Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen05. November 2021
King of Wall StreetWie Larry Fink den Kapitalismus lebt und begräbt
Der Mann trägt langweilige Anzüge und eine randlose Brille, von der ihm sein Händler hätte abraten müssen. Er ist weder besonders originell noch besonders inspirierend, wenn er zum Beispiel darüber spricht, dass das deutsche Rentensystem chronisch unterfinanziert sei. Klar, er will Geschäfte machen, ist er doch von Beruf Vermögensverwalter, was sich ebenfalls undramatisch anhört. Dass der Mann, geboren 1952 in Los Angeles, heute über ein Anlagevermögen von zehn Billionen Dollar (10 000 000 000 000) gebietet, sieht man ihm nicht an. Understatement gehört zu seinem Selbst-Marketing. Und zur Camouflage seiner Macht, die gefährlich werden könnte.
Laurence »Larry« Fink heißt dieser Mann. Sein Unternehmen heißt BlackRock, inzwischen weltweit der größte Vermögensverwalter der Welt, der Geld anlegt für Rentner, Oligarchen und Studenten – für Staatsfonds wie Kleinsparer. In Deutschland wurde BlackRock außerhalb der Finanzbranche bekannt, weil der CDU-Politiker Friedrich Merz eine Zeitlang als politischer Lobbyist für Fink gearbeitet hat. Doch das nur nebenbei.
Fink ist ein Revolutionär. Ihm und seiner Branche ist es zu danken, dass Aktiensparen nicht zuletzt in Zeiten niedriger Zinsen für jedermann attraktiv geworden ist. Ziemlich einfach ist es ebenfalls: man braucht lediglich einen Computer und eine Online-Finanzplattform. Und günstig ist es noch dazu. Ich weiß, wovon ich rede. Jahrelang hatte meine Bank mir irgendwelche komplizierten Fonds verkauft, die für viele Bankangestellte Lohn und Brot sicherten, während ich eher leer ausging.
Fink und seine Kollegen haben nicht den Anspruch, mit genialen Anlageideen den Markt zu schlagen. So langweilig wie Fink aussieht, so langweilig ist auch seine Geschäftsidee: Seine Fonds (auch als ETF bekannt) bilden lediglich diverse Börsen-Indizes ab (Dax, Eurostoxx, DowJones). Und selbst diese Idee stammt nicht von Larry Fink, sondern geht auf den in Chicago lehrenden Wirtschaftswissenschaftler Eugene Fama und seine Theorie der »effizienten Märkte« zurück, die besagt, dass selbst der Klügste den Markt nicht schlagen kann.
Eine Innovation für alles Aktiensparer
Als der ehemalige Chef der amerikanischen Notenbank Fed Paul Volcker während der Finanzkrise 2008 spottete, die einzige Innovation der Finanzindustrie jüngeren Datums sei die Erfindung des Geldautomaten, muss er die Index-Fonds übersehen haben, die ihren Ursprung schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatten, ihren gewaltigen Durchbruch aber nach der Jahrtausendwende erlebten. Der Kapitalismus ist, anders als viele meinen, eben nicht für die Kapitalisten da, sondern für die Armen, die er reich macht. Die Index-Fonds beweisen es. Mit einem Sparplan von monatlich 100 Euro ließ sich in dreißig Jahren ein Vermögen von knapp 100 000 Euro aufbauen.
Angesichts der vielen Filme über Helden und Bösewichte an Wall Street ist es verwunderlich, dass das Leben von Larry Fink nicht längst verfilmt wurde. Jetzt gibt es zumindest eine Teilbiographie Finks in einem dieser Tage erscheinenden spannenden Buch des Financial-Times-Journalisten Robin Wigglesworth: »Trillions. How a Band of Wall Street Renegades Invented the Index Fund and Changed Finance forever«.Fincks Biographie beweist wieder einmal, dass sich Erfolg nicht planen lässt. Dass aber ein paar Dinge den Erfolg erleichtern, vielleicht sogar wahrscheinlicher machen: Scheitern kann nicht schaden. Treue Freunde sind hilfreich. Der richtige Augenblick will ergriffen werden. Finanzkrisen sind Chancen zum Reichwerden. Und: Ohne Härte gegenüber sich und anderen geht es nicht.
Fink wächst in Van Nuys bei Los Angeles auf. Sein Vater hat ein Schuhgeschäft (die Erfolgsgeschichte der Söhne und Töchter von Schuhverkäufern muss noch geschrieben werden), die Mutter ist Englischlehrerin. In Los Angeles studiert er Politikwissenschaft; mit Ökonomie beschäftigt er sich kaum. Weil er Freude an Geld hat, bewirbt er sich an Wall Street, wird von Goldman Sachs aber abgewiesen. »Ein Segen für mich«, hat er Robin Wigglesworth erzählt. Stattdessen startet er seine Karriere 1976 im Anleihegeschäft bei First Boston, einer Investmentbank, und wird dort rasch zum Star. Hier lernt er Robert Kapito kennen, der ihm bis heute als rechte Hand bei BlackRock treu geblieben ist. Kapito, Liebhaber teurer Weine, ist der Mann fürs Grobe, Fink gibt den Geschmeidigen.
Zehn Jahre später, 1986, ist Fink für einen Verlust von hundert Millionen Dollar bei First Boston verantwortlich, weil er den plötzlichen Absturz der Zinsen nicht abgesichert hat. Aus dem Kandidaten für den Vorstandsvorsitz wird ein Ausgestoßener. Seinem Rausschmiss kommt er durch Kündigung zuvor. Die Niederlage spornt seinen Ehrgeiz umso mehr an: In Steve Schwarzman, dem Eigentümer der Private-Equity-Firma Blackstone, findet er einen großzügigen Finanzier, mit dem er sich später überwirft – des guten Namens von Blackstone wegen aber seine eigene Fondsgesellschaft BlackRock tauft (und damit verantwortlich dafür ist, dass ich eine Zeitlang beide Firmen verwechselt habe).
Der glückliche Zufall schließlich ereignet sich mitten in der Finanzkrise 2009: Weil viele Finanzinstitute in den Strudel von Lehman Brothers gerissen werden, kann Fink zusammen mit seinem Kumpel Kapito der in Geldnot geratenen Barclays Bank ihre ETF-Sparte (genannt: iShares) abkaufen. Von da an entwickelt sich das Geschäft mit »passiven« Index-Fonds zum Selbstläufer. Mitte 2021 bringt es allein die iShares-Sparte von BlackRock auf ein Vermögen von drei Billionen Dollar.Aufstieg ohne Fall?
Das Hollywood-Narrativ verlangt, dass dem sagenhaften Aufstieg des Helden der tiefe Fall folgt. Davon ist (noch) nichts zu sehen. Es gibt Schätzungen, wonach demnächst die Hälfte der Aktien der fünfhundert wichtigsten amerikanischen Firmen in Händen der Index-Funds sind. Das freut Larry Fink, bedeutet indes eine Zusammenballung von wirtschaftlicher Macht, die einen fürchten lässt und womöglich gefährlicher ist als die ständig öffentlich diskutierte Macht von Google, Amazon oder Facebook. Paradoxerweise könnte die Gefahr von BlackRock gerade in seiner stillen Passivität liegen. Wenn, grob gesagt, nicht nur »mein« Unternehmen, sondern auch das meines Konkurrenten beide Larry Fink gehören, dann erlahmt der Antrieb zum Wettbewerb. Es reicht, sich mit Larry Fink gut zu stellen.
Ein Fall für die Kartellbehörden! Schlimmer noch: »Heimlicher Sozialismus«, wie vor ein paar Jahren ein Wall-Street-Banker spottete. Eine komplett passive Ökonomie sei fürchterlicher als eine zentrale Planwirtschaft, weil sie unternehmerische Eigeninitiative und Risikolust außer Kraft setze. Ob am Ende der totale Kapitalismus in dessen Aufhebung umkippt? Dialektiker aus der Schule von Hegel und Marx hätten ihre Freude daran.
Eine englische Version dieser Kolumne findet sich auf dem Blog des Oxforder Finanzwissenchaftlers Martin Schmalz
Rainer Hank