Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. September 2023
Die Misere an den SchulenSchlechte Noten für die Bildung
Am 8. Oktober sind in Bayern und Hessen Landtagswahlen. Wovon machen die Menschen es abhängig, welcher Partei sie ihre Stimme geben? Die Gründe und Motive sind vielfältig: Häufig überlagert die Bundes- die Landespolitik. Bayern ist ohnehin ein Sonderfall, weil dort Parteien zur Wahl stehen (die CSU und die Aiwanger-Partei), die in anderen Bundesländern nicht antreten. Und in Hessen ist der amtierende Ministerpräsident für viele Bürger immer noch ein Unbekannter. Zur Nachhilfe: Boris Rhein heißt der Mann von der CDU. Gegen ihn tritt die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an. Die ist zwar bekannter als Rhein, aber das hilft ihr nach Ausweis der aktuellen Umfragen auch nichts.
Ein landespolitisches Thema steht indes in beiden Bundesländern schon fest: Die Schule. Vier von fünf Befragten einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe (5500 erwachsene Deutsche) sagen, die Schul- und Bildungspolitik sei für ihre persönliche Wahlentscheidung eines der wichtigsten Themen. So hat es Ende August der Ifo-Forscher Ludger Wößmann in seinem neuesten Bildungsbarometer berichtet. Das ist rational: Bildung und Schule sind im deutschen Föderalismus Ländersache. Hier hat die Stimme des Wählers einen »Impact«, wie man heute sagt.
Doch es zeigen sich durchaus signifikante regionale Unterschiede. In Bayern geben 42 Prozent der Befragten den Schulen in ihrem Bundesland die Note 1 oder 2, in Nordrhein-Westfalen sind es lediglich 20 Prozent. Auch Baden-Württemberg schneidet erwartungsgemäß recht gut ab: Dort vergeben 31 Prozent die Bestnoten. Hessen indessen, wiewohl seit langem ebenfalls unionsregiert, liegt mit 26 Prozent notenmäßig im Mittelfeld.
Wenn die Schulleistungen bei den Wahlen eine entscheidende Rolle spielen, sähen die Chancen von Markus Söder und seiner Regierung am 8. Oktober nicht schlecht aus, während Boris Rhein in Hessen befürchten muss, für die mediokre Schulpolitik seiner Regierung bestraft zu werden. Ohne dass es beabsichtigt gewesen wäre, zeigt die Ifo-Befragung zudem, dass es durchaus einen Unterschied im Ergebnis macht, in welchem Bundesland die Kinder zur Schule gehen. Und dass der Wettbewerb des Bildungsföderalismus liefert, was er zu liefern verspricht: Gute und schlechte Bildungsländer. Kein Wunder, dass die Bürger in Bayern und Baden-Württemberg daran festhalten wollen, dass Schule und Bildung Ländersache bleiben, während der Rest der Republik mit dem bildungspolitischen Zentralismus liebäugelt. Der Bundestag müsste dann mit Zweidrittelmehrheit beschließen, dass schul- und bildungspolitische Entscheidungen grundsätzlich von der Bundesregierung getroffen werden. Offenkundig hofft die Mehrheit der Deutschen, ein Schulzentralismus könnte wie von Zauberhand die Qualität der Bildung liften. Dageben hegen die Menschen in Süddeutschland wohl die realistische Vermutung, eine Abschaffung des Föderalismus würde auch ihren Spitzenplatz auf ein schlechtes Mittelmaß runter nivellieren.
Leistungsabfall in Mathe und Naturwissenschaften
Aufs Ganze gesehen freilich ist das Schulurteil desaströs. Ifo-Forscher Wößmann und seine Kolleginnen nennen den Zustand »besorgniserregend«. Die Zufriedenheit der Deutschen mit dem Schulsystem ist auf einem Tiefstand. Fast alle Befragten sind der Meinung, dass sich die Schulbildung durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Als ernsthaftes Problem wird der Lehrermangel angesehen, gefolgt von fehlenden finanziellen Mitteln und der allgemeinen Trägheit des Systems. Insbesondere die Leistungen in Deutsch, Mathe und Naturwissenschaften lassen seit dem Jahr 2010/2011 nach, nachdem bis dahin eine deutliche Verbesserung zu verzeichnen war. Hinzu kommen hohe Schulabbruchsquoten, schleppende Digitalisierung und ein Sanierungsstau bei den Schulgebäuden.
Ich gestehe, dass ich nervös werde angesichts des derzeit zu hörenden allgemeinen Gestöhnes, Deutschland sei wieder »der kranke Mann« in Europa (warum eigentlich nur der »Mann«?), verliere seine industrielle Stärke, lebe digitalisierungmäßig in der Steinzeit und ersticke in der Bürokratie. Das scheint mir ein übertriebenes Untergangsnarrativ zu sein, das gut zu dem allgemeinen Klima-Katastrophismus passt.
Allerdings. Bei der Bildung hört der Spaß auf. Bildung entscheidet in einer Wissensökonomie nicht nur kollektiv über den Wohlstand der Nation. Sie entscheidet auch über die individuellen Wahlmöglichkeiten und Freiheitsspielräume, über die Berufsaussichten und das zu erwartende Einkommen. Von daher lässt ein Ergebnis des jüngsten Bildungsberichts der OECD (»Education at a glance«) aufhorchen. Der Anteil der sogenannten NEETs (»Neither in Education, Employment oder Training«), junge Menschen zwischen 25 und 34 Jahren ohne Erwerbstätigkeit oder irgendeine zertifizierte Ausbildung, der ist hierzulande von dreizehn auf sechzehn Prozent gestiegen. In allen anderen OECD-Ländern schrumpft dieser Anteil der so definierten »Ungebildeten«. Der Durchschnitt liegt bei 15 Prozent.
Vielleicht hilft mehr Geld?
Was kann man tun? Geld ist nicht alles, aber zu wenig Geld ist auch nicht gut. 2020 gaben die OECD-Länder im Durchschnitt 5,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Bildung (vom Kindergarten bis zur Universität) aus. Deutschland gönnt sich lediglich vier Prozent, in Israel sind es dagegen sechs Prozent. Es könnte sein, dass der Erfolg der Kreativwirtschaft in Israel zumindest auch ein Erfolg dieses finanziellen Kraftaktes ist.
Zurück in die Niederungen der deutschen Vorwahlprovinz. In Hessen hat gerade ein »Zukunftsrat Wirtschaft« unter Leitung des Frankfurter Finanzwissenschaftlers und ehemaligen Wirtschaftsweisen Volker Wieland einen Bericht vorgelegt mit 200 Handlungsempfehlungen, den ich – zumindest in Teilen – zur Lektüre empfehle. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Schule. Besonders interessant finde ich – neben den erwartbaren Empfehlungen zur raschen IT-Aufrüstung – den Rat, die berufliche Orientierung der Kinder in der Schule stärker zu fördern und sie zum Bestandteil der Kernfächer zu machen. Lehrer sollten dafür in Ferienzeiten in Unternehmen geschult und mit neuen Ausbildungsberufen vertraut gemacht werden. Nur wenn machbare Berufs- und lohnende Karrierewege schon während der Schulzeit sowohl im Unterricht wie auch während verschiedener Praktika in den Blick kommen, besteht Hoffnung, dass sich der Anteil der deutschen NEETs wieder reduziert.
Der konkrete Einblick in den Berufsalltag während der Schulzeit mag übrigens auch der Negativauswahl dienen. Nach mehreren Fabrikschnuppereien in meiner Schul- und Studienzeit war mir klar: Ich will keinen Beruf, bei dem die Arbeit um sieben Uhr beginnt, und es eine gefühlte Ewigkeit dauert nur bis zur Vesperpause um 9 Uhr.
Rainer Hank