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  • 28. April 2021
    Ein Freund, ein guter Freund

    Bernard (»Bernie«) Madoff Foto Wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Bernie Madoff: Warum vertrauen kluge Leute einem Betrüger?

    Es war am 11. Dezember 2008. Da erhielt die in New York lebende Künstlerin und Journalistin Alexandra Penney einen Anruf von ihrer besten Freundin. »Ich hoffe, es ist nur ein Gerücht«, so die Freundin: »Ich habe gerade gehört, man habe Bernie Madoff ins Gefängnis gesteckt«. In diesem Moment klingelte ihr anderes Telefon, an dem sich der Sohn meldet: »Setz Dich hin, Mama: Madoff ist ein Betrüger.«
    Bernard (»Bernie«) Madoff wurde zu einer Haftstrafe von 150 Jahren verurteilt. Um 65 Milliarden Dollar soll der Mann seine Kunden gebracht haben. Viel Geld, das gar nicht da war. Es ist einer der ungeheuerlichsten, wenn nicht der größte Finanzskandal in der Wirtschaftsgeschichte. Im Vergleich mit Madoff sind die Gauner bei Wirecard blutige Anfänger, allenfalls Lehrlinge. Madoffs Trick ging einfach, es ist das gute alte Ponzi-Schema, zu Deutsch »Schneeballsystem«. Mit dem Geld seiner Neukunden hat der Gauner den Altkunden die versprochene Rendite ausgezahlt. Das geht so lange gut, wie mehr Geld hereinkommt als raus muss. Als im Zuge der Finanzkrise 2008 viele Anleger ihre Einlagen zurückhaben wollten, zeigte sich, dass der Kaiser nackt war. Nach zwölf Jahren Haft ist Madoff jetzt im Alter von 82 Jahren gestorben.

    Alexandra Penney, die Künstlerin und Journalistin, hatte Madoff ihr gesamtes Vermögen anvertraut. Wie hoch die Summe war, hat sie auf Rat ihres Anwalts nie verraten. Ihren Durchbruch hatte die Frau 1981 mit dem Titel »Wie man mit einem Mann Liebe macht« (»How to make love to a man«). Das Buch stand über ein Jahr lang auf der Bestenliste der New York Times. Danach gesellte sich ein Erfolg zum anderen, was es Penney schließlich erlaubte, das Schreiben für Geld dranzugeben und sich gänzlich ihrer Kunst zu widmen. Als Madoff kollabierte gehörten ihr ein Atelier im coolen New Yorker Viertel Soho und ein Appartement – »bescheiden«, wie sie sagt – auf Long Island am Atlantik. Dazu noch ein Cottage in West Palm Beach.

    Dass wir das alles wissen, liegt daran, dass Alexandra Penney – nicht zuletzt, weil sie jetzt Geld brauchte – auf Tina Browns Portal »The Daily Beast« eine Artikelserie über ihre Gefühle nach dem Zusammenbruch Madoffs schrieb. Es ist unter dem Titel »The Bag Lady Papers« als Buch veröffentlicht: »Die Papiere der Stadtstreicherin«. Was Penney erlebte, nennt sie eine »emotionale Hölle«. Sie ist gezwungen, ihre Immobilien zu verkaufen, nimmt sich eine einfache Wohnung – und fährt zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Subway. Es gibt Schlimmeres, würden Leute sagen, die es nicht auf die Sonnenseite des Lebens verschlagen hat. Doch Absturz bleibt Absturz, die Wucht des Aufschlags wird von der Fallhöhe bestimmt. Soziologen nennen das den »sozialen Tod«: Zum Verlust des Vermögens kommt bei Alexandra Penney gesellschaftliche Ächtung und Scham.

    Nicht alle Eier in einen Korb

    Über Madoff und seine Psyche ist viel geschrieben worden. Mich interessieren seine Kunden. Warum haben unzählige reiche und kluge Menschen, die in Finanzfragen gebildet sind, ihr Vermögen komplett seinem Fonds überlassen, wo doch jedes Kind weiß, dass man nicht »alle Eier in einen Korb« legt? Warum sind sie nicht hellhörig geworden, als Madoff ihnen nicht einmal verraten wollte, wie er ihr Geld verwaltet. Wer gibt schon einem Vermögensverwalter sein Geld, der Intransparenz zu seinem Geschäftsmodell erklärt? Wiederholte Warnungen eines Whistleblowers stießen bei der Finanzaufsicht SEC auf taube Ohren. Warum?

    Alexandra Penney erzählt, es sei ein »guter Freund« gewesen, der ihr geraten habe, ihr Geld bei Madoff anzulegen. Das Vertrauen dem Freund gegenüber reichte offenbar aus, ungeprüft alles auf eine Karte zu setzen. Ein bisschen Gier wird dazu gekommen sein: Das Versprechen, Jahr für Jahr zehn Prozent zu bekommen und dies mit »sicheren« Anlagen, das wirkt. Dass daran etwas nicht stimmen kann, wird verdrängt. Irgendwann war Penney dann gefangen: Sechs Prozent Schuldzinsen für ihre Immobilienkredite konnten mit Madoffs zehn Prozent Habenzinsen bequem finanziert werden – so lange eben, bis das Kartenhaus zusammenbrach.

    Elie Wiesel, ein berühmter Schriftsteller, der Auschwitz überlebt hat, investierte nicht nur das ganze Kapital seiner wohltätigen Stiftung bei Madoff, sondern zusätzlich sein gesamtes Privatvermögen. Auch Wiesel nennt einen »alten Freund« als Gewährsmann, »ein reicher Mann, nicht aus der Finanzindustrie«, der ihm den Tipp mit Madoff gegeben habe. Der Freund habe am Ende ebenfalls 50 Millionen Euro verloren. Wiesel sagt, er habe sich die Leute angesehen, die bei Madoff investiert waren und festgesellt: »Es sind die besten Adressen der Wall Street.« Entschuldigend fügt er hinzu, er sei kein Finanzgenie, sondern ein Mann, der Philosophie und Literatur unterrichtet. »Und so passierte es eben.«

    Die Lehre des Elie Wiesel

    Die Schneebälle Madoffs flogen von Freund zu Freund. Man befand sich in den gleichgesinnten professionellen und religiösen Milieus. Mehr als ein Drittel der Mitglieder des »jüdischen Country Clubs« in Palm Beach vertraute Bernie Madoff, dem Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. Madoff selbst passte perfekt in diese Umgebung: jüdisch, erfolgreich, vermögend, charmant, intelligent. Die Verluste waren am Ende exorbitant. Carl Shapiro, der »Baumwollkönig von New York«, soll 545 Millionen Dollar verloren haben. Der Philosoph Michael Walzer sagte damals: »Für uns Juden ist es in Ordnung, Geld zu machen – solange dabei kein Betrug im Spiel ist.« Jetzt waren sie alle zu Opfern eines Betrügers geworden und zur Zielscheibe von Judenfeindlichkeit.

    Trau keinem Deiner Freunde, so müsste zumindest eine wichtige Lehre des Madoff-Skandals lauten. Wir sind bereit, unseren Freunden einen Vertrauensvorschuss zu geben und die kritische Überprüfung ihres Rats wenn nicht zu suspendieren, so doch weniger ernst zu nehmen. Ich nenne das die Falle der Loyalität, die in vertrauten Milieus zuschnappt. Wenn der eine Freund sich auf den anderen Freund verlässt, schließt sich rasch ein dritter Freund an. Konformitätskaskaden verleiten zu blindem Vertrauen. Madoff scheint sich diesen Mechanismus zunutze gemacht zu haben. Freunde können in den Ruin führen. Das ist kein Plädoyer gegen Freundschaft. Aber es ist die kontraintuitive Botschaft, dann besonders vorsichtig zu sein, wenn ein Rat von guten Freunden kommt, – die es natürlich stets nur gut meinen.

    In einem Gespräch mit Oprah Winfrey im Jahr 2012, drei Jahre nach dem Ende von Madoff, berichtet Elie Wiesel vom Schock des Vermögensverlustes. Es lohnt sich, das Gespräch bei Youtube zu hören. Er habe seinen Lebensstil ändern müssen, okay, sagt Wiesel: »Wir haben Schlimmeres gesehen.« Madoff habe ihn mit dem »Anderssein des Anderen« (»the otherness oft he other«) konfrontiert, ihm aber nicht den Glauben an die Menschlichkeit genommen. Bei Oprah Winfrey klingt Wiesel versöhnlich. Unter der Wirkung des Schocks drei Jahre zuvor hatte er den Betrüger zu Höllenstrafen verflucht: Madoff solle mindestens fünf Jahre seines Lebens in einer Einzelzelle sitzen, in der es nichts außer einem großen Bildschirm gebe. Darauf muss sich der Betrüger Tag und Nacht die Fotos seiner vielen Opfer ansehen und sagen: »Schau, was Du dieser alten Lady angetan hast. Schau, was Du diesem Kind getan hast.«

    Rainer Hank