Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen08. Juni 2021
Hundert Euro Klima-Prämie für alleWarum die Pendlerpauschale weg muss
Letztes Jahr um diese Zeit mussten wir für einen Liter Diesel rund 98 Cent bezahlen. Heute können wir froh sein, wenn wir mit 1 Euro 35 aus der Tankstelle kommen. Was ist passiert? Na ja, Angebot und Nachfrage: Im harten Lockdown standen die Bänder still und der Verkehr ruhte. Demensprechend war der Ölpreis auf Tiefstand. Heute pulsiert das Leben wieder, Öl und Benzin sind teuer.
Doch das ist nicht alles. Deutschland soll 2045 klimaneutral werden. Deshalb muss jetzt für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) beim Autofahren eine Straf-Steuer bezahlt werden: 25 Euro je Tonne CO2. Umgerechnet macht das den Liter Diesel um 8 Cent teurer. Das ist noch nicht das Ende: Bis zum Jahr 2025 steigt der CO2–Preis auf 55 Euro, was den Liter Diesel um 15 Cent verteuert. Die Absicht ist klar: Uns soll das Dieselfahren versäuert, der Umstieg auf ein E-Auto mit allerlei Prämien schmackhaft gemacht werden. Wenn sich die Grünen politisch durchsetzen, geht alles noch viel schneller: Schon 2023 soll der CO2–Preis auf 60 Euro steigen. Seit Tagen tobt hierzulande deshalb mal wieder ein populärer Spritstreit.
Im Prinzip finde ich in Ordnung, dass Benzin und Diesel teurer werden, auch wenn es schlechte Laune macht. Der beschleunigte Verzicht auf die Nutzung fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) ist das entscheidende Instrument, den Klimawandel aufzuhalten. Verhalten steuert man über den Preis, sagen die Ökonomen – besser als über komplizierte Interventionen und Subventionen.
Müssen die Verlierer entschädigt werden?
Doch es bleibt die Frage, ob es beim Umstieg gerecht zugeht. Wenn wir den Eindruck haben, dass etwas fair ist, sind wir mit dem Leben zufrieden und weniger neidisch auf unsere Mitmenschen. Wir sind auch eher bereit, Verzicht und Verteuerung zu akzeptieren, uns also aktiv für den Ausstieg aus Öl und Kohle zu engagieren. Nun könnte man global werden und mit dem Finger auf China zeigen, wo der CO2–Verbrauch Jahr für Jahr zunimmt, während wir in Europa uns einschränken sollen. Und wenn wir uns einschränken, verbilligt das den Preis für fossile Energie, was auf andere Nationen als zusätzlicher Anreiz zum Heizen mit Öl und Kohle wirkt. Der gerne vorgebrachte Hinweis, die Prokopf-Emissionen in China seien den unseren vergleichbar, verfängt nicht. Die Masse machts, nicht der Einzelne.
Zugegeben, der Fingerzeig auf China könnte eine Immunisierungsstrategie sein, um uns unserer Verantwortung zu entledigen. Deshalb will ich die Gerechtigkeitsfrage hier lediglich national stellen und mich auf den derzeit umstrittenen Autoverkehr beschränken. Der höhere Spritpreis trifft alle gleich: Arme und Reiche, Vielfahrer und Wenigfahrer. Viele Politiker sind der Meinung, es müsse deshalb einen sozialen Ausgleich geben für Ärmere, die lange Wege zur Arbeit auf sich zu nehmen genötigt sind.
Nun ist es nicht so, dass die Frage des fairen Ausgleichs erst jetzt aufgefallen wäre. Vom 21. Kilometer an können Pendler seit diesem Jahr nicht mehr nur 30, sondern 35 Cent (ab 2024 sogar 38 Cent) in der Steuererklärung »absetzen«. Um zu entscheiden, ob das gerechtr ist, muss man rechnen. Das ist nicht trivial, weil Einkommen, Progression und Entfernung als Variable je eine Rolle spielen. Zum Glück gibt es Fachleute wie Michael Pahle, ein kluger Ökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er hat für mich gerechnet und mir eine wunderbare Excel-Tabelle geschickt. Nehmen wir einen Pendler, der täglich mit seinem Auto von Friedberg nach Frankfurt zur Arbeit fährt. Das sind gut 30 Kilometer. Wir legen einen Durchschnittssteuersatz von 30 Prozent zugrunde und gehen zusätzlich davon aus, dass seine sonstigen Werbungskosten über dem Pauschbetrag von 1000 Euro liegen. Dann sagt uns unsere Excel-Tabelle, dass sich die Spritkosten bei der Fahrt zur Arbeit um 51,75 Euro im Jahr erhöhen. Zugleich bringt unserem Pendler die erhöhte Entfernungspauschale 34, 50 Euro. Er »spart« somit am Ende des Jahres 17, 25 Euro gegenüber dem »offiziellen« CO2–Preis.
Ein »Scheck« für alle
Lassen wir nun eine Pendlerin bei sonst gleichen Bedingungen in Bad Nauheim wohnen, das sind 40 Kilometer nach Frankfurt. Dann erhöhen sich in diesem Jahr ihre Spritkosten um 69 Euro, ihre aufgebesserte Pauschale bringt ihr ebenfalls 69 Euro. Sie ist fein raus: Die Rechnung geht Null auf Null auf. Erst im Jahr 2025 zahlt auch sie drauf: Kosten von 151,80 Euro steht die Erstattung von 110, 40 Euro gegenüber. Schließlich lassen wir die Frau auch noch richtig reich werden, indem wir einen von der Progression ausgelösten Durchschnittssteuersatz von 35 Prozent zugrunde legen. Für die reiche Bad Nauheimerin lohnt sich das Pendeln: In diesem Jahr hat sie ein Plus von 11,50 Euro; erst im Jahr 2025 dann ein Minus von sogar 23 Euro.
Jetzt haben wir das Prinzip kapiert: Je weiter die Strecke, die man pendelt und je höher das Einkommen, umso besser. Der Pendler wird nicht allein für die CO2–Bepreisung kompensiert, wenn er besonders reich ist, hat er am Ende sogar noch kleines Trinkgeld übrig gegenüber der Zeit vor der CO2–Bepreisung. Dass hier etwas nicht stimmt, ist nicht nur mir, sondern auch der Politik aufgefallen. Damit auch arme Pendler nicht bestraft werden, die unter oder knapp am Steuergrundfreibetrag liegen, erhalten sie eine sogenannte »Mobilitätsprämie. Eine Pendlerin mit einem zu versteuernden Einkommen von 9100 Euro bekommt beispielsweise eine Prämie von 42,84 Euro als Kompensation für den höheren Spritpreis ausbezahlt.
Dass das nicht gerecht ist, sieht ein blinder Fußgänger mit Krückstock. Die Pendlerpauschale war immer schon eine hoch problematische Subvention, mit der der Staat auf Einnahmen von jährlich 5,1 Milliarden Euro verzichtet. Pendler, ob arm oder reich, profitieren von der Entfernungspauschale und zusätzlich von günstigeren Immobilien- und Mietpreisen im Umland. Wäre es nicht besser gewesen, im Interesse des Klimas und aus Gründen der Fairness die Pendlerpauschale ganz zu streichen? Ich finde schon. Doch offenbar fürchtet die Politik die Rache der pendelnden Wähler. Die derzeitige Debatte gibt darauf einen Vorgeschmack.
Man könnte es fairer machen, findet Klimaökonom Pahle. Für viele Menschen ist eine CO2–Steuer kontraintuitiv. Sie verstehen nicht, was Preise und Klimarettung miteinander zu tun haben und präferieren direkte Investitionen in Wind- und Sonnenenergie. Aber immerhin – das zeigen Pahles Befragungen – fänden die Leute es gut, gäbe es zur Kompensation der höheren Spritpreise eine einheitliche Pro-Kopf-Prämie für jedermann. Eine solche »explizite Rückverteilung« wäre anders als die »implizite Rückverteilung« (Pendlerpauschale, Abschmelzen der EEG-Umlage) für jedermann sichtbar und würde mehrheitlich als fair empfunden. Bei Einnahmen aus der CO2–Steuer von geschätzt 3,6 Milliarden Euro im laufenden Jahr erhielte jeder der 80 Millionen Bürger einen »Scheck« in Höhe von 45 Euro. Bei erwarteten Einnahmen von geschätzt 8,3 Milliarden im Jahr 2023 wären es immerhin schon 104 Euro, mithin für eine vierköpfige Familie 416 Euro. So eine Pro-Kopf-Prämie würde die Bereitschaft erhöhen, sich für den Klimawandel einzusetzen. Politiker könnte sich damit sogar als gerechte Klima-Wohltäter profilieren. Vielleicht macht sich ja eine Partei diese Idee im Wahlkampf zu eigen?
Rainer Hank