Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen30. März 2022
Gentleman's personal GentlemenRussische Oligarchen und Großbritanniens Butler-Industrie
Für Oligarchen habe ich mich nie besonders interessiert. Es ist nicht so, dass mir Neid oder Bewunderung als Gefühle fremd wären. Doch die in London lebenden Superreichen (mit angeschlossener Luxusyacht und Fußballverein) sind so weit von meinem Alltag entfernt, dass mir das Vorstellungsvermögen für ihre Welt fehlt.
Mein Interesse an Oligarchen hat sich seit Ausbruch des Krieges schlagartig verändert. Soweit ich es verstanden habe, gibt es übrigens keine großen Profil-Unterschiede zwischen russischen und ukrainischen Oligarchen. Die Russen stehen nur deshalb im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil sie jetzt unter die Wirtschaftssanktionen fallen.
Ein Oligarch ist nach gängiger Definition ein steinreicher Mann – Frauen kommen nicht vor -, der auf undurchschaubare Weise an sein Geld gekommen ist und mit diesem Geld Macht ausübt auf Politik und Wirtschaft. Eine Milliarde britische Pfund oder Dollar scheint das Mindestvermögen für die Aufnahme in den Club zu sein. Man nennt sie auch »Wirtschaftsmagnaten«, »Tycoone« oder, ganz negativ, Kleptokraten. Die Geburtsstunde der neueren Oligarchen-Generation datiert in die Zeit des Zerfalls der Sowjetwirtschaft und der Privatisierung der Staatswirtschaft (Gas, Öl, Metalle). Marktwirtschaftlich gesehen war das alles in Ordnung. Star-Ökonomen wie Jeffrey Sachs von der New Yorker Columbia-Universität empfahlen als Transformationsberater einen radikale Systemwechsel (»Big Bang«).Die Zeit der Systemtransformation war für clevere Männer aus der alten Nomenklatura die Gelegenheit, schnelles Geld zu machen. Oder in den Worten der deutsch-ukrainischen heute Grünen Politikerin Marina Weisband: »Privatisieren hieß: zusammenklauen. Menschen brachten unfassbare Bestechungssummen in die Kreditabteilungen der Banken und kauften alles, was bei drei nicht auf den Bäumen war.« Die Gewinne aus solchen Geschäften investierten die werdenden Oligarchen nicht in den Aufbau einer gesundenden Wirtschaft in ihrer Heimat, sondern transferierten sie außer Landes: besonders gerne nach London. Seither spricht man dort von Moskau an der Themse oder Londongrad.
Warum London? Da gibt es eine sehr rationale Paradoxie. Gerade Milliardäre aus Staaten, die es mit Vertragsfreiheit und Privateigentum nicht so genau nehmen, achten peinlich darauf, ihr Vermögen in sichere westliche Rechtsstaaten zu schaffen. Das viele Geld ist bei der HSBC oder der Royal Bank of Scotland einfach sicherer als bei der Sberbank (Savings Bank of the Russian Federation) oder der Gazprombank, jedenfalls solange es nicht gerade einen Boykott gibt. Hinzu kommt: London ist ein idealer Ort für das, was die Soziologen »ostentativen Konsum« nennen. In der Nachbarschaft des Kensington Palasts – Lady Di und Prinzessin Margaret wohnten dort – hat man den Aufstieg in den Kreis der feinen Leute geschafft: Eine royale Nachbarschaft adelt.
Ideale Bedingungen für die Geldwäsche
Doch es gibt, wie in der Theorie der Migration, auch noch viel stärkere Pullfaktoren, begünstigende Umstände, die London für postkommunistische Milliardäre attraktiv werden ließen. Das hat abermals mit der Lehre der Marktwirtschaft zu tun: ehrliche Kaufleute vertrauen einander unabhängig von ihrer Nationalität. Die Grenzen zwischen selbstverständlichem und blindem Vertrauen sind fließend. Es hat aber auch mit der Aussicht vieler Menschen zu tun, an viel Geld zu kommen: Gemeint sind hier nicht die geldgierigen Oligarchen selbst, sondern die vielen Menschen, die sich an ihnen bereichern.
Als Pull-Faktor betrachtet, sind genau dies die idealen Bedingungen für Geldwäsche. Die Kopie eines Personalausweises genügte in den neunziger Jahren, um in London Immobilien in großem Stil zu erwerben. Dass hinterher im Grundbuch nicht der Name aus dem Personalausweis eingetragen war, sondern eine Firma mit Sitz auf den Jungferninseln, scherte niemanden. Amnesty International beziffert den Wert der heute von russischen Oligarchen gehaltenen Londoner Liegenschaften auf 1,5 Billionen Pfund. Jetzt rächt es sich, dass sich in den neunziger Jahren keiner für die Herkunft des Geldes interessiert hat. Entsprechend ist es heute schwer, zwischen »bösem« Putin-Geld und »normalen« Vermögen zu unterscheiden: »Großbritannien ist kein Platz für schmutziges Geld«, meint der Britische Premierminister Boris Johnson. Gut gebrüllt: Doch wer unterscheidet Schmutz von Sauberkeit?
Butler-Business statt Britischem Empire
Dass an derartiger Provenienzforschung bislang niemand wirklich interessiert war, liegt an der riesigen Dienstleistungsindustrie, die bis heute an den Oligarchen verdient. Diese Industrie ist es, die ihnen ihr Luxusleben ermöglicht. Der Schriftsteller Oliver Bullough nennt diese Industrie in einem neuen Buch, auf das die Financial Times am vergangenen Wochenende zu Recht lobend hinwies, »Butler für die Welt«. Gemeint sind die Immobilienmakler, die die Grundstücke und Paläste aussuchen, die Notare und Rechtsanwälte, die alles ordentlich testieren und Schiedssprüche aushandeln und die Banker, die aus viel Geld noch mehr Geld zu machen versprechen. Und das ist nicht alles: Hinzu kommt das viel gelobte Bildungssystem mit seinen Elite-Internaten und die Gesundheitsindustrie in England, wo man für gutes Geld beste Behandlung kaufen kann. Und natürlich die Caterer, die dafür sorgen, dass es bei den Partys nur besten Champagner und edelsten Kaviar gibt. Zur Pflege der Umgebung, aber auch um als guter Bürger dazustehen, sind Oligarchen gern gesehene Mäzene für Museen und Universitäten. Auch für beide großen Parteien fiel die ein oder andere großzügige Spende ab.
Butler in dieser Welt sind also nicht einfach nur Diener in weißem Livree. Es sind Scharen von Dienstleistern, die von den Oligarchen ein stabiles Einkommen beziehen. Reginald Jeeves, Butler in den Romanen von P.G. Wodehouse, nennt sich stolz »Gentleman’s personal Gentleman«. Bullough greift historisch weit zurück und zeigt, dass die britische Butler-Industrie das Kompensat war für die Kränkung des Imperiums nach der Suez-Krise (1956), rettende Idee eines neuen Geschäftsmodells für die »City«.
Aus all dem lassen sich drei verstörende Überlegungen ableiten. (1) Monokulturen in der internationalen Arbeitsteilung sind gefährlich. Sie bergen die Gefahr der Abhängigkeit. Teile der Dienstleistungsindustrie in London und anderswo haben sich abhängig gemacht von den Oligarchen. Europa hat sich abhängig gemacht von russischem Öl und Gas. (2) Wenn Ignoranten oder gar Feinde der Marktwirtschaft Markt und Rechtsstaatlichkeit legal benutzen, um sich zu bereichern, liegt das dann an der Naivität oder Profitgier der Marktwirtschaftler oder an der kriminellen Energie der Oligarchen? (3) Der alte Streit darüber, oder der Markt seine eigene Moral generiert (Friedrich A. von Hayek) oder ob er andauernd Moral verzehrt (Wilhelm Röpke) fällt – zumindest in diesem Fall – zugunsten von Röpke aus.
Rainer Hank