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  • 17. März 2025
    Hart arbeiten, früh aufstehen

    Gold im Mund? Foto Christoph Schütz/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum eigentlich haben Morgenstunden Gold im Mund?

    In einem der vielen Quadrelle vor der Wahl traf die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht auf Dorothee Bär, stellevertretende Vorsitzende der CSU. Es ging um das Bürgergeld. Einig waren sich die beiden Politikerinnen, dass sich für Menschen, »die hart arbeiten und früh aufstehen«, ihr Einsatz finanziell lohnen müsse. Und dass es die hart arbeitenden und früh aufstehenden Menschen empöre, wenn andere sich im Bürgergeld einrichten – ohne zu arbeiten.

    Das Argument ist geläufig und einleuchtend. Werden Anreize zu arbeiten durch üppige Angebote staatlicher Unterstützung (Bürgergeld, garantiertes Grundeinkommen) unterlaufen, bekommen wir ein Gerechtigkeitsproblem. Und ein ökonomisches obendrein, weil die Deutschen derzeit zu wenige Wochenstunden und Lebensjahre arbeiten – ein Grund für die anhaltende Wachstumsschwäche des Standorts.

    Aber müssen wir dafür unbedingt früh aufstehen? Ist etwa die Arbeit eines Spätaufstehers weniger wert als der Einsatz des Frühaufstehers? Sind Arbeitsethos und Produktivität ans Frühaufstehen gebunden? Arbeiten die Südeuropäer, die bekanntlich später anfangen, weniger hart als wir Mitteleuropäer? Ihre Wirtschaft wächst derzeit schneller als die unsrige. Haben die Menschen in der DDR, die häufig schon um 6 oder 7 Uhr auf der Arbeit waren, mehr Wohlstand geschaffen als ihre bundesrepublikanischen Nachbarn, die später anfingen? Dann müssten wir etwas verpasst haben.

    Klar, der Frühaufsteher ist eine feste Redewendung. Morgenstund› hat Gold im Mund und der frühe Vogel frisst den Wurm. Aber warum eigentlich? Der Langschläfer gilt als faul, wenig produktiv, wenig leistungsmotiviert. Wer rastet, der rostet.

    Gräbt man nach den historischen Wurzeln stößt man auf Preußens Tugenden der Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit. Soldaten, Beamte und Arbeiter wurden getrimmt, früh aufzustehen und den Tag strukturiert zu beginnen. Die Industriearbeiter des 19. Jahrhunderts mussten lernen, sich dem Takt der Maschine anzupassen. Das Fließband im Dreischichtbetrieb schläft nie. Nur die Aristokratie kam spät zum Frühstück; wie das ausging wissen wir seit der Französischen Revolution.

    Zeit ist Geld

    Der prominenteste Frühaufsteher-Versteher ist Max Weber. In seiner »Protestantischen Ethik« kommt er auf den Rat eines alten Geschäftsmannes an einen jungen Kollegen zu sprechen. Der beginnt mit dem Urwort des Kapitalismus »Zeit ist Geld«. Der Langschläfer bringt es zu nichts, soll das heißen. Vernimmt der Gläubiger morgens um Fünf nicht den Hammerschlag des Handwerkers, wird er nervös: Denn er muss muss befürchten, der Schuldner werde seinen Kredit nicht bedienen können.

    Fleiß, Disziplin und Askese, all das, was uns nach Max Weber reich werden ließ, hat offenbar einen Zeitindex. Richard Baxter (1615 bis 1691), ein protestantischer Pfarrer und puritanischer Erbauungsschriftsteller aus England, hatte eine theologische Begründung parat, warum Zeitverschwendung die erste und schwerste aller Sünden sei. Die Zeitspanne des Lebens sei unendlich kurz und kostbar, um die eigene Berufung zu entfalten. Zeitverlust durch Geselligkeit, faules Gerede, Luxus, selbst länger als für die Gesundheit nötig zu schlafen (6 bis 8 Stunden immerhin waren erlaubt) seien »sittlich absolut verwerflich«, so der Pfarrer.

    Das mündet bei Baxter in das Bonmot, man müsse früh aufstehen und früh zu Bett gehen: »Early to bed and early to rise makes a man healthy and wise«. In einer Zeit, der das christliche Sündenbewusstsein verloren gegangen ist, stellt die Verführbarkeit von üppiger staatlicher Alimentierung eine große Gefahr dar. Das ist es, was Bär und Wagenknecht eint. Eingeräumt wird unausgesprochen, dass die Motivation, früh am Morgen schon Leistung erbringen zu müssen, nicht selbstverständlich ist und deshalb nicht durch negative Anreize gefährdet werden darf. Anfällig dafür ist nicht nur der Morgenmuffel.

    Ich vermute – ohne besondere Empirie vorweisen zu können -, dass die Anzahl der Menschen, die Mühe haben, morgens aus dem Bett zu kommen, größer ist als die Zahl jener, die morgens munter auf der Matte stehen. Es wundert nicht, dass gegen den asketischen Imperativ der frühen und harten Arbeit, früh schon sich Widerstand regte. Da sind zunächst jene Leistungstotalverweigerer, die gar nicht aufstehen. Ihr Held ist der Grieche Diogenes in seiner Tonne, dem der großen Alexander – mit Sicherheit ein Frühaufsteher – einen Gefallen tun möchte: »Geh mir aus der Sonne«, so die subversive Antwort des Diogenes. Dies begründete eine Ethik der Faulheit (vornehm Muße genannt), die sich von theologischen Verdammungsurteilen, eine Todsünde zu begehen, nicht einschüchtern ließ. In diese Tradition gehören Figuren wie der lebensuntüchtige Oblomow, Gontscharows Held, der lieber seine Tagträume pflegte als früh zur Arbeit aufzubrechen.

    Tags schlafen, nachts arbeiten

    Die weniger radikale Spezies der Morgenverächter will ich Partialverweigerer nennen. Sie arbeiten zwar, bestreiten aber, dass Morgenstund Gold im Mund habe. So eine Haltung muss man sich leisten können, weswegen sie – abermals ohne Empirie behauptet – unter Intellektuellen und Universitätsprofessoren verbreiteter ist als bei den Facharbeitern am Band von Mercedes. Zu Meisterschaft brachte es der Philosoph Hans Blumenberg, der prinzipiell nur des Nachts schrieb mit der plausiblen Begründung, da werde er nicht von lästigen Telefonanrufen gestört. Der Historiker Heinrich August Winkler, so erzählt man sich, macht nie Termine vor 12 Uhr mittags, weil er die Nacht durcharbeitet. Hat es seinem Output geschadet? Eher nicht, wenn ich auf die dicken Bände über »Deutschlands Gang in den Westen« schaue, die in meinem Bücherregal stehen.

    So wurde dann auch der puritanische Spruch, man solle früh zu Bett zu gehen und früh aufstehen, früh als mörderisch verballhornt: Early to rise and early to bed makes a man healthy, wealthy and dead. Als ich jüngst an einem Werktag mitten in einer Sitzungswoche in Berlins Politpromicafé Einstein um acht Uhr morgens zum Frühstück kam, blieb ich mehr als eine halbe Stunde lang der einzige Gast.

    Soll man daraus schließen, Politiker seien faul? Keinesfalls. Sie beherzigen lediglich eine andere Verballhornung des puritanischen Imperativs, die sich zwar nicht reimt, aber ebenfalls wahr ist: »Early to bed and early to rise and you never meet any prominent people«. Diese Abwandlung stammt von dem amerikanischen Schriftsteller Carl Sandburg und macht aufmerksam, dass es für erfolgreiche Networker der Politik keinen Feierabend geben kann. Die Politiker müssen dann eben morgens ihren Schlaf nachholen, was ein Fehler sein mag: Denn die Lobbyisten Berlins schlafen nicht und spinnen auch schon morgens ihre Intrigen.

    Rainer Hank