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  • 08. Juni 2025
    Geld her!

    Was kann man damit kaufen? Foto John McArthur/unsplash

    Dieser Artikel in der FAZ

    Gibt es Grenzen für die Monetarisierung unseres Lebens?

    Im jüngsten Roman des Schriftstellers und Schauspielers Joachim Meyerhoff (»Man kann auch in die Höhe fallen«) wird der Held von seiner Mutter daran erinnert, dass er schon als Kind ziemlich aufs Geld aus gewesen sei: »Ein Siebenjähriger, der weder richtig schreiben noch singen noch rechnen kann, dafür aber geldgeil ist – sympathisch!« Für alles habe er eine Bezahlung gefordert; ununterbrochen haben man mit dem kleinen Kapitalisten verhandeln müssen. »Du wolltest Geld dafür, mit dem Hund rauszugehen und dafür, den Vogelkäfig sauber zu machen.« Zuweilen habe der Kleine die Notwendigkeit von Dienstleistungen, für die er Geld haben wollte, erst selbst hergestellt: »Wir haben Dich erwischt, wie Du die Schuhe von Deinem Vater mit Erde eingerieben hast, um sie dann gegen Bezahlung zu putzen.« Schließlich ging der Junge zum Äußersten: »Irgendwann beim Essen hast Du gesagt, dass Du nur noch zur Schule gehen würdest mit einem guten Gehalt.« Dass die Entlohnung für den Schulbesuch in Form einer Bildungsrendite erst später ausgezahlt würde, haben die Eltern dem Sprössling nicht erklärt; es hätte ihn kaum zufriedengestellt.

    Der Held in Meyerhoffs Roman – er heißt Joachim wie sein Autor – erhält alle Sympathie vom Leser, weil er eben gerade kein Held ist, sondern mal tollpatschig, mal cholerisch, mal verschlagen so wie in dieser Kindheitsgeschichte. Ständig eckt er irgendwo an. Doch die Frage, die der geldgeile Bube stellt, ist eine der ökonomischen Philosophie: Soll es moralische Grenzen dafür geben, was mit Geld gekauft werden darf?

    Der Harvard-Philosoph Michael Sandel hat darüber einen Bestseller geschrieben »What money cant buy«. Das Buch ist im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschienen ist: »Was man für Geld nicht kaufen kann.« Es handelt von den moralischen Grenzen des Marktes. Sandel argumentiert, dass sich die Märkte in immer mehr Lebensbereiche ausgebreitet hätten, die früher nicht von der Marktlogik bestimmt wurden. In unserer Welt scheine heute so gut wie alles käuflich zu sein. Sogar bei Lebensbereichen, deren Wert eigentlich unbezifferbar ist – Gesundheit, Politik, Recht und Gesetz, Kunst, Sport, Erziehung, Familie und Partnerschaft. Aus unserer Marktwirtschaft sei eine Marktgesellschaft geworden.

    Die Armen stehen Schlange

    Ein besonders prägnantes Beispiel, das Sandel macht, ist das Schlangestehen. Reiche Leute, die wenig Zeit haben – sie müssen ja Geld verdienen – bezahlen andere Leute, die sich für sie in die Schlange einreihen, um Konzert- oder Sportveranstaltungskarten zu kaufen. Es gibt in Washington D.C. Agenturen, die Leute dafür anstellen, in Warteschlangen für Kongressanhörungen zu stehen. Sie können sich so den Zugang für etwas erkaufen, was einen demokratischen Prozess verzerrt. Denn in der Demokratie soll jeder Bürger gleiche Rechte haben und sich nicht mit Geld Macht und Einfluss erkaufen können.

    Jenseits der moralischen Frage, leuchtet unmittelbar ein, dass die Monetarisierung die Bewertungen von Handlungen grundlegend verschieben kann. Berühmt geworden ist ein Experiment in einer Kita im israelischen Haifa. Dort haben sich die Betreuerinnen regelmäßig darüber aufgeregt, dass die Eltern ihre Kinder zu spät abgeholt hatten. Um die Unsitte abzustellen, wurde eine zeitlich gestaffelte Geldbuße beschlossen: Je später der Abholer, um so saftiger die Strafe. Doch es stellte sich ein paradoxer Effekt ein. Nach Einführung der Geldbuße, kamen mehr und nicht weniger Eltern zu spät. Sie interpretierten die Geldbuße nicht als Strafe, sondern schlicht als Preis für verlängertes Verweilen ihrer Kinder in der Kita. Und diesen Preis waren sie gerne zu zahlen bereit: Vorher hatten sie ein schlechtes Gewissen. Im neuen Marktdesign konnten sie sich dessen durch die Geldzahlung legal entledigen. Der Deal erinnert an den Ablasshandel der Kirche, den Luther in seinen Thesen angeprangert hatte.

    Soll man gesellschaftliche Bereiche definieren, die der Monetarisierung entzogen sind, um die Marktwirtschaft zu hindern, zur Marktgesellschaft zu verwildern? Ich glaube, das ist keine gute Idee.

    Jüngst erzählte mir ein Mann seine Lebensgeschichte. Er wird jetzt 83 Jahre alt. Durch ein erfolgreiches Berufsleben war er wohlhabend geworden. Seine Frau ist schon lange tot. Kinder oder andere Angehörige gibt es nicht. Nach Bypass- und Hüftoperation wurde ihm bewusst, dass seine Gesundheit nicht ewig stabil bleiben würde. Ins Heim zu gehen, kam für ihn nicht in Frage, wiewohl er es sich leisten könnte. Zufällig lernte er eine Frau kennen, dreißig Jahre jünger, die bei einem Bekannten die Wohnung putzte. Man war sich sympathisch und er machte der Frau – stolz nennt er sie heute seine Freundin – folgendes Angebot: Wenn sie bereit wäre, ihn bis zum Lebensende zu betreuen und auch zu pflegen, werde sie sein gesamtes Vermögen erben. Die Frau ließ sich darauf ein. Das Betreuungs-Erb-Verhältnis wurde vom Notar testiert.

    Tausche Pflege gegen Erbe

    Wie soll man den Deal beurteilen? Zunächst finde ich daran nichts anstößig. Das Verhältnis ist sauber, hat nichts mit den Fällen zu tun, in denen ältere Menschen und ihre Nachkommen mit allerlei Verführungskunststücken um ihr Erbe gebracht werden. »Das Leben ist ein Geben und Nehmen«, kommentiert mein neuer Bekannter. Etwas beklommen macht der Konstruktionsmechanismus des Vertrags gleichwohl: Je früher der alte Herr stirbt, desto eher kommt die Pflegerin an ihr Erbe. Agatha Christie wäre dazu gewiss etwas eingefallen. Womöglich lässt sich die Gefahr eines vorzeitig erwirkten Eintretens des Erbfalls durch eine großzügig gezahlte Apanage an die Pflegerin bei Lebezeiten des reichen Mannes abfedern.

    Gleichwohl bleibt ein unauflösbarer Rest. Menschliche Zuwendung, Betreuung und Pflege, so hätten wir es gerne, soll ein Akt der Freundschaft, Liebe oder Barmherzigkeit sein, die der finanziellen Anreize gerade nicht bedürfen. Auch dazu gibt es klassische Experimente: Wenn Menschen fürs Blutspenden Geld erhalten, nimmt die Zahl der Blutspender ab und nicht zu. In der Debatte über die Care-Arbeit, also gesellschaftlich notwendige, aber der Ökonomisierung entzogene Arbeit, werden diese Argumente seit Jahren hin- und hergewendet. Die Befürworter der Care-Arbeit plädieren für Monetarisierung, um der Fürsorge ihre angemessene finanzielle Anerkennung zuteil werden zu lassen. Die Gegner argumentieren eher wie Michael Sandel. Dabei macht es offenbar einen Unterschied, ob man das Geld sieht, das fließt: Mein Bekannter bezahlt regelmäßig seine »Freundin« direkt. Wäre er im Heim, würde er die Pfleger natürlich auch bezahlen, aber indirekt über die Pflegekasse und Überweisungsaufträge. Vielleicht geht es am Ende beim moralischen Vorbehalt gegen die Ökonomisierung lediglich darum, sich die Illusion spontaner Freiwilligkeit zu bewahren?

    Rainer Hank