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  • 25. Juli 2023
    Der Fluch des Erfolgs

    Panama-Kanal Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Ferdinand de Lesseps und sein Panama-Projekt

    Dem Panama-Kanal geht das Wasser aus. Seit Wochen erreichen uns Hiobsnachrichten. Trockenheit bedroht eine der wichtigsten Seerouten der Welt. Weil die Stauseen Panamas, durch die die Wasserstraße führt, immer weniger gefüllt sind, müssen die Containerschiffe, die ihn befahren, leichter werden und dürfen nicht mehr so viel Fracht laden. Bis Mitte Juni galt ein Tiefgang von höchstens 15,24 Metern, seit Anfang Juli sind nur noch 13,26 Meter erlaubt. Was das bedeutet: Zwischen 10 und 25 Prozent der Ladung muss von den Schiffen abgeladen werden, damit sie nicht den Grund des Kanals schrammen. Schlimmstenfalls drohe Stillstand, heißt es.

    Der Klimawandel bedroht das globale Wachstum. Ich konnte mir das nie so richtig vorstellen. Die Aussage blieb abstrakt. Beim Panamakanal wird es konkret: In den Containern befindet sich Wein aus Chile, Sojabohnen auch Brasilien, Autos aus den USA und Chips aus China. Auch die Mengen an Avocados, die wir Deutschen so gerne essen, finden ihren Weg durch den Panama-Kanal. All solche Sachen, die in der globalen Arbeitsteilung über die Meere der Welt schippern. Der Wassermangel führt zu einer Verlangsamung der Lieferkettengeschwindigkeit, mithin einem Verlust von Wachstum und Wohlstand. Immerhin fünf Prozent des weltweiten Seehandels passieren den Panamakanal. Trockenperioden gab es in dem tropischen Land Mittelamerikas immer wieder. So schlimm wie derzeit war es noch nie. Dass die außergewöhnliche Trockenheit eine Folge des Klimawandels ist, lässt sich schwerlich leugnen, finde ich.

    So sehr der Panamakanal heute Symbol unseres von der Erderwärmung bedrohten Wohlstands ist, so sehr ist er auch Symbol einer segensreichen menschlichen Fortschrittsgeschichte. Dazu muss man sich mit dem faszinierenden Leben des französischen Abenteurers und Visionärs Ferdinand de Lesseps (1805 bis 1895) beschäftigen, der nicht nur für den Bau des Panamakanals verantwortlich ist, sondern zuvor auch die Idee für den Suezkanal hatte.

    Ein Kanal vom Mittelmeer zum Roten Meer

    Mit knapp fünfzig Jahren hatte Lesseps sich nach einem erfolgreichen Leben als Diplomat mehr widerwillig als freiwillig und viel zu jung in den Ruhestand auf seinen Landsitz Manoir de la Chesnaye in der Normandie zurückgezogen. Dort erreichte ihn eine Einladung nach Ägypten, ausgesprochen vom neuen ägyptischen Vizekönig Mehmed Said Pascha. Lesseps kam am 7. November 1854 in Alexandria an. Bei einem der Ausflüge in die Wüste unterbreitete er dem Vizekönig am 15. November 1854 ein Memorandum über die Vorzüge eines Kanals durch den Isthmus: Der sollte das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbinden und den Seeweg von und nach Indien und weiter nach Ostasien enorm verkürzen. Schon am 30. November 1854 erhielt Lesseps von Said Pascha die Konzession, die »Compagnie universelle du canal maritime de Suez« zu bauen und 99 Jahre lang zu betreiben.

    Lesseps, so lese ich es in dem ungemein anregenden Buch »Power and Progress« des MIT-Ökonomen Daron Acemoglu, war ein begeisterter Anhänger des französischen Philosophen Henri de Saint-Simon (1760 bis 1825): Die Macht sei am besten bei »Männern mit Genie« aufgehoben anstatt bei »Nichtsnutzen«, zu denen Saint Simon auch die Aristokratie zählte. Neben solchen genialen Einzelnen, die ihre Ideen des technischem, zu Wohlstand führendem Fortschritt verwirklichen, braucht es Aktionäre, Menschen, die bereit sind, solch aufwendige Projekte zu finanzieren und für ihre Risikobereitschaft fürstlich entlohnt werden, sofern die Rechnung aufgeht. Ein »Reservoir« von Arbeitskräften, die der Bau benötigt, stand in Ägypten hinreichend zur Verfügung. Da war Lesseps, ein Mann seiner Zeit, tief verhaftet im kolonial-imperiale Denken der Europäer. Von »Zwangsarbeit« könne man nicht im strengen Sinn sprechen, so Lesseps beschwichtigend: Schließlich seien die Leute freiwillig zur Arbeit gekommen und liege das Lohnniveau der Suez-Gesellschaft deutlich über dem Landesdurchschnitt.

    Die Vision ging auf, Lesseps war ein international gefeierter Held. Der Kurs der Suez-Aktien (viele Franzosen hatten gezeichnet; Ägypten war als Großaktionär eingestiegen) hatte sich innerhalb von gut zehn Jahren vervierfacht, eine Dividende von jährlich fünfzehn Prozent kam obendrauf. Das Geniale am Suezkanal besteht darin, dass er keine Schleusen braucht, was die Durchfahrt der Schiffe extrem verkürzt. Heute ist der Suezkanal, inzwischen komplett in staatlicher Hand, die wichtigste Einnahmequelle Ägyptens: 20.000 Schiffe durchquerten 2022 den Kanal und bescherten dem Staat acht Milliarden Euro.

    Trunken vom eigenen Ruhm

    Ferdinand de Lesseps, vom Ruhm trunken, hatte die Idee, mit dem Bau des Panama-Kanals den Erfolg des Suez-Kanals zu wiederholen. Doch die Sache ging schief. Der Franzose übersah, dass die klimatischen Bedingungen in den Tropen viel schwieriger waren als in der ägyptischen Wüste. Gelbfieber und Malaria rafften 22.000 Arbeiter dahin. Das Bergland Panamas stellte die Ingenieure vor viel größere Herausforderungen. Ständig wurde von den Aktionären neues Kapital gefordert und die Risikoaufschläge, die für die Anleihen geboten werden mussten, stiegen kontinuierlich. Alles endete mit einer großen Pleite. Die Kapitalgeber hatten ihr ganzes Geld verloren, Abertausende Arbeiter verloren ihr Leben.

    Was lief falsch? Daron Acemoglu macht die fixe Idee de Lesseps verantwortlich, auch im Bergland Panamas wie in der ebenen Wüste Ägyptens ohne Schleusen auszukommen. Das trieb Kosten und technische Probleme ins Unermessliche. Zugleich übersah de Lesseps die naheliegende Idee, Seen im Hochland Panamas zu Stauseen zu fluten, was den eigentlichen Kanal selbst verkürzt hätte. Dabei hatte er es mit den Bitterseen in der ägyptischen Wüste auch so gemacht. Er zogt die falschen Lehren aus dem Erfolg des Suez-Projekts. Lesseps wurde Opfer einer Logik des Scheiterns, die er selbst nicht durchschaute. Ein Debakel! Erst die USA haben das Panama-Projekt Anfang des 20. Jahrhunderts auf die »richtige« Weise realisiert, Schleusen gebaut und die Seen des Hochlands geflutet – die heute unter der Trockenheit leiden.

    Und die Moral von der Geschicht›? Ferdinand de Lesseps ist ein Held des wirtschaftlichen Fortschritts, seine Projekte sind ein Segen für die Menschheit. Sein Ruhm wurde ihm zum Verhängnis. Es gibt eine Dialektik des Fortschritts. Die führt uns zurück zum Wassermangel des Panamakanals als Folge des Klimawandels. Der Klimawandel ist das unintendierte Nebenprodukt der menschlichen Fortschrittsgeschichte – eine Bedrohung für unseren Wohlstand. Dass die Menschheit aus vitalem Eigeninteresse auch solche negativen Folgen des Fortschritts in den Griff bekommt, ist die tröstliche Lehre, die der Verlauf der Wirtschaftsgeschichte bereit hält. Optimismus schlägt Apokalypse.

    Rainer Hank