Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen21. April 2022
Es braucht ein Gas-EmbargoSonst wird das nichts mit dem Wirtschaftskrieg
»Monday-Morning-Quarterback« nennen sie in Amerika die Kommentatoren der Sonntags-Footballspiele, die immer schon gewusst haben wollen, wie man das Spiel hätte gewinnen können. Dummerweise sagen sie das aber erst hinterher.
Von solchen späten Besserwissern fühle ich mich gerade umzingelt, wenn es um die Globalisierung und deren vermeintliche Naivität geht. Heute räche sich der Fehler einer zu engen wechselseitigen Verflechtung der Weltwirtschaft, so hören wir. Die Angewiesenheit der Deutschen auf russisches Gas und Öl verhindere ein wirkungsvolles Embargo gegen den Diktator Putin. Die internationale Arbeitsteilung der Lieferketten habe sich schon in der Corona-Krise als äußerst fragil erwiesen. Erst fehlen die Chips, seit Kriegsausbruch fehlen der deutschen Autoindustrie die Kabelbäume, weil die in der Ukraine hergestellt werden. Ökonomische Abhängigkeit – ein Irrweg?
Die Besserwisser sagen: Haben die Globalisierer gar nicht gemerkt, wie »vulnerabel« wir geworden sind? Schluss damit: Das neue Paradigma heißt »Slowbalization«, Verlangsamung des Welthandels. Die dazu passenden Modebegriffe lauten Resilienz und Autarkie. Der Preis dafür wäre hoch – ein Rückfall der Zivilisation und ein Verlust von Wohlstand. Einigeln im eigenen Heim – die Hafermilch liefert der Bauer um die Ecke. Vielleicht finden wir bald auch einen heimischen Bohnenkaffee-Ersatz: Kathreiners Malzkaffee mussten wir in den fünfziger Jahren trinken.
Nein, so doof wie sie heute dastehen, waren die Freunde der Globalisierung nie. Sehenden Auges wurde die weltweite Verflechtung der Wirtschaft vorangetrieben. Dafür gibt es ein starkes ökonomisches und ein ebenso starkes politisches Argument. Die Theorie der komparativen Vorteile weiß, dass in der internationalen Arbeitsteilung jedes Land sich auf das konzentrieren soll, was es relativ am besten kann – und dass davon wirtschaftlich alle profitieren. Politisch galt diese arrangierte Interdependenz als Friedensprojekt (»Wandel durch Handel«): Staaten, die miteinander Handel treiben, würden nicht aufeinander schießen, Warum sollten sie einander die Voraussetzungen ihres Wohlstands zerbomben? Wirtschaftliche Freiheit würde politische Freiheit nach sich ziehen, eine Fortschrittsentwicklung zum Nutzen aller. Aus globalen Kapitalisten würden am Ende gute Demokraten.
Die ökonomische Hoffnung hat sich empirisch bewahrheitet: Von der Globalisierung profitierten die deutschen und amerikanischen Automobilhersteller und die Armen in China und Indien. Die politische Hoffnung freilich ist gescheitert: Wachsender Wohlstand führte nicht zu mehr Demokratien, sondern hat die Autokraten und »illiberalen« Demokraten in aller Welt politisch stabilisiert und nicht geschwächt: das gilt für China, aber auch für Russland, wo freilich Korruption und schwache Institutionen das Wachstum immer schon bremsten. Putins imperialistischer Krieg nimmt den schlimmsten wirtschaftlichen Niedergang des Landes und die Verarmung der Bürger in Kauf: Dem Exodus der ausländischen Investoren und dem Abzug der zugehörigen Technologie folgt der Braindrain von Humankapital. Wir hatten dem Imperator mehr egoistische Rationalität unterstellt. Das war der Fehler des Westens.
Solidarität, die nichts kostet
Nun hat allerdings selbst heute die wirtschaftliche Abhängigkeit nicht nur negative Folgen: Der Westen kann auf die militärische Aggression und Barbarei Putins (auch) mit einem Wirtschaftskrieg reagieren und muss nicht die militärische Eskalation riskieren. Das wäre in Zeiten des kalten Krieges allein deshalb keine Option gewesen, weil die Sowjetunion kaum in die Weltwirtschaft eingebunden also auch nicht verwundbar war. Heute ist das anders: Sanktionen wirken, westliche Unternehmen ziehen sich zurück.
Man muss den Wirtschaftskrieg aber auch wollen. Mehr und mehr drängt sich der Verdacht auf, dass das ganze Solidaritäts-Gesäusel, das wir gerade von deutschen Politikern hören, nicht aufrichtig ist, so lange wir mehr mit uns selbst mitfühlen als mit den vom Krieg gequälten und getöteten Ukrainern.Niemand kann im Vorhinein Nutzen und Risiken eines Öl- und Gas-Embargos fehlerfrei saldieren. Bei deutschen Politikern merkt man freilich die Absicht und ist verstimmt: Ganz weit vorne steht ihre Angst vor murrenden Autofahrern an der Tankstelle (und die Furcht vor der Quittung dafür bei den anstehenden Landtagswahlen). Liebevoll führen wir Debatten, ob wir den deutschen Porschefahrern oder nur der Rewe-Kassiererin mit einem Rabatt auf den Spritpreis unter die Arme greifen dürfen. Wenn es um Gerechtigkeit geht, biegen wir stets in die Verteilungsstraße ein. Für die Ukraine haben wir Solidaritätsbekenntnisse auf den Lippen, die nichts kosten – einmal abgesehen von der Spenden- und Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme der Flüchtlinge.
Hätte ein Öl- und Gas-Embargo Wirkung? Und würden wir so etwas verkraften? Dazu gibt es inzwischen von Ökonomen viel Kluges und verständlicherweise auch Widersprüchliches zu lesen. Zur Wirkung eines Embargos auf Putin halte ich mich an den russischen Ökonomen Sergei Guriev, einen in Paris lehrenden Wissenschaftler (man sollte das auf Youtube in den Webinaren von Markus Brunnermeier nachhören). Guriev lässt keinen Zweifel: Die Öl- und Gaserlöse (einerlei, ob in Dollar, Euro oder Rubel bezahlt) benötigt Putin, um Importe zu finanzieren, die russischen Staatsschulden zu bedienen und seinen Haushalt zu stabilisieren. Ein möglichst umfassender Öl- und Gas-Boykott triebe das Land in den Staatsbankrott. Es wäre der schnellste Weg, Putins Krieg zu stoppen, sagt Guriev.
Und die Kosten des Embargos hierzulande? Die Ausgabe deutscher Privathaushalte für Öl und Sprit lagen in den vergangenen Jahren historisch niedrig. Als der Liter Diesel im Jahr 2020 weniger als einen Euro kostete, gab es keine Gerechtigkeitsdebatte – dafür einen neuen Höchststand der Sparquote: Ein Teil dieser Ersparnisse ließe sich jetzt in einen echten Solidaritätsbeitrag eines Ölembargos umwidmen. Und die deutsche Wirtschaft? Die hat schon andere Rezessionen verkraftet. Moritz Schularick, ein Bonner Ökonom, bemerkt bissig: Die gleichen Unternehmen, die uns in der Vergangenheit erzählt haben, die Energieabhängigkeit von Russland sei kein Problem, sagen jetzt, wir können uns so schnell nicht von russischen Energielieferungen lösen.
Ich will es nicht kleinreden: Stagnation und Inflation wären nicht schön; keiner weiß, wie lange es dauert. Aber der Vergleich mit der Zeitenwende der Ölkrise 1973 ist Unfug: Damals war die Abhängigkeit von Öl und Gas viel größer. Und die Energiepreise waren relativ höher als heute. Der Weltuntergang findet nicht in Deutschland statt. Viel eher findet er derzeit in Mariupol oder Kiew statt. Das muss verhindert werden.
Rainer Hank