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  • 12. Februar 2025
    Der Kiosk lebt

    Hier gibt es alles, sogar Pakete Foto DHL

    Dieser Artikel in der FAZ

    Was die Post für den sozialen Zusammenhalt tut

    Jüngst ist es mal wieder passiert: Da war man eine halbe Stunde außer Haus. Und genau in dieser Zeit kam das braune UPS-Auto und hat einen Zettel im Briefkasten hinterlassen, ich möge meine Sendung bei »Behrens Cigaretten Lotto Toto« abholen.

    »Behrens Cigaretten Lotto Toto« ist eine von Tausenden Sammelstellen, die die die großen Paketdienste DHL, Hermes & Co. in Deutschland unterhalten. Allein Marktführer DHL, Nachfolger der guten alten Bundespost und ihrerseits Nachfolgerin von Thurn & Taxis-Reichspost (gegründet 1595), hat inzwischen 25.000 solcher Pick-Up-Stellen. Das sind Zeitungskioske, Lebensmittelhändler, McPaper-Filialen, bei denen man auch Briefmarken und ähnliches kaufen kann. »Personenbezogene Filialen«, nennt DHL diese Abholstellen im schönsten Bürokratendeutsch. Hinzu kommen 15.000 menschenlose Paketautomaten, neudeutsch »consolidation hubs«.

    Bei »Behrens Cigaretten Lotto Toto« jedenfalls kann ich auf telefonische Nachfrage mein Paket ab 17 Uhr am selben Tag abholen. Da bin ich nicht der Einzige an diesem Freitag im Januar. In dem kleinen Raum stapeln sich die Sendungen; daneben stapeln sich die Kunden. Der arme Inhaber des Shops ist im Stress. Erkennbar haben die Päckchen und Pakete keine Ordnung, weshalb das Unterste zum Obersten gedreht werden muss. Dass das ein oder andere Päckchen auf ewig im Nirwana verschwindet, wie immer wieder geklagt, überrascht nicht.

    Unter uns Abholern macht sich eine eigenartige Stimmung zwischen Nervosität und Ergebenheit in unser Los breit: die einen beweisen sich als angehende Logistikexperten mit Vorschlägen, wie man das Paketgeschäft effizienter organisieren könne, die anderen werden zu Trump-, Merz- oder Scholz-Deutern mit Lust am Politisieren. Ohne, dass wir es wollten, sind wir nun eine kleine Schicksalsgemeinschaft, so lange bis die ersten zufrieden mit ihrem Paket abziehen.

    Später erst wurde mir klar, wie sehr sich unsere Stadtteilkultur in den vergangenen Jahren verändert hat. Orte der zwang- und anlasslosen Kommunikation sind immer mehr verschwunden. Bei Rewe und Edeka kommt man nicht einmal an der Kasse mehr ins Gespräch, seit die Kunden zu ihren eigenen Kassiererinnen geworden sind, sich ihre Gurken und Joghurts selbst scannen und bargeldlos bezahlen. Während die Banken ihre teuren Filialen flächendeckend schließen, weil jedermann auch sein eigener Internet-Homeoffice-Bankdirektor ist, sorgen die Paketlogistiker für ein Büdchenkleinstverteilernetz.

    Kathedralen der Kommunikation

    »Kommunikation« war immer schon das Geschäftsmodell der Post, oder? Okay die Zeiten haben sich verändert, vergleicht man »Behrens Cigaretten Lotto Toto« mit dem 1871 erbauten Reichspostamt an der Leipziger Straße in Berlin. Man kann es heute noch besichtigen – als Museum. Auf fast 3000 Quadratmetern war nach Entwürfen von Carl Schwatlo – genannt »Der Postarchitekt« – ein historistisch-klassizistischer Bau entstanden, dem auch Kaiser Wilhelm I Lob zollte. Von »Kathedralen der Kommunikation« war damals die Rede, in Ergänzung zu den »Kathedralen des Konsums«, wie die entstehenden Kaufhäuser genannt wurden. Allemal dominierte die Assoziation an einen sakralen Raum, der dem Besucher Andacht abverlangt und seine Stellung im Kosmos relativiert.

    Solche Erfahrung lässt sich in den kleinen Kiosken meiner Nachbarschaft nicht mehr machen; sie sind maximal Feldkapellen der Kommunikation, um im religiösen Bild zu bleiben. Die Zäsur lässt sich auf die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts datieren: Unter dem Stichwort »Deregulierung« war man der Auffassung, Post, Telefon, Bahn oder Strom sollten entstaatlicht und dem Wettbewerb ausgesetzt werden. Für die Kunden wurde es billiger, auch, weil man auf repräsentative Paläste verzichtete.

    Anruf bei der PR-Abteilung von DHL Der Konzern ist auf die An- und Abnahmestellen angewiesen. Werktäglich müssen 5,2 Millionen Pakete transportiert und zwischengelagert werden, weil die doppelverdienenden Empfänger auf der Arbeit sind. Im Jahr summiert sich das auf 1,72 Milliarden Sendungen. Die Paketlogistik ist sozusagen die Kehrseite der Digitalisierung. DHL umwirbt die Kioske (»Werde Teil eines starken Teams!«); der Konzern muss keine Räume anmieten und profitiert von den langen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag (im Schnitt 55 Stunden in der Woche). Die Kioskbetreiber leiden unter dem rückläufigen Presse-, Zigaretten- und Spirituosengeschäft. Sie bekommen von DHL zusätzliche Umsätze versprochen und dürfen darauf hoffen, dass die Paketabholer dann doch noch eine FAZ oder eine Flasche Gin mitnehmen. Schon ab einem Quadratmeter Stellfläche darf man sich als Paketstelle bewerben.

    Soziales Kapital

    Für den Service zahlen die Paketbringer pro Stück eine Provision. DHL sagt, das sei lukrativ, will mir den Betrag aber nicht beziffern – wegen der mithörenden Konkurrenz. Ich hoffe doch sehr, dass die Konkurrenz das längst rausgefunden hat. Journalistischen Kollegen vom NDR hat man verraten, dass es pro unfrankiertem Paket 40 Cent, für frankierte Pakete 20 Cent und für Retouren abermals 40 Cent gibt. Viel ist das nicht, sagt mein Bauchgefühl. Der Umsatz muss es machen, weshalb, siehe oben, die Shops eben eher Rumpelkammern gleichen. Immer wieder werden Klagen berichtet, dass sich das Geschäft für die Kioske nicht rentiere. Wer eine Aushilfe nimmt, um dem Ansturm Herr zu werden, und ihr dafür Mindestlohn zahlt, merkt schnell, dass er sich verrechnet hat. Klagen gibt es auch, dass das Versprechen zusätzlicher Umsätze im Kerngeschäft ein leeres Versprechen sei: Wer ein großes Paket zu wuchten hat, kann nicht noch einen Kasten Sprudel transportieren.

    Vor Jahren machte die Theorie des »Sozialkapitals« die Runde. Prominenter Vertreter war der Harvard-Politologe Robert Putnam. Putnams Forschung untersucht den Zusammenhalt von Gesellschaften und die Gründe für die Auflösung dieses Zusammenhalts. Soziales Kapital bedeutet für ihn Vertrauen, Gegenseitigkeit und Gemeinschaftsleben (freiwillige Assoziation), wobei gemeinschaftliche Unternehmungen etwa in Vereinen Gegenseitigkeit stärken und Vertrauen aufbauen und vermehren. Soziales Kapital, so Putnam, entsteht durch die Bereitschaft der Bürger, miteinander zu kooperieren.

    Paketshops muss man in die Theorie des Sozialkapitals als Paradebeispiele aufnehmen – als Kompensat zur »Gesellschaft der Singularitäten«. Wenn meine Beobachtung stimmt, werden die weitaus meisten dieser Kioske von Menschen mit Migrationshintergrund betrieben. Sie stärken den sozialen Zusammenhang im Kiez und vermutlich auch die Demokratie und migrantische Integration (drunter machen wir es derzeit ja nicht). DHL & Co. haben jüngst angekündigt, künftig stärker auf die menschenlosen Paketautomaten zu setzen. Das wäre doch zu schade, oder?

    Rainer Hank