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Ein altmodischer LiberalerWas der Ökonom Moritz Julius Bonn uns zu sagen hat
Wie wird man ein Liberaler, ein Sozialist oder ein Konservativer? Bei den wenigsten passiert so etwas anlässlich der vergleichenden Lektüre von – sagen wir – Adam Smith, Karl Marx oder Edmund Burke. In der Regel sind es zufällige biographische Erfahrungen, die lebenslang die eigenen Werte prägen.
Eine schöne Geschichte erzählt Moritz Julius Bonn. Geboren 1873 in Frankfurt in einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie berichtet er in seiner Autobiografie von einer sorgenfreien und an intellektuellen Anregungen reichen Kindheit und Jugend. Die Familie der Mutter stammte aus Hohenems in Vorarlberg, einer alten jüdischen Gemeinde. In St. Gallen unterhielt das Bankhaus der Großeltern eine Filiale. Die Reisen dorthin, so erinnert sich der Enkel, waren ziemlich unbequem. Sie führten über Stuttgart, Ulm und den Bodensee und dauerten fast einen Tag oder eine volle Nacht. Von Friedrichshafen ging es nach Bregenz, wo man den österreichischen Zoll passieren musste. In Österreich standen damals die Zölle auf Zucker, Kaffee und ähnliche Dinge sehr hoch. Es sei aber gang und gäbe gewesen, ein bisschen Zucker, Kaffee oder Stickereien aus der Schweiz zu schmuggeln, so erzählt Bonn: »Bei den vielen Unterröcken, die die Damenwelt trug, war es immer möglich, eine Extragarnitur einzuschalten, ohne dadurch aufzufallen.« Das hört sich für einen kleinen Jungen nach aufregender Schmugglerromantik an, zugleich habe man in seiner Familie immer eine »zollfeindliche Luft« geatmet, so Bonn, weshalb er sich nie ganz klar darüber geworden sei, »ob meine Einstellung zum Freihandel von dorther rührte oder aus den Lehrbüchern der klassischen Nationalökonomie«.
Moritz Julius Bonn wurde ein großer liberalen Liberaler und kosmopolitischer Intellektueller, der sich als Wanderer zwischen den Welten stets auch in die Politik eingemischt hat – vor allem während der Jahre von Weimar. Allzu viele Lichtgestalten dieses Typs gibt es in Deutschland nicht. Umso erstaunlicher, dass er heute nahezu unbekannt ist. Im Rhein-Main-Gebiet kennt man die Villa Bonn in Kronberg, die auf den Großvater zurückgeht. In Frankfurt gibt es in der Siesmayerstraße am Palmengarten ebenfalls eine Villa Bonn, die dem hiesigen Bürgertum natürlich gut vertraut ist, das beim Namen Bonn aber an die ehemalige Bundeshauptstadt und nicht an die jüdische Familie denkt, die seit dem Stammvater Aaron Jacob Bonn vierhundert Jahre in Frankfurt zuhause war – und deren letzter Nachkomme 1939 gezwungen war, die Stadt zu verlassen. Der 150. Geburtstag Moritz Julius Bonns am 26. Juni mag mir Anlass sein, heute an diesen großen Liberalen zu erinnern.
Ein Liberaler ist kein Lobbyist
Bonn studierte Wirtschaftswissenschaften – Nationalökonomie, wie das damals hieß – bei Lujo Brentano in München, der dort ein Star war; auch Theodor Heuss hatte bei Brentano studiert. Max Weber hielt Bonn für den »weitaus geistvollsten« und »entschieden intelligentesten« unter den Schülern Brentanos. Brentano war es auch, der Bonn ein Jahr nach Wien zu Carl Menger schickte, dem Kopf der sogenannten Grenznutzenschule der Ökonomie. Gewappnet mit diesem intellektuellen Rüstzeug ließ sich Bonn zeitlebens weder von den Sozialisten und erst recht nicht von den Kapitalisten etwas vormachen: Er stritt für Freihandel, attackierte die Kartelle, geißelte jedweden wirtschaftspolitischen Interventionismus und Subventionismus und warnte vor den Schäden korporatistischer Macht. So gesehen taugt Moritz Julius Bonn als Widerlegung des bis heute gängigen Vorwurfs, der Wirtschaftsliberalismus sei eine Art intellektueller Lobbyorganisation für die Unternehmer. Nein, der Liberaler streitet »pro Markt« nicht »pro Business«. Über die hierzulande im Unterschied zu den USA gängige Missachtung des Kunden »als beinahe unwillkommenen Störer« der Wirtschaft, konnte Bonn sich gewaltig ärgern.
Einen »ordentlichen« ökonomischen Lehrstuhl war dem Juden Bonn verwehrt, als außerordentlicher Professor wurde er Direktor der Handelshochschule in München, später dann Rektor an der Berliner Handelshochschule, die er 1933 verlassen musste, um während der Nazijahre in England und USA zu leben und zu lehren. Carl Schmitt, der schillernde Kronjurist Hitlers, war in Berlin Bonns Kollege. Wenige Wochen vor der Machtergreifung hatte Schmitt einen Ruf nach Köln angenommen, wegen unterschiedlicher politischer Ansichten mit Moritz Julius Bonn, wie er sagte. Das sei doch kein Grund, erwiderte Bonn: »Sie wissen, ich bin ein altmodischer Liberaler. Ich verbrenne keine Ketzer, ich überlasse sie den Qualen ihres schlechten Gewissens.« Ähnlich subtil vernichtend äußerte sich Bonn in seinen Memoiren über den berühmten Kollegen Werner Sombart, der sich ebenfalls den Nazis angebiedert hatte: »Gleich Schmitt war Sombart bereit, seine jüdischen Freunde mit Haut und Haaren aufzufressen, obgleich er ihnen sehr zu Dank verpflichtet war; er wollte aber unter allen Umständen eine Primadonna bleiben.«
Bonn statt Naumann
Moritz Julius Bonn gehörte wie Friedrich Naumann zu den Mitgründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei nach dem ersten Weltkrieg. Die FDP hätte nach dem Zweiten Weltkrieg besser daran getan, sich Bonn statt Naumann zum Ahnherrn und Vorbild zu nehmen (etwa für ihre Stiftung). Naumann, »die Leiche im Keller der FDP« (Götz Aly), propagierte einen »liberalen Imperialismus«, denn es sei »der Trieb des deutschen Volkes, seinen Einfluss auf die Erdkugel auszudehnen«. Solche Sätze wären Bonn nie in den Sinn und in die Feder gekommen. 1906 verbrachte er zusammen mit seiner englischen Frau eine Art Sabbatical-Jahr in Britisch-Südafrika und Deutsch-Südwestafrika. Bonn war entsetzt über die Massaker der Deutschen an den Hereros, schüttelte sich angesichts des Herrenmenschentums der dort siedelnden Junker aus dem hintersten Pommern (»kleinbürgerliche Spießer der Barmer Mission«) und schloss fast schon im Duktus des heutigen Postkolonialismus: »Ich war mit der festen Überzeugung zurückgekommen, dass Afrika das Land des schwarzen Mannes sei«. Später prägte Bonn den Begriff der »Dekolonisierung«.
Moritz Julius Bonn hätte zum 150. Geburtstag eine breite Rezeption nicht nur unter Liberalen verdient. Der Ideenhistoriker Jens Hacke hat in den vergangenen Jahren mit viel Elan dafür gesorgt, dass wichtige Schriften Bonns wieder leicht greifbar sind. Bonns Vorstellung eines »Demokratischen Kapitalismus«, sein Einsatz für die zwar fragile, aber notwendige Zusammengehörigkeit von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft taugt auch heute als liberale Leitidee in Zeiten populistischer gesellschaftlicher Zerrissenheit. Bonns Autobiografie, die Hacke jetzt zum Geburtstag bei der Europäischen Verlagsanstalt mit einem Nachwort versehen wieder zugänglich gemacht hat, ist als Vermächtnis eines jüdischen Intellektuellen zudem ein großes Lesevergnügen.
Rainer Hank