Rainer Hank als Illustration

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  • 14. April 2020
    Die gute Hirtin Angela

    Die Herde folgt ihrem Hirten Foto: unsplash/Leo foureaux

    Dieser Artikel in der FAZ

    Die Kanzlerin und der deutsche Polizeistaat

    Zanderfilet mit geschmortem Fenchel und Knoblauch-Kartoffelstampf hat Christian Jürgens uns in seiner Kochkolumne jüngst vorgeschlagen. Jürgens ist Chefkoch des legendären Restaurants »Überfahrt« in Rottach-Egern am Tegernsee, auf den Mann ist Verlass. Sein Zander-Rezept eigne sich hervorragend für große Gruppen, schreibt Jürgens, er habe es oft für die Großfamilie am Karfreitag zubereitet. Das war der Moment, an dem ich innerlich zusammenzucke: Große Gruppen? Das geht doch gar nicht, durchfährt es mich. Ich komme ins Grübeln: Oder ist das gemeinsame Essen in der Großfamilie noch erlaubt, wenn die Verwandtschaftsbeziehung hinreichend eng ist? Da müsste man noch einmal im staatlich erlassenen Corona-Manual nachschlagen. Ich ahne, Großfamilie wird wohl auch verboten sein.

    Soweit ist es also gekommen: Innerhalb von drei Wochen ist uns der Abstandhaltereflex zur zweiten Natur geworden. Statt uns das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen bei der Vorstellung von konfiertem Zander, werden Furcht und Angst mobilisiert. Es ist die Wiedergeburt autoritärer Persönlichkeitszüge aus dem Geiste von Corona. Der »autoritäre Charakter«, schreibt der Philosoph Erich Fromm, zeichnet sich durch Unterwürfigkeit und Konformitätsverhalten aus, ein Verhalten der Anpassung, hinter welchem Angst und Aggression nur schwer sich verbergen können.

    Wir hatten es tatsächlich gewagt, in der Karwoche – natürlich nur zu zweit – von Frankfurt aus einen kleinen Ausflug in den nahe gelegenen Rheingau zu machen, um eine Stunde lang dort spazieren zu gehen. Die Sache verlief äußert corona-korrekt: Fünf Meter Abstand zu allen Fremden waren gesichert, keine Gefahr sich nähernder Radler, denn die waren polizeilich verboten. Als wir zum Auto zurückkamen klebte unter dem Scheibenwischer eine Tempotuch mit der Botschaft mutmaßlich eines Einheimischen: »Bleibt bitte zuhause!« Die Bitte ist die höfliche Form der Drohung: das nächste Mal stechen wir euch die Reifen ein. Präzise lässt sich hier die Entstehung der Fremdenfeindlichkeit beobachten; Xenophobie ist die Schwester der Angst. Ihr Inhalt ist irrational: Als ob wir böse urbane Viren in die reine Luft des Rheingaus verpusten würden.

    Kollateralschaden der Pandemie

    Man muss es wohl als Kollateralschaden der Pandemiebekämpfung ansehen: Die massiven Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten (Gewerbefreiheit, Reisefreiheit, Versammlungsfreiheit, Glaubensfreiheit) schreiben sich ohne Murren in unser Fühlen und Verhalten ein. Wir wollen alles richtig machen, ermahnen die anderen, wenn sie es falsch machen und entdecken befremdet einen kleinen, bislang unbekannten Denunzianten in uns. Wer das auch nur mit skeptischer Distanz beschreibt, bekommt, im wahrsten Sinn des Wortes, das Totschlagargument zu hören: Schließlich gehe es jetzt um Leben und Tod. Und da sollten wir froh sein, dass der Staat sich um uns kümmere.
    Dem Staat als Kümmerer entspricht der Bürger als Untertan. Im Diskurs über die Staatsaufgaben, der sogenannten Staatszwecklehre, rangiert der Kümmer- oder Obrigkeitsstaat historisch am Anfang: Es ist ein Polizeistaat, ein Begriff, der von 16. bis zum 18. Jahrhundert einen durchaus positiven Klang hatte, ging es doch um die gute Verwaltung der »Polis«. Die »gute Policey« bezieht sich auf die Aufgabe des Staates, für Ordnung im Gemeinwesen zu sorgen. Dazu gehört es, sich um Sicherheit, Wohlfahrt, Nützlichkeit und Glückseligkeit der Bürger zu kümmern, zu deren Durchsetzung es dann auch Staatsdiener – »Polizisten« – braucht, welche hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Es ist der Anspruch einer weitgehenden Allzuständigkeit des Staates, der als Garant des kollektiven und individuellen Wohls sich versteht. Die Polizei, so erklärt der Jurist Johann Heinrich Gottlob Justi (1720 bis 1771), ist dasjenige, was es dem Staat gestattet, seine Macht zu vermehren und seine Gewalt in vollem Umfang auszuüben. Die Polizei soll die Leute in einen glücklichen Zustand bringen und erhalten, wobei das Glück als Überleben, Leben und besseres Leben verstanden wird. Einen Unterschied zwischen kollektivem und individuellem Wohl und Nutzen kennt der Polizeistaat nicht – weil ihm die Vorstellung bürgerlicher Freiheit fremd ist.

    Fast will es scheinen, als ob der Einbruch einer archaischen Seuche, gegen die es weder Therapie noch Impfung gibt, und der gleichzeitige Rückfall des Staates in eine seiner Frühformen einander auf merkwürdige Weise korrespondieren. Eine Pandemie bekämpft man am besten mit dem Polizeistaat, wird uns suggeriert: Der soziale Abstand muss polizeilich überwacht werden. Es geschieht alles nur zu unserem Besten.

    Foucaults Pastoralmacht

    Der französische Philosoph Michel Foucault hat zur Beschreibung der Wirkung des Polizeistaats den schönen Begriff der Pastoralmacht eingeführt, ein Begriff, an den man gerne an diesem Osterfest erinnern mag. Der Pastor ist der »gute Hirte« seiner Herde, für deren Wohl er verantwortlich ist: ein kurzes Sonnenbad auf einer Parkbank hat Landspastor Markus Söder uns deshalb jetzt erlaubt. Der Hirte sammelt, führt und leitet seine Schafe. Die Rolle des Hirten besteht darin, das Heil seiner Herde sicherzustellen. Zielgerichtetes Wohlwollen nennt Foucault die Aufgabe des Hirten: Dafür muss er sogar ausnahmsweise die Herde verlassen und sich auf die Suche nach einem einzelnen verlorenen Schaf zu begeben. Das Verhältnis zwischen Hirte und Herde ist alles andere als äußerlich: Seine Fürsorge schreibt sich tief in das kollektive Verhaltensgewissen der Herde ein.
    Die nun schon so lange regierende deutsche Kanzlerin hat in ihrer letzten Phase eine zu ihr eigentlich gar nicht passenden Rolle gefunden: Sie ist die »gute Hirtin« dieses Osterfestes 2020. Sie sagt uns, was wir zu tun und zu lassen haben und warum es nur zu unserem Besten ist. Sie tadelt uns, ermahnt uns, in der Disziplin nicht nachzulassen, lobt uns aber auch, wenn wir uns korrekt verhalten. Die Drohung mit der bösen Policey überlässt die Bundes-Pastorin den Männern in den Gauen, Markus Söder oder Armin Laschet.
    Es ist müßig zu fragen, ob es eine der Freiheit kompatiblere Politik gegeben hätte, die Pandemie zu bekämpfen als die des Polizeistaates. Man darf der guten Hirtin auch attestieren, dass ihre pragmatische Rhetorik uns deutlich lieber ist als die Kriegsmetaphorik aus Frankreich oder den Vereinigten Staaten. Gleichwohl sollten wir uns nicht einreden lassen, der Polizeistaat sei in der Krise alternativlos. Das ist er nicht, er ist womöglich nicht einmal besondere effizient. Paul Romer, ein Ökonom an der New York University, schlägt zum Beispiel massenhafte Tests vor: Jeder der negativ ist, würde auf der Stelle in die Freiheit entlassen; das gesellschaftliche Leben könnte rasch weitergehen.
    Alles kommt jetzt darauf an, den Polizeistaat schnell wieder in Richtung des freiheitlichen Rechtsstaats zu verlassen. Denn das Schlimmste an der autoritären, fürsorglich daherkommenden Pastoralmacht ist, dass sie die autoritären Anteile unseres Selbst kitzelt. Dabei heraus kommt eine Melange von Angst, Aggression und beflissenem Untertanengeist, Züge, die uns aufs Äußerste unangenehm sind. Und die sich auf keinen Fall verfestigen sollen.

    Rainer Hank