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  • 15. Oktober 2019
    Diktat der Populisten

    Extinction Rebellion

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wir sollten den Klimawandel nicht den Angstmachern überlassen

    »Extinction Rebellion« heißt der neueste Zweig der Protestbewegung gegen den Klimawandel. »Extinction Rebellion«, bedeutet: Aufstand gegen das Aussterben der Gattung. Die Protagonisten rufen zum »massenhaften zivilen Ungehorsam« auf. Mit Kinderwagen und Babytragetüchern an vorderster Protest-Front geht es – quasi in letzter Minute – um die Rettung der Menschheit vor ihrem Untergang. »Mich betrifft es ja nicht mehr, wenn die Welt untergeht«, sagt ein mitdemonstrierender Rentner: »Aber die Sorge für meine Nachkommen mache ich durch Aktivismus wett.«

    Das Ende der Welt ist nahe. Immer stärker ist dieser apokalyptische Ton in den Protesten der Klimaaktivisten zu vernehmen. Das zugrundeliegende Ängstigungs-Schema geht in etwa so: Es ist fünf vor Zwölf. Wenn in diesen letzten fünf Minuten nichts passiert, müssen unsere Kinder erleben, wie die Welt untergeht. Die Erde erwärmt sich, der Meeresspiegel hebt sich. Was danach kommt, erlebt kein Mensch mehr. Die Dramatik der Naherwartung des Untergangs rechtfertigt ungewöhnliche Maßnahmen zu seiner Vermeidung. »Wenn es irgendwann einen grün gefärbten Notstandsstaat geben sollte, dann, weil die Klimakrise so dramatisch geworden ist, dass sie anders nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden kann«, schreibt der Öko-Aktivist Bernd Ulrich: »Die Ökodiktatur verdankte sich dann nicht einem politischen Sieg der Ökologen, sondern deren Niederlagen und dem aggressiven Attentismus ihrer Kritiker, nicht aus ökologischer Ideologie, sondern ökologischen Unterlassungen.« Mit anderen Worten: Das drohende Endspiel der Geschichte rechtfertigt eine Notstandsverfassung, welche die demokratischen Grundrechte außer Kraft setzt (»Diktatur«). Schuld an diesen Maßnahmen tragen nicht etwa die ökologisch motivierten Putschisten, die diese Ermächtigungsgesetze erlassen werden, sondern alle übrigen Menschen bösen Willens, die verhindern, dass die Klimafreunde ihr Rettungsprogramm durchsetzen können.

    Naherwartung setzt den Normalzustand außer Kraft

    Gegen eine deutsche »Notstandsverfassung« sind wir in den sechziger Jahren auf die Straße gegangen, weil wir Sorge hatten, diese könne zum Einfallstor für die Wiederkehr des Faschismus werden. Auch die Kommunisten haben die Notwendigkeit eines Schreckensregimes stets den Anti-Kommunisten in die Schuhe geschoben, die dem Weg zum klassenlosen Paradies Steine in den Weg legen. Als klimafreundliche Ökodiktatur zur Verhinderung des Weltuntergangs findet eine solche Notstandsverfassung heute viele Unterstützer. Das ist nichts anderes als purer Populismus, vorgetragen von Leuten, deren Selbstverständnis ein elitäres, ganz und gar nicht populistisches ist.

    Wir sollten den Klimawandel nicht den Apokalyptikern überlassen. Sie handeln nach dem Motto, der gute Zwecke heilige am Ende die öko-diktatorischen Mittel, die der Gegner leider ihnen aufgezwungen habe. Naherwartung setzt den Normalzustand außer Kraft. Wir sollen unser gesamtes Leben ändern (essen, reisen, wohnen). Wer dazu nicht aus freien Stücken bereit ist, wird gezwungen. Schließlich, wie gesagt, ist es fünf vor zwölf.

    In Wirklichkeit nützen die Apokalyptiker dem Klima nicht, sie schaden ihm. Denn die kritische Frage an alle Weltuntergangspropheten lautet: Was ist, wenn das Ende der Welt nicht eintritt, zumindest nicht zu dem erwarteten Termin? Gewiss, bei den Aktivisten der Naherwartung ist dieser Fall gar nicht vorgesehen, sie glauben ja an den drohenden Weltuntergang. Bloß dass in der bisherigen Geschichte der Menschheit empirisch ihr Ende noch nicht vorgekommen ist. Das Stichwort dafür heißt »Parusie-Verzögerung«, eine Erfahrung des frühen Christentums. Die Jünger Jesu gingen davon aus, dass es nur noch eine kleine Weile dauere, bis der Erlöser wiederkehren werde, die Welt zu richten: »Noch in dieser Generation wird das alles geschehen«, heißt es im Neuen Testament: Mit dem Aufzug wilder Tiere und Monster, mit Feuer, Sturm und Wasser würde das Irdische vergehen. Alles Handeln sollte auf die Wiederkunft Christi ausgerichtet werden. Denn das Normale relativiert sich angesichts des nahenden Endes der Welt.

    Was passiert, wenn der Weltuntergang ausbleibt?

    Nachdem es dann anders gekommen ist, war der Katzenjammer groß. Die einen fielen vom Glauben ab. Die anderen waren resignativ genötigt, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. »Jesus verkündete das Reich Gottes – und gekommen ist die Kirche«, so lautete der bissige Satz des Modernisten-Theologen Alfred Loisy (1857 bis 1940); die Kirche hat ihn dafür exkommuniziert. Das erinnert an einen Sketch des britischen Comedians Peter Cook über »The End of the World«, ein Stück, welches als Durchbruch des satirischen Humors in den frühen sechziger Jahren im Londoner Westend gilt (kann man auf Youtube anhören): Peter hat sich mit einigen Getreuen auf der Spitze eines hohen Berges eigerichtet, weil ihn dies der einzig sichere Ort auf der Welt dünkt, wenn die apokalyptischen Stürme und Überschwemmungen erst einmal losgegangen sein werden. Als sein Freund ihn fragt, wann es denn nun soweit sei, gibt er der Welt gerade noch 30 Sekunden Zeit, in der sich die beiden mutmaßlich einzig Überlebenden darum kümmern, ob sie auch genügend Dosennahrung inklusive – »noch zehn Sekunden!« – einem Dosenöffner bei sich haben. Doch der Weltuntergang lässt auf sich warten, womöglich, wähnt Peter, habe er sich vertan, weil die Apokalypse gar nicht in »Greenwich Mean Time« WEZ vorhergesagt wurde. »Lass uns einfach morgen noch einmal darauf warten – same time«, so endet der Sketch.

    Die Satire zeigt: Apokalyptische Naherwartungen sind eine Spielform des Eskapismus. Die an die Wand gemalten Höllenhunde sollen die Menschen in »Panik« versetzen (Greta Thunberg), alles vorgetragen mit einem Schuss vorweggenommener Vergeblichkeit, um umso stärker Wehklage über die Verstocktheit der Menschheit üben zu können. Ausgespart wird die Frage, was zu tun ist, wenn der Weltuntergang nicht eingetreten sein wird. Angst machen reicht dann nicht mehr.

    Gibt es Wege, das Klima zu retten, die nicht gleich dem Vorwurf des Attentismus verfallen? Ja, die gibt es. Es sind die Mühen der Ebene, die der Philosoph Karl Popper als »Politik der kleinen Schritte« (piecemeal engineering) bezeichnet hat. Seine erste Voraussetzung heißt: Die Welt wird nicht untergehen. Ist angesichts der großen Bedrohung eine Politik der kleinen Schritte nicht zynisch? Nein. Nötig – und vielfach von Ökonomen vorgetragen – wäre vor allem ein institutionelles Arrangement, welches der Preisbildung auf den Märkten vertraut, welche ausgelöst wird durch politische CO2 -Mengenvorgaben. Das wäre eine marktkonforme, also nicht-dikatorische Lösung, ein Emissionshandel mit CO2–Zertifikaten. Er setzt auf Anreize zur Vermeidung von Treibhausgasen und kommt ohne apokalyptische Reiter aus. Neben solchen Anreizen braucht es parallel Maßnahmen der Anpassung der Welt an den unabwendbaren Klimawandel. Dazu gehört zum Beispiel: Dämme bauen oder bessere Klimaanlagen erfinden. Dass die Apokalyptiker solch adaptive Strategien nicht in den Blick bekommen, ist sträflich, aber verständlich: Sie erwarten ja den Untergang der Welt. An den Weltuntergang kann man sich nicht anpassen. Wir sollten aus ökologischen Gründen den Untergangspropheten das Monopol auf die Sorge um unsere Umwelt streitig machen.

    Rainer Hank