Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen15. Dezember 2025
Folterwerkzeuge
Das Volk muss sich in die Rentendebatte einmischen
Im Vergleich mit Volker Kauder ist Jens Spahn ein Grünschnabel. Kauder, ein CDU-Mann aus dem Südwesten, war ein Vorbild der Loyalität zu seiner Herrin Angela Merkel. Dreizehn Jahre war er Vorsitzender der Unionsbundestagsfraktion. Was Merkel im Kabinett hatte beschließen lassen, das transportierte Kauder Eins zu Eins ins Parlament. Widerspruch war zwecklos. Sollten sich im Vorfeld wichtiger Gesetze »Abweichler« in der eigenen Fraktion regen, zeigte Kauder seine Folterwerkzeuge.
So zum Beispiel bei der Abstimmung eines Milliardenfinanzpakets zur »Rettung« Griechenlands in der Eurokrise. Das war vor gut zehn Jahren. 60 Parlamentarier der Union hatten angekündigt, dem Griechenlandpaket nicht zuzustimmen. Kauder drohte, Abgeordnete, die gegen die Fraktionslinie stimmten, könnten aus wichtigen Ausschüssen »versetzt« oder »nicht mehr berücksichtigt« werden. Mitgliedschaft in solchen Ausschüssen bringt Renommee (Interviews, Talkshows), der Vorsitz bringt zudem personelle und finanzielle Ressourcen. Wenn diese Drohung nicht fruchtete, ging Kauder zum Äußersten: der Andeutung, bei der nächsten Wahl können die Rebellen ihren Listenplatz verlieren oder zumindest auf der Liste so weit nach hinten wandern, dass eine Widerwahl unwahrscheinlich würde. Da überlegt man sich die Sache noch einmal, wenn das Ende der politischen Karriere auf dem Spiel steht. Lange haben die MdBs sich das gefallen lassen. Erst in der Endphase der Merkelära, als die Macht schon bröckelte, haben die Abgeordneten das autoritäre Regime Kauders beendet und einen anderen gewählt.
Jens Spahn solle sich an Kauder ein Beispiel nehmen, hat man ihm geraten, als die Sache mit der Wahl einer Verfassungsrichterin schief ging und der Fraktionsvorsitzende blamiert dastand. Und jetzt wieder, wo die »Junge Gruppe« in der Union mit Unterstützung vieler Ökonomen von rechts bis links ein ganzes Gesetzespaket zu Fall zu bringen drohte. Da gingJetzt geht es auch um die Karriere von Jens Spahn. Also griff er zur Methode Kauder (die ihrerseits aus autoritären Regimen überliefert wird): Rädelsführer isolieren, einzeln ins Gebet nehmen und ihnen vermeintliche Konsequenzen der Standhaftigkeit vor Augen führen. Sie gefährdeten das »Gemeinwohl«, wollten das Land »ins Elend« führen und sollten sich ihrer »staatspolitischen Verantwortung« bewusst sein. »Staatspolitisch« daran warist vor allem das nachvollziebaredurchschaubare Interesse am Machterhalt von Schwarz-Rot.
Die Rebellen kapitulieren
Wem das Gemeinwohl egal warist, dem warist womöglich das eigene Wohl weniger egal. Eben die Drohung mit dem Listenplatz. Die ist heute noch viel gefährlicher als zu Kauders Zeiten. Denn nach der Wahlrechtsreform der Ampel richtet sich die Sitzverteilung im Bundestag nur noch nach dem Zweitstimmenergebnis, also nach dem Listenplatz. Ein Direktmandat ist nicht mehr unbedingt die Gewähr dafür, ins Parlament zu kommen. Das mehrt die Macht der Hinterzimmer in den Parteien in den Ländern, die die Listenplätze verteilen. Dass Spahn sich rausredete – »ich drohe nicht«, »so habe ich das nicht gesagt« – ist geschenkt. Natürlich würdeird er nicht sagen, er werde dafür sorgen, dass der junge Abgeordnete seinen Listenplatz verlieren werde. Es reicht die Andeutung, »Sie sollten darüber nachdenken, welche persönlichen Konsequenzen Ihr Abstimmungsverhalten haben könnte.«
Als am Freitagmittag das Abstimmungsergebnis bekannt wurde, war klar: Viele Rebellen hatten am Ende kapituliert und ihren Eigensinn suspendiert.
Als Bürger habe ich ein mulmiges Gefühl. So habe ich mir Demokratie nicht vorgestellt. Die geht jetzt offenbar so: Da gibt es einen Koalitionsvertrag. Dort finden sich Kompromisse, die sachfremde Themen zu Paketen zusammenschnüren. Also zum Beispiel, die junge Generation bei der Rente schröpfen, die Industrie beim Strompreis entlasten und das Verbrennerverbot lockern. Daraus fertigt die Koalition Konsensgesetzestexte, die das Parlament abzusegnen hat. Sollten Parlamentarier – eigentlich nur ihrem Gewissen verpflichtet – Bauchschmerzen bekommen, greift die Methode Kauder/Spahn. Sollte das Volk Bauchschmerzen bekommen, wird es von den Herrschenden auf die nächste Bundestagswahl vertröstet.Der Abgeordnete, also eigentlich der Gesetzgeber, hat wenig zu sagen, das Volk noch weniger. Die Bielefelder Juraprofessorin Gertrude Lübbe-Wolff, eine ehemalige Verfassungsrichterin, hat dafür den Begriff »Demophobie« geprägt. Die Politik hat Angst vor den Bürgern. Und die Regierung hat Angst vor dem Parlament. Wäre es nicht die »staatspolitische Verantwortung« des Parlaments, schlechten Gesetzen die Zustimmung zu versagen?
Der Vorteil der direkten Demokratie
Lübbe-Wolff, eine liberale Intellektuelle, hat vor knapp zwei Jahren ein Büchlein geschrieben, das genau diesen Titel trägt: Demophobie. Der Essay hat größere Aufmerksamkeit verdient. Er ist ein Plädoyer für die Einführung von Elementen direkter Demokratie. Die Autorin sammelt wenig schmeichelhafte Vorbehalte der Politik gegenüber dem Volk. Die heißen zum Beispiel »Für Sachentscheidungen ist das Volk zu dumm.« Oder: »Vor allem in Finanzfragen ist dem Volk nicht zu trauen.« Oder: »Direkte Demokratie ist unsozial.«
Lübbe-Wolff durschaut die Vorbehalte als Weigerung der politischen Eliten, Macht abzugeben, widerlegt sie und macht zugleich die Stärken der direkten Demokratie deutlich: Diese wäre ein Instrument zur Versachlichung politischer Debatten und zur Begrenzung der Macht von Parteien (und Fraktionsvorsitzenden). Direkte Demokratie wäre eine Chance, die festgeschnürten Politikpakete aufzuschnüren, die Koalitionen anbieten – so wie man im Supermarkt auch nicht nur fertige Geschenkkörbe kaufen kann. Zumal es zweifelhaft ist, ob, was Politiker als Geschenk ausgeben, aus Sicht der Bürger nicht eher ein Danaer-Geschenk ist. Die Politiker würden dann auch besser darauf hören, was die Bürger wollen, weil sie damit rechnen müssen, dass ihre Politik durchkreuzt wird, wenn sie am Bürgerwillen vorbeiregieren. Die repräsentativdemokratische Politik, die Lübbe-Wolff nicht abschaffen will, würde durch direktdemokratische Macht des Volkes »responsiver«. Kein schlechtes Ziel in Zeiten, in denen sich das Volk immer mehr von der Politik abwendet.Machen wir es konkret, sStellten wir uns vor, die Bürger könnten über das schwarz-rote Rentenpaket direkt abstimmen. Die Umfragen sind widersprüchlich. Einerseits findet eine Mehrheit eine »Haltelinie« des Rentenniveaus gut, andererseits fürchtet eine Mehrheit, die Rente werde bald nicht mehr bezahlbar sein. In einer Volksabstimmung kommt alles auf das Design der Frage an. Den Bürgern müsste gesagt werden, dass Renten nicht schrumpfen, wenn sie weniger stark steigen als die Löhne. Und welche finanziellen Folgen das Rentenpaket für alle hat – auch für die Rentner, die über höhere Steuern auch ihre eigene Rente mitfinanzieren müssen. Ich wage die Prognose, das schwarz-rote Paket erhielte beim Volk keine Mehrheit. Ich kann mich täuschen. Genau dafür gibt es die direkte Demokratie.
Rainer Hank
