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  • 05. Februar 2025
    Hitlers Sozialismus

    Alice Weidel, AfD-Chefin Foto AfD

    Dieser Artikel in der FAZ

    Alice Weidel, die Nazis und der Antikapitalismus

    Alice Weidel, AfD-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin, hat in einem Gespräch mit dem US-Milliardär und Trump-Freund Elon Musk auf dessen Plattform X behauptet: »Damals, während des Dritten Reiches, gab es die Nationalsozialisten, und wie das Wort schon sagt, waren sie Sozialisten.« Hitler sei Kommunist gewesen und habe sich selbst als Sozialist bezeichnet. Weidel hat die Aussage später in einem Interview noch einmal wiederholt: »Ich bin Ökonomin und für uns ist völlig klar, dass Adolf Hitler ein Linker war.«

    Für diese Aussage hat die AfD-Chefin viele Prügel bezogen. Wie könne man nur solch einen Blödsinn behaupten! Jeder Schüler wisse doch, dass Hitler und die Nazis Rechtsradikale waren. Qua Definitionem sind die Rechten das Gegenteil der Linken. Doch da fangen die Irritationen schon an: Stimmt die politische Geografie heute noch? Ist das BSW von Sahra Wagenknecht ein linkes Bündnis, weil es für Umverteilung plädiert und den Reichen ans Portemonnaie will? Oder ist das BSW eine rechte Partei, weil ausländerfeindlich und putinfreundlich? Die gleiche ideologische Ambivalenz zeichnet auch die AFD Alice Weidels aus; sie ist bei weitem nicht einfach nur »libertär-konservativ«, wie Weidel sich Musk gegenüber anpreist.

    Die Nazis zu Sozialisten zu machen, klingt tatsächlich auf den ersten Blick absurd. Denn sie haben Kommunisten und Sozialisten verfolgt, vertrieben, eingesperrt und ermordet. So gesehen waren sie keine Kommunisten. Doch das hat Alice Weidel auch nicht behauptet. Zudem waren die Nazis Antisemiten, was üblicherweise als typisch rechtsradikal gilt, also nicht links sein kann. Oder doch? Auch hier kommt Unsicherheit auf, seit der dominante Antisemitismus von links kommt und sich dem palästinensischen Kampfruf anschließt, Palästina »from the river to the sea« von den Israelis zu »befreien«.

    Wenn die National-Sozialisten sich selbst Sozialisten nannten, dann ist das nicht nur eine anbiedernde Camouflage einer rechten Bewegung. Die Politik der Nazis nach 1933 enthielt tatsächlich viele sozial-egalitäre Elemente. Etwa die Einführung neuer Steuern und eine Ausweitung der Staatsverschuldung für den Ausbau eins Wohlfahrtstaats: Die Löhne wurden erhöht, der Lebensstandard wurde angehoben.

    Umverteilende Gefälligkeitsdiktatur

    Waren das alles nur nebensächliche Dinge abseits einer alles entscheidenden barbarischen Politik der Nazis? Nein, behauptet der Historiker Götz Aly in seinem 2005 erschienen Buch »Hitlers Volksstaat«, in dem es um den »nationalen Sozialismus« der Hitler-Partei geht. Danach benutzten die Nazis den Sozialismus als völkisches Gleichheitsangebot, um ihre Macht bei der Bevölkerung zu stabilisieren. »In dem mit dem 1. September 1939 verfügten Kriegssozialismus sahen viele Deutsche die glaubhafte, gewissermaßen negative Vorform einer gerechteren Gesellschaftsordnung«, schreibt Aly. Die »Arbeiterschaft« begrüße es, dass »die besseren Leute aufhören, welche zu sein«, verlautete zustimmend aus der SPD. Rationierung, eine zentralistische Zuteilung von Lebensmitteln, fanden die Menschen gerecht – nicht nur als Ausnahme in Kriegszeiten. In Anlehnung an die berühmte Köchin Lenins, die im Kommunismus den Staat regieren solle, hatte Hitler 1938 versprochen: »Es muss in diesem neuen Deutschland von jetzt an jedes Arbeiter- und Bauernkind dank unserer bewussten Führungsauslese emporsteigen können bis zur höchsten Führung der Nation.«

    Die Perfidie des Nazi-Sozialismus bestand darin, dass die Wohlfahrt einer umverteilenden »Gefälligkeitsdiktatur« finanziert wurde durch die Ausbeutung der Juden Europas und der überfallenen und annektierten Nachbarländer, deren Besitz und Existenzgrundlage zum Vorteil des deutschen Volks enteignet wurde. »Sozialismus« durfte es für die Nazis nur für ein Land geben, nämlich für die deutsche Rasse – auf Kosten aller anderen Völker. Genau dieser völkisch-egalitäre Sozialismus garantierte dem Regime jene Integrationskraft, wofür die radikale antisemitische Ideologie alleine nicht genügte.

    Hinzu kommt der ausgeprägte Antikapitalismus und Antiamerikanismus der Nazis: Hitler richtete sein Hauptaugenmerk während seiner gesamten Laufbahn weniger auf die Sowjetunion, als auf Anglo-Amerika und den globalen Kapitalismus. So schreibt es der britische Historiker Brendan Simms in seiner Hitler-Biografie von 2019: Als treibende Kraft hinter dem internationalen Kapitalismus sah Hitler die Juden. In Umkehrung des berühmten Zitats von Max Horkheimer, wer nicht über den Kapitalismus spreche, solle über den Faschismus schweigen, schreibt Simms: »Wer nicht über Hitlers Antikapitalismus reden möchte, sollte auch über seinen Antisemitismus schweigen.«

    Der Hass auf die Plutokraten

    Antikapitalismus und Antisemitismus finden ihren Fluchtpunkt im Hass auf die »Plutokraten«, die Superreichen (Juden), vorzugsweise in den USA. Zwar blieb die NS-Wirtschaft weitgehend privat. Doch verlangte Hitler, dass die Unternehmen für die Nation arbeiten und nicht für den Profit. Weil alles unter staatlicher Kontrolle stand, sei die deutsche Wirtschaft keine reine Privatwirtschaft gewesen, schreibt der Historiker Simms.

    Fassen wir zusammen. Alice Weidel liegt im Großen und Ganzen nicht falsch, wenn sie auf den Sozialismus der Nazis hinweist. Auf Differenzierungen und Nuancierungen verzichtet die AfD-Chefin. So ist das halt in politischen Debatten.

    Alice Weidel grenzt sich scharf von derartigem Sozialismus ab, möchte gerne als »libertär« und »konservativ« gesehen werden. Das ist ebenfalls nicht ganz falsch, denkt man an die liberalen Anfänge der AfD (»Antieuro-Professorenpartei«), ihr Festhalten an der Schuldenbremse oder ihr Plädoyer für mehr direkte Demokratie. Die AfD ist eine Zwitterpartei, um unterschiedliche Wählergruppen zu bedienen: Weidel unterschlägt, dass das AfD-Programm vor allem in seiner ostdeutschen Spielart Björn Höckes dem Konzept des nationalen Sozialismus sehr ähnelt. Das Versprechen eines Rentenniveaus von »70 Prozent des letzten Nettoeinkommens« zum Beispiel übertrumpft die üppigen Umverteilungszusagen aller anderen Parteien. Für das dafür nötige Staatsgeld sollen die Sozialausgaben für Migranten zusammengestrichen werden. Dieser soziale Patriotismus reserviert den Ausbau des Wohlfahrtsstaat den Deutschen; Ausländern ohne deutschen Pass droht Weidel mit der »Remigration«.

    Nationaler Sozialismus verspricht Wählerstimmen, damals wie heute. Die Bereitschaft zur solidarischen Umverteilung in einem Sozialstaat schrumpft im Maße multikultureller und ethnischer Vielfalt dieses Staates. Das ist so, auch wenn es nicht sehr sympathisch ist. Rechte und linke Populisten optieren für einen Wohlfahrtschauvinismus. Antikapitalismus und Antiliberalismus haben in Deutschland eine lange Tradition.

    Rainer Hank