Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. Februar 2024
Ein Lob der WitweGeld, Macht und die Karriere der Frauen
Würde man nach der am meisten unterschätzten Stadt Deutschlands fragen, Augsburg wäre eine Kandidatin. Würde man nach den am meisten unterschätzten Unternehmern fragen, die Witwen wäre gute Kandidatinnen. Beides hängt miteinander zusammen.
Die Vermutung über Augsburg und die Witwen verdanke ich Jochen Sander. Der Mann ist stellvertretender Direktor des Frankfurter Städel-Museums. Derzeit ist dort von ihm kuratiert eine grandiose Ausstellung zu sehen über Augsburg, die Fugger und die Künstler dieser Stadt, allen voran Jakob Holbein der Ältere. Die Ausstellung gibt es dort noch bis zum 18. Februar. Vom 19. März an ist sie dann im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen. Es lohnt sich.
Im 14. und 15. Jahrhundert ist Europa im Umbruch. Die Städte Oberitaliens – Padua, Bologna, Venedig und Florenz – entwickeln sich zu Zentren des frühen Kapitalismus. Familien gründen Banken – die Medici zum Beispiel – stellen für Fürsten und Unternehmer Kredite zur Verfügung. Und setzen sich weitsichtig über das biblische Verbot hinweg, Zins für geliehenes Geld zu verlangen. Die zu Reichtum gekommenen Fürstenhäuser schmücken sich mit zeitgenössischen Künstlern.
Auch nördlich der Alpen gab es die Idee der Renaissance. Augsburg wird zur Stadt der Macht, des Geldes und der Künste. Die Städel-Ausstellung bezeichnet Augsburg als Zentrum der »Renaissance im Norden« und des großen Geldes – eine Art Wallstreet der frühen Neuzeit. Im Vergleich mit Augsburg in der damaligen Zeit muss München eine provinzielle Residenzstadt gewesen sein. Denn die Stadt am Lech war vor allem Sitz eines global agierenden Familienunternehmens – der Fugger. Der notorisch hoch verschuldete Kaiser Maximilian I (1459 bis 1519) ist häufig in der Stadt: Man muss sich mit seinen Bankern gut stellen.
Die Dynastie der Fugger
Die Fugger waren nicht von Anfang eine Dynastie der Bankiers. Noch auf dem Höhepunkt ihres Reichtums und Ansehens machten sie kein Hehl daraus, dass sie von einem Weber abstammten, der 1367 nach Augsburg gekommen war. Dieser Hans Fugger (circa 1350 bis 1408), der Stammvater, war kein armer Mann: Seine erste Zahlung, die das Augsburger Steuerbuch verzeichnet, lässt auf ein ordentliches Startkapital schließen, und durch zwei vorteilhafte Ehen konnte er dieses Vermögen mehren. So lese ich es bei Mark Häberlein, einem Geschichtsprofessor in Bamberg, der ein Standardwerk über die Fugger verfasst hat. Bald verfügten Hans Fuggers Söhne Andreas und Jakob über das fünftgrößte Vermögen der Reichsstadt. Jakob Fugger »der Ältere« begründete eine eigene Handelsgesellschaft, aus der sich in großer Geschwindigkeit ein Rohstoff- und Finanzkonzern entwickeln sollte: Kupferhandel und Kredite an das Haus Habsburg waren die beiden Säulen des Unternehmens.
Womit wir bei den Witwen angekommen wären. Denn Jakob Fugger verstirbt bereits 1469. Seine Witwe Barbara, geborene Bäsinger, überlebt ihn um 28 Jahren – und in diesen Jahren führt sie sozusagen als Vorstandsvorsitzende den Fugger-Konzern in alleiniger Regie. Sie behält auch noch die Kontrolle über das Familienvermögen, als ihre Söhne längst erwachsen waren. Und sie war außerordentlich erfolgreich: Den Besitz der Familie hat sie nicht nur »wol beyeinander gehalten«, wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt, sondern ihn beträchtlich gemehrt: Lag das Vermögen der Firma beim Tod des Mannes bei 15.000 Gulden, so konnte sie nach 1497, ihrem Todesjahr, 23.292 Gulden den Erben hinterlassen.
Wer war diese Barbara Bäsinger? Quellenmäßig ist die Frau schwer zu fassen. Ihr geschäftlicher Erfolg bildet sich fast ausschließlich in steigenden Vermögenssteuerzahlungen in den Augsburger Steuerbüchern ab; andere Quellen sind rar. Da ihr Sohn Jakob Fugger »der Reiche« bestrebt war, Frauen aus der Handelsgesellschaft auszuschließen, hatte er auch kein Interesse daran, das Gedächtnis einer tüchtigen Geschäftsfrau in der Familie zu bewahren. Ab dem 16. Jahrhundert wurden Frauen aus der Leitung der Handelsgesellschaft kategorisch ausgeschlossen. Die – männliche – Fugger-Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhundert tat ein Übriges, die Unternehmerinnen im Hause der Fuggerfamilie zu ignorieren.
Die geschäftstüchmtige Barbara Bäsinger
Einiges immerhin ist über Barbara Bäsinger bekannt. Ihr Leben wurde von der Historikerin Martha Schad (»Die Frauen des Hauses Fugger«) erforscht. Barbara Bäsinger war die Tochter des einflussreichen Goldschmieds und Münzmeisters Franz Bäsinger. »Ganz Tochter ihres geschäftstüchtigen Vaters« handelte sie mit Wolle, Baumwolle, Seide und Südfürchten. Sie mehrte ihren Grundbesitz und schützte das Vermögen gegen Erbaufteilung. Ihr gesellschaftliches Ansehen zeigt sich daran, dass sie einen Kirchenstuhl erwerben durfte. Sie ist ein Beispiel für den sozialen Aufstieg einer Webersfrau zur Kaufmannsfrau, einer selbständigen Geschäftsfrau in der Reichsstadt Augsburg.
Bäsinger war nicht die einzige tüchtige Witwe der Fugger. Frauen traten damals aus der Vormundschaft ihrer Männer heraus und verdienten sich ihr Leben in der Stadt in vielen Berufen. Sie hatten selbstverständlich einen Platz in den Zünften. Sie konnten finanzielle Verpflichtungen eingehen und gerichtlich Zeugnis ablegen. Abschlüsse von Kauffrauen waren unbeschränkt verbindlich, die Frauen waren schuldens- und konkursfähig. Wittfrauen, scheibt Martha Schad, waren »freier als jede andere Frau der mittelalterlichen Gesellschaft und hatten ihre volle Eigenverantwortlichkeit«. Einen speziellen Witwenstand, der wie noch im Mittelalter Keuschheit vorschrieb, gab es im 15. Jahrhundert nicht mehr. Der »Lohn der Witwe« sei höher als der einer Ehefrau, heißt es in einer Quelle, »wo doch der Witwenstand soviel besser und bequemer erscheint als das Leben einer Verheiraten«.
Ob Barbara Bäsinger solch eine lustige Witwe war, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass sie nie wieder geheiratet hat. An potenziellen neuen Lebenspartnern habe es nicht gefehlt, heißt es. Doch schon allein aus Geschäftsinteresse habe sie wohl eine weitere Ehe abgelehnt. So konnte sie ihr Vermögen für ihre Kinder erhalten und ihnen durch eine geschickte Heiratspolitik zu weiterem Aufstieg verhelfen.
Merke: Erfolgreiche Karrieren von Frauen gibt es nicht erst seit dem emanzipierten 20. Jahrhundert. Dass wir so wenig über sie wissen, haben die Männer zu verantworten; sie haben diese Erfolgsgeschichten unterdrückt.
Barbara Bäsinger gebührt ein Ehrenplatz in der Reihe der erfolgreich wirtschaftenden Witwen, in deren weiteren Verlauf wir etwa im 19. Jahrhundert auf die Witwe Barbe-Nicole Ponsardin (»Veuve Cliquot«), die Erfinderin des Champagners, treffen. Heute fallen einem die beiden Verlegerwitwen Friede Springer und Liz Mohn (»Bertelsmann«) ein. Oder Maria-Elisabeth Schaeffler, Chefin des gleichnamigen Automobilzulieferers.
Rainer Hank