Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen21. Februar 2024
Die Hamas-MillionäreEs wäre besser, Hochhäuser statt Tunnel zu bauen
Jüngst gab es wieder eine dieser Diskussionen im Freundeskreis über die Frage, ob die Reaktion Israels auf das Massaker vom 7. Oktober »verhältnismäßig« sei. Wobei alle Anwesenden das Gefühl teilten, dass es sich im Frankfurter Nordend einigermaßen komfortabel debattieren lässt über die Verhältnismäßigkeitskriterien in einem Krieg.
Ein Argument in der Debatte klang eher pragmatisch-utilitaristisch und weniger humanitär-moralisch. Ein derart massiver Schlag Israels, der Zehntausenden Menschen in Gaza das Leben koste, stärke langfristig die Hamas, die dies als Legitimation künftiger Terrorangriffe gegen Israel benutzen werden. Mäßigung wäre insofern nicht nur ein Gebot des Kriegs- und Völkerrechts, sondern auch der Klugheit.Das Argument der Mäßigungsklugheit unterstellt eine Art historischer Zwangsläufigkeit. So als ob der Hamas gar keine andere Wahl bleibe, als abermals mit einem »Rachefeldzug« zu reagieren. Das Argument unterschlägt, dass historische Prozesse nicht alternativlos sind und so tut, als gäbe es einen Determinismus. Im Nachhinein mag das so aussehen, weil es in der Geschichte fürs Kontrafaktische keine Kontrollgruppen gibt.
Machen wir es konkret. Die Hamas ist eine reiche Organisation. Sie braucht viel Geld zur Finanzierung ihres Terrorsystems. Woher kommt das Geld? Der Eindruck, es handele sich vor allem um milde Gaben aus Katar, dieser Eindruck ist falsch oder zumindest grob unvollständig. Die Hamas hat selbst seit Jahren ein riesiges und weit verzweigtes Finanzimperium aufgebaut. Und zwar völlig legal. Anders als man es bei Terroristen vermuten könnte, spielen illegale Geschäfte wie Geldwäsche oder Drogenhandel keine oder eher marginale Rollen. Das ist wenig bekannt. Eine große Geschichte in der New York Times vom Ende Dezember hat mir die Augen geöffnet. Danach ist die Hamas im Besitz einer Art von Staatsfonds, der Hunderte Millionen Dollar weltweit profitabel und ganz legal anlegt. Auf ähnliche Weise finanzieren sich auch die Golfstaaten, Singapur oder Norwegen. Die Firmen der Hamas kontrollieren Bergwerke, Geflügelfarmen und Straßenbaufirmen in Sudan. Sie finanzieren Bürohochhäuser in den Vereinigten Emiraten, engagieren sich bei Projektentwicklern in Algerien und verfügen über nennenswerte Aktienpakete eines börsennotierten Immobilienkonzerns in der Türkei.
Profitable Invevstments einer Terroristentruppe
Noch einmal: das sind alles legale und offenbar auch sehr profitable Investments einer mörderischen Terroristentruppe. Die Existenz dieses Finanzimperiums soll auch schon seit 2018 bekannt sein, schreibt die New York Times – nicht nur dem israelischen Geheimdienst, sondern auch den entsprechenden Diensten der USA. Aber anders als etwa gegen Iran oder Russland gab es keinen Boykott oder wenn doch, dann wurde er weniger als halbherzig verfolgt. Es ist in der Tat leichter, Gas- oder Ölexporte eines Landes zu boykottieren im Vergleich zu Dividendenerträgen oder Kursgewinnen aus der Beteiligung an einem börsennotierten Konglomerat.
Und die Erträge aus diesen Finanzaktivitäten sind mehr als Peanuts. Fachleute schätzen, dass die Hamas jährlich zehn bis fünfzehn Millionen Dollar an den Weltfinanzmärkten erwirtschaften. Geraume Zeit vor dem Massaker haben sie durch den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen 75 Millionen Dollar erlöst. Mit diesem Geld waren sie in der Lage, militärisch aufzurüsten, das verzweigte und sehr ambitionierte Tunnelsystem weiter auszubauen: Geschätzt handelt es sich um 500 Kilometer unterirdischer Gänge in bis zu 20 Metern Tiefe, betongesichert und gut belüftet. Ein Kilometer Tunnel, das sagen Schätzungen, kostet mindestens 500.000 Dollar. Und vor allem versetzt ihr »Staatsfonds« – oder soll man lieber sagen »Terrorfonds« – sie in die Lage, nach dem Krieg die zerstörten militärischen Anlagen wieder aufzubauen und an ihrem Ziel, der vollkommenen Auslöschung Israels, weiterzuarbeiten.
Wäre es so, liefe das Argument ins Leere, Israel provoziere durch den Krieg einen Rachefeldzug der Hamas. Die Schatzmeister der Terrororganisation haben längst schon die langfristige Finanzierung ihres Staatskonzerns zur Vernichtung der Juden gesichert. Um die Finanzierung eines Minimal-Sozialstaats (Schulen, Krankenhäuser) für die arme Bevölkerung in Gaza brauchen sie sich nicht zu kümmern. Diese Aufgaben wurden perfide an die UN delegiert – das Flüchtlingshilfswerk UNRWA; Deutschland trugt allein 2023 daran einen Anteil von 200 Millionen Euro. Die Hamas kann sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, den Terror.
Halten wir fest: Die Hamas hat offenkundig kein Interesse, mit den Erträgen ihrer Beteiligungen den Wohlstand des Landes und seiner Bevölkerung zu mehren. Es verwendet das Geld stattdessen zur Destruktion (verbunden mit den paradiesischen Versprechungen künftiger Belohnung der »Märtyrer«). Die Menschen in Gaza sind, so gesehen, in erster Linie Opfer der Hamas, nicht Opfer einer Unterdrückung oder gar Kolonisierung durch den Zionismus und den postkolonialen Imperialismus des Westens. Und das UNRWA hält den Menschen in Gaza die Illusion einer Rückkehr nach »Palästina« aufrecht.
Dubai hat die friedliche Alternative gewählt
Das führt zurück zu unserer Debatte im Frankfurter Nordend. Dass die Hamas jetzt schon im Besitz finanzieller Ressourcen für den militärischen Wiederaufbau ihres Landes und den Kauf weiterer Waffen ist, sieht eben nur auf den ersten Blick aus wie eine Bestätigung der These von einer Spirale von Gewalt und Vergeltung. Kein historisches Gesetz nötigt die Hamas zu dieser Logik. Dafür ist ein Blick nach Dubai hilfreich. Dort ist es in nur wenigen Jahrzehnten gelungen, aus einem armen Wüstenstaat ein reiches Land zu machen. Das Rezept dafür ist nicht besonders originell. Man kennt es auch aus Singapur oder Hongkong. Es entstammt dem Lehrbuch der liberalen Ökonomie: Offene Handelsgrenzen, Marktwirtschaft, ein mehr oder weniger stabiles Rechtssystem und eine Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit als Vehikel zur Reduzierung der Abhängigkeit vom Öl. Dubai hatte keine besseren wirtschaftlichen Bedingungen als Gaza, womöglich sogar schlechtere – denn Gaza hat einen Zugang zum Mittelmeer. Die Zahlen sprechen für sich. Das Prokopfeinkommen in Dubai liegt bei 45.000 Dollar, das palästinensische Einkommen beträgt nicht einmal 4.000 Dollar pro Kopf.
Hamas hat sich entschieden, nicht dem Vorbild Dubais zu folgen. Lieber wiederholen sie den Weg des Vietkongs im Jahr 1968, wie der Publizist Thomas L. Friedman kürzlich bemerkt hat: Ein auf 200 Kilometern verzweigtes Tunnelsystem diente im Vietnamkrieg als militärische Basis eines mörderischen Krieges. Tunnel statt Hochhäuser? Terror statt Wohlstand? Es ist eine Frage der Wahl, nicht des Schicksals.
Rainer Hank