Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen17. November 2021
Gutes besser machenÜber den Widerspruch zwischen Moral und Ratio beim Klimawandel
Der Ausstoß der weltweiten Treibhausgasemissionen liegt heute um rund 40 Prozent über dem Wert von 1990. Irgendetwas läuft schief. An der öffentlichen Aufmerksamkeit kann es nicht liegen. Von den meisten Menschen wird der Klimawandel als größte Herausforderung unserer Zeit bewertet.
Mit Ausnahme von ein paar verwirrten Außenseitern bezweifelt heute niemand mehr, dass der Klimawandel von Menschen verursacht wird und von Menschen bewältigt werden muss. Geeignete Maßnahmen sind Gegenstand politischer Kampagnen, zentraler Gesetzesinitiativen, wissenschaftlicher Studien und internationaler Gipfeltreffen wie zuletzt bei der 26. UN-Klimakonferenz COP 26 in Glasgow.
Was also läuft schief? Meine Vermutung: Es klafft eine Lücke zwischen Moral und Ratio. Ein bisschen härter noch: Es könnte sein, dass der ehrenwerte Wille vieler Menschen, klimapolitisch Gutes zu tun, am Ende den Klimawandel nicht abmildert, sondern verschlimmert.
Beginnen wir mit der Rationalität. So wie wir leben, emittieren wir große Mengen Treibhausgase, die verantwortlich sind für die Erderwärmung. Es entstehen hohe Kosten durch sogenannte externe Effekte, für welche die Verursacher keinen (oder einen zu geringen) Preis bezahlen. Daraus folgt: Man müsste diesen Preis sichtbar machen und allen, die ihn verursachen, in Rechnung stellen. Jedes Flugzeug in der Luft, jedes Auto auf der Straße, jede Kuh auf der Weide müssten zahlen. Ganz wichtig ist: Es müssen sich fast alle Staaten (und Menschen) auf der Welt beteiligen. Länder, in denen heute schon ein zum Teil hoher Preis für Emissionen fällig wird (Schweden, Norwegen, Schweiz, Deutschland), sind lediglich für einen sehr kleinen Teil der globalen Klimaverschmutzung verantwortlich (Deutschland bekanntlich für etwa zwei Prozent). 80 Prozent der Emissionen werden in Ländern erzeugt, die keinen CO2–Preis berechnen. Sie sind Trittbrettfahrer der »tugendhaften« Staaten, weil sie billiger produzieren und exportieren können.
Um Trittbrettfahrern ihr Handwerk zu legen, schlägt der Ökonomie-Nobelpreisträger William Nordhaus seit langem vor, dass die reformwilligen Länder sich zu einem Klimaclub zusammenschließen und einen einheitlichen CO2–Preis für alle Mitglieder festlegen. Das würde den Verbrauch fossiler Energien schrittweise verteuern. Weil dies jenen Ländern einen finanziellen Vorteil verschafft, die nicht Mitglied im Club sind, sollen Importe aus Drittstaaten in den Club mit einem Strafzoll verteuert werden. So entsteht ein Anreiz, dem Club beizutreten. Das hat auch COP 26 nicht geschafft: Dort geht es immer nur um Selbstverpflichtungen – aber nicht um Reziprozität.
Ein Club der Willigen
Der Club ist nach Meinung vieler Ökonomen ein zentraler Weg, global das Tempo der Erderwärmung zu drosseln und die Klimakatastrophe in letzter Minute zu verhindern. Der Kardinalfehler aller internationalen Konferenzen seit Kyoto besteht somit darin, dass man sich beschied, die Preisverpflichtungen lediglich einseitig und freiwillig einzugehen – statt zum Vorteil aller einen Club zu gründen nach dem Motto der Reziprozität: »Ich mache mit, sofern Du mitmachst!«
So viel zur Ratio. Nun zur Moral. Geschieht nicht schon viel Gutes in vielen Ländern? Ist vieles davon nutzlos? Die kurze und freche Antwort lautet: Ja. Wir verschaffen uns ein gutes Gefühl. Das tut unserem Wohlbefinden gut, aber nicht dem Klima, dem könnte es im schlimmsten Fall sogar schaden.
Nehmen wir ein Beispiel: Viele Städte in Deutschland verbreitern ihre Radwege, verknappen Parkplätze und verteuern die Parkhäuser. Wenn ich in Frankfurt vom Auto auf das Fahrrad umsteige, was ich vor ein paar Jahren getan habe, gibt mir dies das gute Gefühl, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Sobald wir die Emissionskosten freilich beziffern, die anfielen, führe ich in der Stadt Auto statt Rad, zeigt sich, dass mein Beitrag zum Klimaschutz lächerlich ist, nicht mehr als ein paar Euro im Jahr. Zum Vergleich: Die versteckten globalen Kosten fossiler Brennstoffemissionen belaufen sich laut Internationalem Währungsfonds IWF auf etwa fünf Billionen Dollar jährlich.
Mehr noch: Der Radler spart Geld, weil er kein Auto mehr hat, fühlt sich gut und leistet sich womöglich mit dem gesparten Geld im Urlaub eine Flugreise nach Griechenland. Sein negativer Beitrag zur Klimaverschmutzung ist damit um ein Vielfaches höher als das, was er durchs Radfahren spart. »Mental accounting« nennen die Ökonomen diese innere Bilanzierung, welche viele Menschen gerne anstellen. Glaubt im Übrigen jemand, dass der Parkplatz in Frankfurt frei bleibt oder dass die Saudis weniger Öl fördern, weil Rainer Hank radelt?
Ähnlich desillusionierend fällt der Nutzen aus, den es für das Klima bringt, sich eine Fotovoltaikanlage auf das Dach zu montieren. Das führt zwar dazu, dass CO2–Emissionen zuhause eingespart werden, die dadurch freiwerdenden Emissionsberechtigungen verbilligen jedoch den Preis im Zertifikatehandel. Andere kommen dann billiger an Verschmutzungsrechte, so dass die Emissionen im Saldo gleichbleiben. Man nennt das »Wasserbetteffekt«: wohlgemeinte Energieeinsparungen können die Emissionen nicht über das hinaus reduzieren, was der Emissionshandel sowieso erreicht.
Herz und Hirn
Nun könnte man sagen: Unser moralisches Verhalten hat zumindest einen symbolisch-alarmistischen Effekt, so wie Greta Thunbergs Segelschiffsreise nach New York. Die Forschung zum moralischen Verhalten zeigt indes: wir rationalisieren unser Tun gerne im Nachhinein. Jonathan Haidt, ein amerikanischer Kulturpsychologe, vergleicht unser moralisches Bewusstsein mit einem Reiter auf einem Elefanten. Das große Tier, die Intuition, hat seine eigene Intelligenz und seinen eigenen Willen. Es neigt dazu, den Weg einzuschlagen, den es für den richtigen hält. Der Reiter liefert lediglich die Kommentare dazu. Wir halten das »warme Gefühl« beim Radfahren oder beim Bau von Solardächern schon für einen wichtigen Beitrag gegen den Klimawandel. Im schlimmsten Fall führt das zu persönlicher Enttäuschung und Erlahmung, wenn wir erkennen, dass trotz unserer guten Tat die weltweiten Emissionen ansteigen. Das würde die moralische Motivation ins Gegenteil kehren.
Heißt das, wir sollen uns die Absicht abschminken, Gutes zu tun? Das wäre ein Missverständnis. Axel Ockenfels, Wirtschafts- und Verhaltensforscher aus Köln, wird nicht müde zu erklären, dass es darum geht, Gutes besser zu machen. Ist es nicht unsere moralische Verpflichtung, Herz und Hirn zu verbinden, und den Kampf gegen den Klimawandel rational und nach allen Regeln der Wissenschaft zu führen? Alles zu tun für die Gründung eines Clubs der Willigen wäre etwas, auf das die Bürger ihre Regierung moralisch (und mit ihrer Stimme) verpflichten müssten. Glückt es, ist es am Ende viel mehr wert, als die Erreichung deutscher Klimaziele, um die allein sich die Koalitionsklimaverhandlungen zu drehen scheinen.
Rainer Hank