Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen18. August 2023
Homeoffice ist keine DauerlösungDas gute alte Büro lebt
Gute Kommunikation ist das Salz in der Firmensuppe. Martin Lukes ist die Pfeffermühle. Er ist fast schon Mitte vierzig und ein ziemlich hohes Arbeitstier mit ziemlich niederen Instinkten. Gefühlte Fitness: Anfang dreißig, Selbstüberschätzung: am obersten Limit. Soft skills: unterirdisch. Er arbeitet als Marketing-Direktor bei A&B in London. Weil er karrieregeil ist, belügt Martin seine Vorgesetzten, schikaniert seine Untergebenen, wo immer er kann, und betrügt seine Frau (immer, wenn er kann) mit seiner persönlichen Assistentin auf der Feuertreppe. Aber all das reicht ihm noch lange nicht: Er will seine maximale Performance um 22,5 Prozent toppen und bucht ein hammermäßiges Online-Trainingsprogramm. Aus Martin soll in nur zwölf Monaten ein ganz neues Alphatier werden.
So ungefähr läuft der Plot des Büroromans »Depptop« von Lucy Kellaway, erschienen 2007, keine Welt-, sondern eher Trivialliteratur. Kellaway ist Journalistin. In der »Financial Times« hatte sie über lange Zeit eine montägliche Büro-Kolumne, die bei den Lesern sehr beliebt war. Mit 60 hat sie umgesattelt: Seither arbeitet sie als Mathelehrerin in einer Londoner Schule. »Depptop« habe ich vor ein paar Jahren gelesen, fand das Buch zum Schreien komisch und konnte mir gar nicht vorstellen, dass die Trivialsatire die Geschichte einer untergehenden Welt ist.
Inzwischen hatten wir Corona. Corona, so heißt es seither, hatte viel Übles mit sich gebracht, aber auch ein Gutes: Die flächendeckende Einführung des Homeoffice. Darüber, so sieht es aus, sind alle nur glücklich. Arbeitgeber sparen teure Büromieten. Der ehemalige Office-Mensch spart nervige Staus (im Schnitt beachtliche 72 Minuten am Tag) und kann es sich auf dem Balkon oder im schattigen Garten beim Zoom-Meeting in Freizeitkleidung gemütlich machen. Typische Angestellte werteten in einer Umfrage die Arbeit von zuhause wie eine Gehaltserhöhung um real acht Prozent. Daraus könnte man im Umkehrschluss folgern, sie wären zu Lohneinbußen bereit, um ihr Hausarbeitsprivileg dauerhaft zu behalten.
Die Firmen holen ihre Leute zurück
Wenn es nach den Wünschen der Arbeitnehmer ginge, würde sich eine Drei-zu-Zwei-Welt als Idealbild herausschälen: Di, Mi, Do im Büro – Montag und Freitag zuhause. »Morgen bin ich im HO«, sagt man heute, eine Abkürzung, die die Älteren unter uns für die volkseigenen Lebensmittelgeschäfte der DDR halten, »Handels-Organisation« (HO) im Bürokratendeutsch. Doch der alte HO ist mit der DDR untergegangen, die Abkürzung deshalb frei geworden für das Homeoffice des Nachcorona-Zeitalters.
Das Homeoffice hat Corona überlebt. In einer Umfrage des Münchner-Ifo-Instituts zusammen mit der Zeitarbeitsfirma Randstad kam heraus: Fast alle befragten Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bieten die Möglichkeit von zu Hause zu arbeiten. Sie bewilligen heute sogar mehr Tage im Monat als vor einem Jahr: im Schnitt 7,1 Tage, nach 5,3 Tagen im Vorjahr. 90 Prozent der Betriebe, die zwischen 250 und 499 Angestellte beschäftigen, erlauben ebenfalls HO, nur weniger: Sie genehmigen durchschnittlich 6,2 Tage pro Monat, nach 6 Tagen ein Jahr zuvor. Die Faustregel heißt: Je größer das Unternehmen, desto großzügiger die Homeoffice-Regeln.Mit durchschnittlich einem Tag pro Woche Homeoffice darf sich Deutschland Vize-Weltmeister nennen. Das zeigt abermals eine Befragung des Ifo-Instituts unter 42.000 Beschäftigten in 34 Ländern. Demnach kommt Deutschland auf den zweiten Platz unter 17 europäischen Ländern. Vor Deutschland liegt nur das Vereinigte Königreich mit 1,5 Tagen. Weltweit rangiert Deutschland auf Platz fünf. Besonders wenig Homeoffice-Tage gibt es dagegen in Südkorea, Japan und Griechenland.
Das klingt nach einer Win-Win-Situation, ist es aber nicht, wie sich immer mehr herausstellt. Zwar sind alle glücklich, doch am Ende leidet die Produktivität; die FAS hatte darüber Anfang Juli berichtet. Während des Corona-Lockdowns hatte man noch von Produktivitätssteigerungen geschwärmt, weil die Leute jetzt die sinnlose Pendelzeit im Auto auf die Arbeit draufschlagen (und zusätzlich Kapazitäten für Kinder, Freunde und Familie haben). Doch inzwischen hat sich die Datenlage verbessert und das Bild hat sich gedreht. IT-Leute in Indien arbeiten zuhause um 18 Prozent weniger produktiv als im Office, Untersuchungen aus Südasien verzeichnen sogar noch höhere Produktivitätsverluste. Das wird in Europa nicht viel anders sein. Man kann diese abstrakten Prozentzahlen konkret machen: Kunden hängen länger in der Warteschleife, wenn sie von zuhause bedient werden. Es gibt mehr Rückrufe, was darauf schließen lässt, dass der Service nachlässt. Am meisten hat mich die Geschichte der professionellen Schachspieler beeindruckt. Die spielten plötzlich weniger gut und weniger konzentriert, wenn sie sich online zusammen taten im Vergleich zu einem Duell in körperlicher (und geistiger) Präsenz.
Das Büro hat eben nicht nur Nachteile, wie die Apologeten des Homeoffice meinen. Am schlimmsten: Zuhause fehlen die echten Kollegen, die man mit einem kurzen Hilferuf um Unterstützung bitten kann. Bis man den Kollegen von Homeoffice zu Homeoffice kontaktiert hat, vergeht viel Zeit, abgesehen davon, dass der Büronachbar einfach kurz vorbeikommen und einem über die Schulter schauen kann.
Nachrufe auf das Büro waren übereilt
Kurzum: Die Nachrufe auf das Büro waren verfrüht (ich habe auch einen geschrieben). Die Erfindung der Arbeitsteilung zwischen Haus und Arbeit behält ihr Gutes: Das Office verkürzt den Koordinationsaufwand der Arbeit und birgt zudem die Chance, im launigen Gespräch mit den Kollegen auf Ideen zu kommen, die einem am häuslichen Schreibtisch zwischen dem fünften Call und Befüllen der Waschmaschine nicht gekommen wären. Das nennt man Serendipity.
Es ist nicht einfach nur autoritäres Machtgehabe, dass immer mehr große Konzerne ihre Leute wieder in die Büros zurückrufen. Nichtbefolgung werten wir als »freiwillige Kündigung, heißt es bei Amazon. Schon klar, auch im Büro ist nicht alles super. Es gibt Intrigen, Affären, böses Mobbing und Meetings, die kein Ende nehmen. So wie man es kennt seit der Erfindung des Offices im späten 18. Jahrhundert. Am Arbeitsplatz sind die Kollegen, zuhause gibt es die Familie; die jeweiligen sozialen Beziehungen sind sehr unterschiedlich. Der Wechsel des Orts bietet wechselseitig Entlastung.
Die Meinung, das HO sei die Arbeitsform der Zukunft, sei ohnehin eine Eliten-Debatte, die sich dessen nicht bewusst sei, hat Allensbach-Forscherin Renate Köcher kürzlich in der FAZ geschrieben. Für 56 Prozent der Beschäftigten (Fabrikarbeiter, Krankenschwestern, Müllmänner) kommt Homeoffice aufgrund der Natur ihrer Tätigkeit gar nicht in Frage. Es sieht so aus, als bliebe auch allen anderen der Arbeitsplatz außer Haus noch eine Weile erhalten. Gut so.Rainer Hank