Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. Oktober 2020
Der Kardinal aus KölnWarum Kapitalismus und Katholizismus gut zusammenpassen: Ein Porträt von Joseph Höffner
Seit der jüngsten Enzyklika »Fratelli tutti« (»Über die Geschwisterlichkeit«) aus der Feder von Papst Franziskus wissen wir: Diesen Papst haben die Katholiken nicht verdient. Wer Populismus und Liberalismus auf eine gemeinsame Stufe heutiger Irrlehren stellt, wer keinen Blick hat für die Wohlstand schaffende Kraft der Marktwirtschaft, der bringt sich mutwillig um seine Autorität.
Zyniker werden sagen, was soll man von Papst und Kirche auch anderes erwarten. Martin Rhonheimer, ein in Wien forschender liberaler Theologe, kein Zyniker, konstatiert, die sogenannte kirchliche Soziallehre laufe seit der Enzyklika »Quadragesimo Anno« von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1931 im »Kielwasser des Zeitgeistes«. Damals schwärmte das katholische Oberhaupt von einem »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus. In den sechziger und siebziger Jahren nahm die Kirche dann Anleihen bei marxistischen Verelendungstheorien. Heute wir aus Rom ein bunter Strauß beliebiger Meinungen feilgeboten: ein bisschen Globalisierungskritik hier, ein wenig Klimaethik dort. Nichts, was es andernorts nicht längst besser gäbe. Aber eben nichts Originäres, was aus der großartigen intellektuellen Tradition einer Glaubensgemeinschaft wert wäre erinnert zu werden. Gesellschaftliche Irrelevanz der Kirche ist die Folge.
Das war nicht immer so. Zu Ende meiner Polemik gegen die Enzyklika »Fratelli tutti« vor zwei Wochen hatte ich auf den ehemaligen Kölner Kardinal Joseph Höffner (1906 bis 1987) und seine Nähe zur Freiburger Tradition der sozialen Marktwirtschaft hingewiesen. Rückfragen belehrten mich, dass der Kölner Kardinal heutzutage – von Fachkreisen abgesehen – nicht mehr bekannt ist. Deshalb trage ich hier ein kleines Porträt des Kölner Kardinals nach, den auch ich in den siebziger und achtziger Jahren – dem Zeitgeist verhaftet – für einen verknöcherten Reaktionär gehalten habe.Joseph Höffner wird an Heiligabend, dem 24. Dezember 1906, in Horhausen, einem kleinen Dorf im Westerwald, als Sohn einer Bauersfamilie geboren. Als Ältester war er zum Nachfolger auf dem Hof prädestiniert. Doch der Dorfpfarrer machte den Eltern den Vorschlag, den begabten Sohn auf das Gymnasium nach Montabaur zu schicken, nicht ohne ihm zuvor schon etwas Latein beigebracht zu haben. Von Montabaur wechselte Höffner an das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium nach Trier, wo auch Karl Marx und der Jesuitentheologe Oswald von Nell-Breuning ihr Abitur gemacht hatten.
Marktwirtschaft aus der Schule von Salamanca
Danach ging alles schnell. Höffner wurde zum Studium nach Rom geschickt, wo er in atemberaubendem Tempo diverse akademische Grade erwarb. Einer philosophischen Promotion 1929 folgte eine erste theologische Doktorarbeit über »soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe«, anschließend 1938 eine weitere theologische Dissertation über »Bauer und Kirche im deutschen Mittelalter«. Zurück in Deutschland studierte Höffner in Freiburg Volkswirtschaftslehre, diplomierte und promovierte 1940 bei Walter Eucken, einem der Begründer der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik. Das Thema der Dissertation lautete: »Wirtschaftsethik und Monopole im 15. und 16. Jahrhundert«. Schließlich kam 1942 noch eine Habilitation hinzu mit dem Titel »Christentum und Menschenwürde«, wo Höffner sich mit der spanischen Kolonialethik des sogenannten Goldenen Zeitalters beschäftigte. Inzwischen hatte er die Priesterweihe empfangen und ging neben seinen Studien als Stadtpfarrer in Trier einem Fulltime-Job nach.
Höffners große Leistung war es, dass er die marktwirtschaftlichen Lehren spätscholastischer Dominikanermönche der sogenannten Schule von Salamanca für das 20. Jahrhundert fruchtbar zu machen verstand. Der Scholastik (10. bis 16. Jahrhundert) ging es ganz allgemein darum, den Offenbarungsglauben mit der menschlichen Vernunft philosophisch zu durchdringen. Während Thomas von Aquin, Kirchenlehrer der Hochscholastik, der Auffassung war, dem Gewinn des Kaufmanns hafte »etwas Hässliches« an, weil die Gier »kein Aufhören« kenne, sahen die Theologen aus Salamanca die Gewinnerzielung gerechtfertigt im Interesse des Wohls der Menschen. »Nimm den Handel weg, und dann müssen die Menschen Fremdes rauben, um sich am Leben zu erhalten, oder es werden ganz sicher viele an Hunger, Blöße und sonstiger Not zugrunde gehen », schrieb Bartholomé de Medina. Wirtschaftliche Freiheit und Wettbewerb, eine Theorie der Marktpreise und eine Lehre über die ungerechten, weil schädlichen Wirkungen von Monopolen, als das wurde von diesen Theologen (meist Dominikaner- oder Jesuiten-Patres) damals entwickelt. Von Gütergemeinschaft (alles gehört allen) hielten sie gar nichts, lobten stattdessen den Wert des Privateigentums. Man kann in der Schule von Salamanca eine liberale Theorie der Marktwirtschaft erkennen.
Es war eben nicht nur, wie Max Weber meinte, die protestantische Ethik, die den Geist des Kapitalismus prägte, sondern auch die katholische Ordnungsökonomik dieser spanischen Mönche im 16. Jahrhundert. Gut katholisch hatten sie mehr Vertrauen in den Menschen als »Ebenbild Gottes« und in die Eigengesetzlichkeiten des Marktes, während im Luthertum ein deutlich skeptischeres Menschenbild vorherrschte – bis heute. Das mag der Grund sein, warum die protestantischen Ordnungsökonomen aus Freiburg stärker als die katholische Tradition auf den Staat als Volkserzieher und Marktbewacher setzten. Walter Eucken war zwar von Höffners Dissertation angetan, benotete aber lediglich mit »Magna cum laude« und monierte, dass darin lediglich Katholiken und nicht auch Protestanten und Humanisten des 16. Jahrhunderts behandelt würden.Menschenrechte und Menschenwürde
Heute ist sich die Forschung einig, dass in der Schule von Salamanca auch die Ideen der Menschenwürde und der universalen Menschenrechte erstmals entwickelt wurden – ausgerechnet im kolonialistischen Kontext Spaniens: »Indianern, Ungläubigen, kommen nach dieser Lehre die gleichen unveräußerlichen Menschen-, Freiheits- und Eigentumsrechte zu wie den Christen. Der Kolonialismus der Spanier in Lateinamerika wurde zweifellos häufig theologisch flankiert von Missionaren, welche die Versklavung der indigen Völker als christlichen Missionsauftrag theologisch rechtfertigten. Nicht so die Schule von Salamanca. Erst seit kurzem bemüht sich ein von der Mainzer Akademie der Wissenschaften am Frankfurter Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte gefördertes Team um Thomas Duve und Matthias Lutz-Bachmann, dieses bedeutenden Schatz der Schule von Salamanca wissenschaftlich zu dokumentieren und zu erforschen.
Joseph Höffner war seiner Zeit voraus, wenn er die ökonomische und rechtsphilosophische Lehre der Schule von Salamanca für die soziale Marktwirtschaft der frühen Bundesrepublik fruchtbar zu machen suchte. Aus dieser Grundüberzeugung kritisierte er denn auch später einen immer gieriger werdenden Sozialstaat, der dem Markt zu wenig vertraue: »Seit Jahren stehen wir in der Bundesrepublik in der Gefahr, über unsere Verhältnisse zu leben und die Lebenschancen unserer Kinder zu belasten. Die Ausweitung der Staatstätigkeit, die damit verbundene Bürokratisierung und die gefährlich hohe Staatsverschuldung müssen jetzt korrigiert werden. Es ist der Trugschluss zu meinen, der Staat könne alles, und insbesondere, er könne alles besser machen.« Von keinem Kardinal, schon gar nicht vom gegenwärtigen Papst, würde man so etwas heute zu hören oder zu lesen bekommen.
Rainer Hank