniger Wasser nun aufgrund von Bebauung oder Verdichtung versickern kann, desto mehr Kubikmeter fließen ab und erhöhen den Druck in den Abflüssen, so dass aus einem kleinen Rinnsal von 10 Quadratmetern im Querschnitt ein reißender Strom werden kann. Bei 50 Prozent Versickerung entspricht dieser Strom einer Säule von 750 Metern Länge, bei 25 Prozent Versickerung 1125 Metern auf einer Fläche von lediglich einem Quadratkilometer pro Stunde.

    Klimawandel lenkt ab

    Das apokalyptische Krisenverständnis unserer Tage denunziert Anpassungsstrategien als Flucht vor dem Klimawandel, als billige Ausrede, die Erderwärmung zu leugnen. Anpassung ist verpönt, radikaler Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist angesagt. Dabei hat die von Menschen gemachte Versiegelung der Flächen nicht das Geringste zu tun mit dem von Menschen gemachten Klimawandel. Der penetrante Blick auf das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 oder früher ist es, der davon ablenkt, dass heute über Anpassung geredet werden müsste.

    Das negative Krisenbild (»fünf vor zwölf«) ficht das nicht an. Seine Anhänger fordern sofortigen, radikalen Verzicht: Kein Fleisch essen, nicht nach London fliegen, nicht mit dem Diesel fahren, keine Kinder zeugen. Kinder seien klimaschädlich, sagt die radikale Bewegung »Birthstrike«: Jedes nicht geborene Kind spart 58,6 Tonnen CO2. Die depressive Reaktion auf die Klimakrise mündet in den Befehl, das Leben insgesamt bleiben zu lassen. Es läuft auf das vorweggenommene Ende der Gattung aus Angst vor dem Klima-Tod hinaus.
    Das alles wird den zerstörten Orten in der Eifel genauso wenig nützen wie eine Beschleunigung des Baus von Windrädern in Deutschland. Verantwortlich für die Klima-Katastrophe ist der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen; das tugendhafte Deutschland, das für zwei Prozent der Weltemissionen verantwortlich ist, wird das nicht ändern. Das wir das nicht sehen wollen, hängt damit zusammen, dass wir den Glauben an den Fortschritt der Naturbeherrschung über Bord geworfen und Krisen apokalyptisiert haben.

    Rainer Hank