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  • 13. Januar 2025
    Gerontokratie

    Wahlrecht entziehen? Keinesfalls. Foto unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Soll es im Wahlrecht eine Altersbeschränkung geben?

    Neulich gab es am Abendbrottisch mit Freunden (alle Ü65) eine hitzige Debatte darüber, ob man das Wahlrecht beschränken solle. Die Befürworter vertraten in einem Akt heroischer Selbstentmachtung die Meinung, ältere Menschen seien mit Blick auf ihr näher rückendes Ende nicht mehr so sehr am längerfristigen Überleben der Gattung und des Planeten interessiert. Es müsse ja nicht gleich eine Haltung des »Nach mir die Sintflut« sein, – wenngleich der Philosoph Hans Blumenberg das Wissen um den Abgrund zwischen endlicher Lebenszeit und unendlicher Weltzeit als eine der großen Kränkungen der Menschheit beschrieben hat. Dass diese Kränkung mit zunehmendem Alter näher vor Augen rückt, kann ich nicht bestreiten.

    Man sollte das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen und mit »Geht ohnehin nicht« vom Tisch wischen. Vor allem die Argumente der politischen Ökonomie sind triftig. Das sogenannte Rentenpaket der verstorbenen Ampel hatte eine demographische Unwucht, wollte die Rentner finanziell privilegieren und die Jüngeren stärker belasten. Die Älteren stellen eine potente Wählergruppe, auf die alle Parteien schielen, weil es ihnen um Stimmenmaximierung geht. Von den 61 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland sind 23 Millionen Rentner, das sind bald 40 Prozent. Noch haben sie nicht die Mehrheit. Wenn es so weiter geht mit einer rückläufigen Geburtenrate und langlebiger Fitness der Älteren, dann kippt die Geschichte irgendwann in den 2050er Jahren. Schon 2030 werden die Älteren boomerbedingt 45 Prozent des Wahlvolkes stellen.

    Ein Einwand gegen die simple Logik der politischen Ökonomie lautet, die Menschen seien gar nicht so egoistisch nutzenorientiert, wie es ihnen nachgesagt werde. Schließlich beweisen die »Omas for Future« (Opas sieht man da weniger), dass auch den Älteren der Klimawandel nicht einfach schnuppe (hätte man früher gesagt) ist und die »Last Generation« keinen Exklusivanspruch auf den ethischen Longtermism hat. Schaut man sich freilich die politischen Präferenzen der Älteren bei der aktuellen Sonntagsfrage an, so wählen die in dieser Reihenfolge die Union, die SPD und die AfD. Die Grünen (und die FDP) rangieren unter »ferner liefen«. Einen gewissen interessengetriebenen Egoismus könnte man daraus schon ablesen, wenn eine Partei wie die Grünen, die sich Zukunft, Umwelt und Klima auf die Fahnen geschrieben hat, so wenig Unterstützung findet; es kann nicht nur an Robert Habeck und der vergeigten Wärmepumpe liegen.

    One man one vote

    Auch die Gegenargumente sind gewichtig. Der Grundsatz »One man one vote« ist eine demokratische Errungenschaft. Das Wahlrecht soll weder von der sozialen noch der ökonomischen oder politischen Stellung des Wählers abhängig sein. Das kommt einem heute selbstverständlich vor. Doch hat bekanntlich das demokratische Musterland Schweiz das Frauenwahlrecht erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführt (mit einer Mehrheit der Männer). Und dafür, dass Schwarze wählen können, bedurfte es in den USA in den sechziger Jahren mehrerer Grundsatzurteile des obersten Gerichts.

    Soll es nun tatsächlich, nachdem die soziale, rassische und Geschlechtergleichheit in den meisten Demokratien durchgesetzt wurde, eine Altersdiskriminierung beim aktiven Wahlrecht geben? Mit gleichem Recht könnte man auch eine Bildungsdiskriminierung einführen: Die klugen Alten dürfen wählen, die Dooferen unter ihnen eher nicht. Das zeigt, dass solche Ausnahmen des One-Man-Grundsatzes extrem ideologie- und politikanfällig wären. Besser ist es, was vielfach auch geschieht, das Eintrittsalter im Wahlrecht zu verjüngen. Ich durfte erst mit 21 an die Wahlurne gehen, weil man damals erst mit 21 volljährig wurde. Inzwischen traut man den Jüngeren schon mit 18 eine ausgewogene Wahlentscheidung zu. Und in der EU – vielleicht, weil es da nicht so drauf ankommt – sogar mit 16. Es wird schon gut sein, dass es nirgends in der Welt ein Höchstalter für Wähler gibt. Mit einer Ausnahme übrigens: Römisch-katholische Kardinäle verlieren mit 80 Jahren das Recht, den Papst zu wählen. Ist die Kirche ausnahmsweise einmal ihrer Zeit voraus?

    Wie ist es mit dem passiven Wahlrecht? Sollte es ein Höchstalter für Regierungschefs und Staatspräsidenten geben. Die Angst vor einer Gerontokratie wurde zuletzt diskutiert, als es so aussah, als würde in den USA ein 76jähriger Trump gegen den 81jährigen Biden antreten. Der Wechsel zu Kamala Harris, 60, lieferte dann den Beweis dafür, dass die Bürger bei Wahlen nicht automatisch jüngere Frauen bevorzugen.

    Auch beim aktiven Wahlrecht sollten man sich die Sache nicht zu einfach machen. Schließlich gibt es für viele Berufe Altersbegrenzungen. Piloten mussten bei der Lufthansa mit 60 Jahren ihren Dienst quittieren, bis das oberste europäische Gericht diese Regelung kippte. Viele Länder legen für Feuerwehrleute oder Polizisten ein Höchstalter fest. Amerikaner müssen die Armee verlassen, bevor sie 64 werden. Auch in vielen Wirtschaftsunternehmen werden die CEOs mit 60 Jahren genötigt, den Platz für Jüngere freimachen, dürfen allenfalls auf ein Gnadenbrot als Aufsichtsratsvorsitzender hoffen.

    Fahren darf man nicht, wählen schon

    Ob jemand auf den Straßen noch fahrtüchtig ist, muss vielfach von einem bestimmten Alter an durch regelmäßige Fahrprüfungen nachgewiesen werden. Ob jemand mit 76 noch präsidententüchtig ist, scheint keines Nachweises zu bedürfen. Das durchschnittliche Alter der Staats- und Regierungschef ist in den letzten fünf Dekaden von 55 auf 62 Jahre gestiegen. Für den Zugang zur Spitze des Staates gibt es dagegen hohe Hürden: Bundespräsident kann man in Deutschland frühestens mit 40 werden; in Italien sogar erst mit 50 Jahren. Emmanuel Macron, Jahrgang 1977, müsste dort noch gut zwei Jahre warten, bis er Präsident werden kann. Es sei denn, er macht es wie der gerade vertriebene syrische Machthaber Assad, der kurzerhand das Wahlalter von 40 auf 34 Jahre, herabgesetzt hat, und wählbar zu werden. Bei Eintritt ins Amt wird Reife und Lebenserfahrung verlangt. Altersstarrsinn und nachlassende geistige Präsenz scheinen dagegen kein Hindernis zu sein, große Staaten zu regieren.

    Doch auch beim passiven Wahlrecht käme man mit Altersbeschränkungen in Teufels Küche. Es gibt wackelige 60jährige und absolut toughe Achtzigjährige; Konrad Adenauer wird hierzulande immer als Beweis genannt. Es gehört zur demokratischen Freiheit, dass die Wähler entscheiden, was sie älteren Bewerbern zutrauen. Einen »Trost« präsentiert der »Economist«: Auch wenn das Durchschnittsalter der politischen Führer insgesamt steigt, geht das Alter demokratischer Staatslenker zurück, zumindest ein wenig. Das könnte mehr werden, wenn mehr Frauen wie Giorgia Meloni (48) an die Macht kommen: Alice Weidel (45) oder Sahra Wagenknecht (55) zum Beispiel. Aber dann ist’s natürlich auch wieder nicht recht.

    Rainer Hank