Rainer Hank als Illustration

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  • 15. November 2022
    Der 49–Euro-Schwachsinn

    Pankow ist in den 49 Euro inbegriffen Foto pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Es gibt bessere Lösungen als die Bahn-Flatrate

    »Bei der heißen Schlacht am kalten Buffet, da zählt der Mann noch als Mann
    Und Auge um Auge, Aspik um Gelee, hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra.«

    Der Song von Reinhard Mey aus dem Jahr 1972 kommt mir in den Sinn, seit hierzulande über 9–, 29– oder 49–Euro-Tickets gestritten wird. Halb Deutschland war in diesem Sommer mit dem ÖPNV quer durchs Land unterwegs. Und so ist es dann auch zugegangen: Ein Gedränge und Gedrücke, falls man überhaupt noch einen Stehplatz bekam, weil der einzig freie Sitzplatz leider schon von den Pommes weiß-rot des Vorgängers besetzt war. Alles eben wie am Kalten Buffet Reinhard Meys, den ich deshalb gleich noch einmal zu Wort kommen lasse (Melodie gibt es auf Youtube): »Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang, bald stürzt eine ganze Armee die Treppe hinauf und die Flure entlang. Dort steht das kalte Buffet. Zunächst regiert noch die Hinterlist, doch bald schon brutale Gewalt. Da spießt man, was aufzuspießen ist, die Faust um die Gabel geballt. Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund kämpft jeder für sich allein. Und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund, was immer hineinpasst, hinein.«

    Der Kalte-Buffet-Effekt ist die Konsequenz aller Flatrates. Das Restaurant wird bei einem Pauschalpreis entweder an der Qualität des Buffets oder an der Menge oder gleich an beidem sparen. Hummer sollte man besser nicht erwarten. So hat mein journalistischer Lehrer Hans D. Barbier immer argumentiert, um die Schlaraffenland-Illusion der All-You-Can-Eat-Angebote zu entlarven. Trotzdem sind die Leute jetzt wieder ganz besoffen von den Billigtickets. Da geht es genauso zu wie am kalten Buffet: Die Fahrt in die Ferne dauert ewig (es heißt ja auch Nahverkehr), die Züge sind rappelvoll und niemand hat Lust, die Qualität des Angebots zu verbessern.

    Das glauben Sie nicht, weil die 49–Euro-Idee so toll klingt? Ich zitiere Oliver Wolff, den Chef des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen: »Die ersten Betriebe denken darüber nach, Linien auszudünnen und Strecken einzustellen.« Er sei in Sorge um das künftige Angebot im Nahverkehr, so Wolff. Der Präsident des Deutschen Städtetags legt zumindest metaphorisch noch einen drauf. Er habe die Befürchtung, die Verkehrswende drohe durch das 49–Euro-Ticket »auf dem Abstellgleich zu landen«.

    Wissing als Ehrenmitglied der Linken

    Nur einer jubelt. Der Verkehrsminister Volker Wissing. Seit Wochen schwadroniert er von der »größten ÖPNV-Tarifreform in Deutschland« und verkauft als seinen Erfolg, was ihm ursprünglich von den Grünen aufs Auge gedrückt wurde. Deutschland lasse damit »extreme Preisschwankungen im Angebot des Öffentlichen Nahverkehrs hinter sich« jubelt Wissing. Dass ich das noch erleben darf: Ein liberaler Politiker lobt den Einheitspreis und stört sich an »extremen Preisschwankungen«. Er glaubt nicht, dass in einer Marktwirtschaft Preise Signale sind für Anbieter und Nachfrager darüber, was wem wieviel wert ist. Er ignoriert den Kalte-Buffet-Effekt des Festpreises, der jeglichen Wettbewerb erstickt. Kein Zugbetreiber hat Anreize Pünktlichkeit, Zugqualität, Service für die Kunden zu verbessern, denn er darf Preise weder erhöhen noch senken. Er muss alles immer für 49 Euro liefern. Konsequent müsste Wissing auch einen Festpreis für Wohnungen (sagen wir 200 000 Euro), Laugenbrezeln (vielleicht 50 Cent) oder Fahrräder (150 Euro) fordern. Auch da stören sich viele Leute an den »extremen Preisschwankungen«, gerade jetzt in Zeiten der Inflation. Im Erfolgsfall winkt Wissing die Ehrenmitgliedschaft bei der »Linken«, überreicht am goldenen Band von Sarah Wagenknecht, falls die dann dort noch Mitglied ist.

    Es gibt noch ein paar weitere Einwände gegen das 49–Euro-Ticket. Der wahre Preis der Reise wird verschleiert, denn Bund und Länder schießen gepumpte drei Milliarden aus dem Doppel-Wumms zu. Die Zugbetreiber werden jetzt ihre Lobbyabteilungen aufrüsten, denn mehr Geld kommt künftig nicht vom Kunden, sondern vom Staat. Auch das klingt nicht wirklich nach Marktwirtschaft. Das Billigticket wird kofinanziert von heutigen oder künftigen Steuerzahlern, auch wenn sie kein 49–Euro-Ticket kaufen, sondern mit Fahrrad, E-Auto oder ICE unterwegs sind. Gerecht wäre es, Preise individuell streckenabhängig zu berechnen. So etwas hat die FDP früher – etwa in den Mautdebatten – immer gefordert. Wenn Arme sich das nicht leisten könne, kann der Staat sie direkt mit Geld unterstützen. 49 Euro sind für arme Menschen kein Pappenstiel, für den Zahnarzt schon, der braucht es aber nicht.

    Fairtiq kann alles besser

    Und was ist mit dem Klima? Bahnfahren reduziert die CO2–Emissionen prahlt Wissing. Das wollen wir erst einmal sehen. Für jene Bürger auf dem Land, bei denen kein Bus und keine Bahn vorbeikommt, stimmt das schon mal nicht: Die pendeln auch künftig mit dem alten Diesel. Und für die Strecken, die künftig vom Netz genommen werden (siehe oben), stimmt es auch nicht. Und woher kommt der Strom, mit dem die Züge fahren? Natürlich aus der Steckdose, also aus der Oberleitung. Erzeugt wird er zu nicht geringen Teilen aus Kohle und Gas, wie wir in den letzten Monaten teuer lernen mussten (»Merit Order«). Klingt nicht super-klimafreundlich.

    Bleibt das Argument der Vereinfachung. Die 49–Euro-App funktioniere immer, unabhängig von kaputten Fahrscheinautomaten und von Kleinstadt zu Kleinstadt undurchschaubaren Tarifsystemen. Das stimmt. Doch dieser Mega-Vorteil ist nicht an eine Flatrate gebunden, sondern geht auch bei streckenabhängigen Preissystemen. »Fairtiq« zum Beispiel, ein Startup ohne Staatssubventionen aus der Schweiz (da fahren bekanntlich die Züge pünktlich), bietet eine Check-in/Check-out-Lösung: Niemand muss vor der Fahrt ein Ticket kaufen und sich um Tarifzonen kümmern. Teure Automaten werden überflüssig. Beim Betreten des Zuges loggt man sich durch Wischen ein, beim Aussteigen checkt man genauso aus. Fairtiq garantiert, dass stets das günstigste verfügbare Ticket berechnet wird. Die gefahrene Strecke wird über GPS ermittelt und am Monatsende abgebucht, streng datenanonymisiert natürlich, verspricht das Unternehmen. Das funktioniert seit langem prima in der Schweiz, in Liechtenstein und Vorarlberg. Auch einzelne Regionen in Deutschland (neuerdings auch Nordrhein-Westfalen) haben Fairtiq gekauft.

    So kommt man zu einer einfachen und gerechten Lösung, die Wettbewerb und Anreize zu Qualitätsverbesserung zulässt und All-You-Can-Eat-Effekte vermeidet. Was waren das nochmal für Nachteile? Fragen wir Reinhard Mey: »Da braust es noch einmal wie ein Orkan, ein Recke mit Übergewicht wirft sich aufs Buffet im Größenwahn, worauf es donnernd zerbricht.«

    Rainer Hank