Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen29. Juli 2019
Geht uns die Arbeit aus?Warum ein Grundeinkommen so viele Freunde hat
Maria und Martha sind Schwestern. In der Bibel wird von ihnen erzählt. Jesus ist zu Besuch bei den Frauen. Während Maria sich sogleich zu Jesu Füßen setzt und seinen Reden lauscht, macht Martha – wie Luther übersetzt – »sich viel zu schaffen, ihm zu dienen«. Offensichtlich werben beide Frauen um die Gunst des charismatischen Mannes. Martha provoziert: Ob der Meister es nicht merkwürdig finde, dass sie alleine die ganze Arbeit mache, während die Schwester immer bloß dasitze und lausche? Doch Jesus erteilt ihr eine Abfuhr: »Was werkelst Du und kümmerst Dich um alle möglichen Dinge?« Maria hat es besser angestellt: Sie konzentriert sich auf das, was wesentlich ist – sie ist ganz Ohr für das Wort des Herrn.
Die Geschichte von Maria und Martha ist ein Schlüsseltext zum Stellenwert der Arbeit. Er erinnert, was heute vergessen ist: dass über lange Jahrhunderte die Arbeit einen schlechten Leumund hatte. Wer es sich leisten konnte, machte sich von Arbeit frei. Die »vita contemplativa«, die betrachtende Muße, rangierte weit über der »vita activa«, dem tätigen Leben. Erst seit der Neuzeit gilt die Arbeit als die Quelle des Reichtums. Und zwar nicht einfach jede Arbeit, sondern eine Arbeit, die produktiv ist und die gegebenen Ressourcen effektiv nutzt. Das Ansehen der Arbeit wurde ungleich aufgewertet; sie bringt Sinn und Geld in das Leben. Die Reihenfolge ist wichtig: Erst kommt die Arbeit, dann das Geld und nicht umgekehrt. Ohne Fleiß kein Preis.
Die Tyrannei der Arbeitsgesellschaft
»Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahrhundert damit begonnen, die Arbeit zu verherrlichen«, schreibst Hannah Arendt: »Und sie hat zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeitsgesellschaft zu verwandeln.« Das macht die Welt egalitär; jeder ist ein Arbeiter, der Hausmeister im Berliner Kanzleramt genauso wie Angela Merkel, die Kanzlerin: Auch sie hat einen Job, macht ihn sogar ganz ordentlich, wie viele sagen.
Kein Wunder, dass die Ahnung, der Arbeitsgesellschaft könne die Arbeit ausgehen, seither eine Horrorvorstellung ist. Einer Welt, die sich ausschließlich auf die Arbeit versteht, muss die Androhung einer Welt ohne Arbeit als der Absturz in das Nichts erscheinen. Wovon sollen wir dann noch leben? Was gibt uns dann noch Sinn? Gewiss, sporadisch machen Utopien eines »Rechts auf Faulheit« die Runde. Der große Ökonom John Maynard Keynes träumte in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts davon, dass für seine Enkel und Urenkel – also für uns – der wirtschaftliche Fortschritt die wichtigsten Bedürfnisse erfüllt habe. Arbeit werde eine Sache für Spezialisten, so ähnlich wie die Zahnheilkunde. Der Rest der Menschheit kann sich schöneren Dingen zuwenden und sich erfreuen an den Lilien auf dem Feld.
Es ist dann bekanntlich anders genkommen. Weder haben sich die Menschen von der Arbeit befreit, noch wollten sie es. Immer noch ist die Arbeit Quelle unseres Reichtums; wir sind inzwischen alle ungleich reicher (zumindest in den Industrieländern) als Keynes und seine Zeitgenossen. Abermals ist deshalb die Angst immens, eine neue, technologisch verursachte Arbeitslosigkeit werde uns in den Abgrund reißen.
Lasst euch was Neues einfallen
Die beste Antwort auf die Drohung, uns werde von den Maschinen die Arbeit abgenommen, heißt immer noch: Dann erfinden wir eben eine andere, neue Arbeit, für die es (noch) keine Maschine gibt. Wir werden Personaltrainer im Fitnessstudio (die vermehren sich derzeit ungemein) oder programmieren die Roboter (die vermehren sich derzeit auch: die KI-Programmierer wie die Roboter). Der Verweis auf den Arbeit schaffenden menschlichen Erfindergeist ist schlagend. Allerdings sollte man die Zeit nicht unterschlagen, die vergeht zwischen der Vernichtung der alten Arbeit und der Entstehung neuer Arbeit, wie der Wirtschaftshistoriker Carl Benedikt Frey in seinem neuen Buch »The Technology Trap« schreibt (Patrick Bernau hat das Buch in der F.A.S. vom 19. Juni vorgestellt).
Nach Freys Forschungen gibt es zwei sehr unterschiedliche Verläufe einer technologischen Revolution: Im frühen 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung in England los ging, haben Spinn- und Webmaschinen ein Heer von Arbeitslosen produziert: Maschinen ersetzen Menschen. Die Produktivität verbesserte sich, Produkte wurden billiger, was wiederum vielen Menschen Arbeit gab. Kurzfristig ein Verlust, langfristig ein Gewinn: Diejenigen, die später Arbeit bekamen, waren leider nicht die diejenigen, die sie früher verloren haben. »Kurzfristig« kann für manche eben das ganze Leben gewesen sein. Dagegen hat die technologisch verursachte Automatisierung des 20. Jahrhundert Arbeitsplätze nicht vernichtet, sondern gleichzeitig neue Beschäftigung kreiert: An den Fließbändern der Automobilindustrie oder in den Fabriken, die Kühlschränke, Waschmaschinen oder Backöfen für jeden Mittelschichtshaushalt produzieren.
Bloß kein Grundeinkommen
Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Algorithmen sind die Treiber unserer heutigen technologischen Revolution. Noch wissen wir nicht, nach welchem Muster sie verläuft. Carl Benedikt Frey, der Wirtschaftshistoriker, befürchtet, es könnten – kurzfristig – viele Jobs verschwinden, wie damals im frühen 19. Jahrhundert. Die Furcht vor Jobverlust erklärt den Erfolg populistischer Politiker.
Ist es ein Wunder, dass gerade jetzt die Idee eines »bedingungslosen Grundeinkommens« wieder in Mode kommt? Jeder zweite Deutsche findet es prima. Der Grundansatz ist von »provozierender Schlichtheit«, wie die Ökonomen Philip Kovce und Birger Priddat in einem gerade bei Suhrkamp erschienenen verdienstvollen Reader schreiben: Jeder Bürger eines Gemeinwesens soll lebenslang ein existenzsicherndes Einkommen beziehen, das ihm als individueller Rechtsanspruch ohne etwaige Arbeitspflicht oder Bedürftigkeitsprüfung gewährt wird. Alter, Bildung, Beruf, Vermögen – all das soll keine Rolle spielen.
Konzentrieren wir uns auf den philosophischen Kern des Grundeinkommens, so bestätigt sich Hannah Arendts Analyse, wonach wir die Automation stets als Fluch und nicht als Segen zu erleben pflegen. Das »bedingungslose Grundeinkommen« verspricht Befreiung vom Zwang der Arbeit und will aus der Not (Automatisierung) eine Tugend (Geld auch ohne Arbeit) machen. Doch die Bedingung des bedingungslosen Grundeinkommens heißt: Wenige müssen mehr oder produktiver arbeiten, um das bedingungslose Grundeinkommen der vielen zu finanzieren. Falsche Anreize sind der bleibende Widerspruch dieser Utopie. Es geht ihr nicht darum, die »vita activa« durch eine neue Form der »vita contemplativa« zu ersetzen. Es geht ihr »lediglich« um Kompensation.
Der Arbeitsgesellschaft können und wollen wir nicht entrinnen. Sollten diejenigen Recht behalten, die einen kurzfristigen Verlust vieler Arbeitsplätze befürchten, wäre wohl tatsächlich eine kompensatorische Politik nötig – nicht nur aus Furcht vor einer weiteren Radikalisierung der Populisten. Doch es gibt gute und weniger gute Kompensation. Vom Grundeinkommens halte ich nichts. Aber was dann? Dazu mehr in einer der nächsten Folgen von »Hanks Welt«.
Rainer Hank