Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen01. Februar 2022
Kirche in InsolvenzAuf den Sanierer kommt viel Arbeit zu
Annette Schavan, ehemalige Botschafterin beim Vatikan (und zuvor deutsche Bildungsministerin), hat sich über die »Insolvenzrhetorik« mokiert, die derzeit in der katholischen Kirche in Mode sei. Nach den Missbrauchsskandalen reden die verantwortlichen Vertuscher (Bischöfe und Kardinäle) ihr eigenes Unternehmen ziemlich schlecht. Die Kirche sei an einem »toten Punkt«, sagt der Erzbischof von München, Kardinal Reinhard Marx. Die Kirche sei »heillos überfordert«, ließ sich der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf zitieren – nachdem Ex-Papst Benedikt XVI. merkwürdige Erinnerungslücken an seine eigene Verwicklung in den Skandal zu erkennen gab.
Der Begriff »Insolvenzrhetorik« ist formidabel. Man muss sich das so vorstellen, als würde der Aufsichtsratschef der Deutschen Bank mit Blick auf sein Kreditinstitut und dessen Aktienkurs seinen Kunden und Anteilseigner mitteilen, die Bank sei am Ende, ohne aus diesem Desaster mehr als rhetorische Konsequenzen zu ziehen. Als ob das Eingeständnis des Versagens schon genügen würde, um weiterzumachen wie bisher, unterbrochen lediglich von gelegentlichen Meldungen, Performance und Reputation des Unternehmens seien immer noch lausig.
Der Verdacht liegt auf der Hand: Insolvenz-Rhetorik ist das Gegenteil von Insolvenz: eine Art depressiver Beschwörung der Lage durch das Top-Management (Bischöfe, Kardinäle) mit dem Ziel der Vermeidung der Insolvenz. Die Insolvenzrhetorik dient der Insolvenzverschleppung. Dass den Worten Taten folgen müssten, halten die Kirchenmänner für unnötig, gilt es doch zuallererst die eigene Haut zu retten.
Nehmen wir die Insolvenz-Metapher zum Nennwert: Dass die Kirche ein Sanierungsfall ist, bestreitet niemand. Der Missbrauch ist nichts anderes als das Dementi ihres hohen moralischen Anspruchs, ein Versagen des eigenen Geschäftsmodells. Daraus resultiert ein gewaltiger Reputationsschaden, der das Unternehmen Kirche ins Trudeln bringt. Kunden (die Gläubigen) sowie kirchlich Beschäftigte springen ab, die Finanzbasis erodiert. Seit 1990, dem Jahr der deutschen Wiedervereinigung, schrumpfte die katholische Kirche hierzulande von 28 auf 22 Millionen Mitglieder – ein Aderlass um fast ein Viertel. Da erodiert mittelfristig auch die Finanzierungsbasis der Kirche: die Kirchensteuer. Lange nahmen die Einnahmen trotz Mitgliederschwunds zu, weil der Arbeitsmarkt robust war und die Löhne stiegen. Doch 2020 ist das erste Jahr, in dem die Kirchensteuereinnahmen in Deutschland von 6,76 auf 6,45 Milliarden Euro zurückgingen. Aus Sicht der Kirche besonders problematisch ist die Austrittswelle im vermögenden und besonders katholischen Bistum Köln des Kardinals Rainer Maria Woelki.
Alle Macht den Stakeholdern
In der Wirtschaftswelt wäre jetzt die Zeit für ein Insolvenzverfahren gekommen. Ich hole mir Rat bei Michael Keppel: Er ist Partner bei der Londoner Restrukturierungsboutique THM Partners LLP und gilt als erfahrener Sanierer: Douglas, Kathrein, Pfleiderer sind einige Stationen seiner Karriere als Restrukturierer. Als engagierter Katholik kennt er die Kirche gut. An der »School of Church« im Vatikan unterrichtet er Priester in »Krisenmanagement« und löst mit ihnen zusammen komplizierte Case Studies.
Zuerst, so Michael Keppel, wäre zu entscheiden, ob die Insolvenz »out of court« oder »in court« stattfinden soll. Nach den bisherigen Erfahrungen spricht alles für ein gerichtliches Verfahren. Das Gericht bestellt dann einen Insolvenzverwalter, dem von jetzt an alle Entscheidungsgewalt zukommt. Was jetzt zählt sind ausschließlich die Ansprüche der Gläubiger (Stakeholder), in diesem Fall also der Gläubigen (Kirchenmitglieder und Mitarbeiter – nicht zuletzt die Frauen im Kirchendienst- und die Opfer des Missbrauchs): Top-Manager (Marx, Woelki & Co), die sich in der Kirche gerne als Eigentümer aufspielen, werden vom Sanierer entmachtet und haben fortan nichts mehr zu sagen. Bischöfe und leitende Kleriker verlieren ihr Amt. Schließlich sind sie für die Misere verantwortlich. Dann geht es darum, die Forderungen der Stakeholder zu bedienen und die Ansprüche in eine Reihenfolge zu bringen. Diese sind materieller (ineffizient verwendete Steuermittel) und immaterieller Natur (Empfang der Sakramente als Bedingung des Seelenheils, Auslegung des Evangeliums).
Sanierer Keppel regt einen sogenannten »dept to equity swap« an. Dadurch werden die Schulden der Gläubiger in Eigenkapital gewandelt. So etwas wird in Insolvenzverfahren häufig gemacht, nicht nur, wenn zu wenig Masse zur Ablösung der Schulden da ist, sondern auch, um Gläubiger in die Verantwortung für den unternehmerischen Neuanfang zu nehmen. Sie werden durch dadurch Miteigentümer, erhalten Macht und Stimmrechte.
Einen »dept-to-equity-swap« könnte man als Prozess der Demokratisierung der Kirche beschreiben. Denn nun erhielte die katholische Kirche tatsächlich echte Aktionäre – eben alle Christgläubigen, die dann als Eigentümer nicht nur metaphorisch sagen könnten »Wir sind Kirche«. Im Wirtschaftsleben wäre deren Macht je nach Umfang der von ihnen gezahlten Kirchensteuern ungleich verteilt, es gäbe katholische Groß- und Kleinaktionäre. Dass die Reichen mehr zu sagen haben als die Armen, widerspricht jedoch dem Evangelium. Es liefe also eher darauf hinaus, dass jeder Katholik gleichviel Macht erhält (»one man/woman, one vote«, nicht »one share, one vote«).
Assets verkaufen, Opfer entschädigen
Sodann käme die eigentliche Sanierung. Da geht es um den Verkauf von Assets, also Besitz (Immobilienvermögen, bischöfliche Weingüter), die nicht nötig sind zur Aufrechterhaltung des religiösen Kerngeschäfts und angehäuft wurden in Jahren, als die Kirche nicht wusste, wohin mit dem vielen Steuergeld. Mit den Erlösen könnten die Opfer des Missbrauchs zumindest finanziell angemessener entschädigt werden. Zudem müsste die Komplexität des bürokratisch unübersichtlichen Konglomerats Kirche entflochten werden: Das geht am besten durch Stärkung von Dezentralität und regionaler Autonomie – zu Lasten der Zentrale: Gemeinden an der Basis aufwerten, im Gegenzug die römische Zentrale abschaffen. Die Protestanten kommen ganz gut ohne einen Weltkonzernsitz aus.
Schließlich – und wahrscheinlich am wichtigsten – geht es angesichts des eklatanten Versagens moralischen Verhaltens um die Errichtung eines Systems der »Corporate Governance«: Nötig ist ein Compliance-System um abzusichern, dass ethische Regeln eingehalten und Verstöße geahndet werden. Unabdingbar dafür sind Transparenz und die Überprüfbarkeit durch externe Instanzen. Das könnte ein Gegenmittel werden gegen den innerkirchlichen Konformitätsdruck des Vertuschens.
Und was wird aus dem Top-Management? Auch dafür gibt es Vorbilder aus erfolgreichen Sanierungen. Zunächst erhält das gesamte Führungspersonal die Kündigung. Anschließend bekommen alle die Chance, sich neu zu bewerben, sei es auf ihre alte oder eine andere Stelle. Alle wird man nicht mehr brauchen können. Darüber entscheiden jetzt die neuen Eigentümer – also alle Gläubigen der nun sanierten Kirche.
Rainer Hank